Mittwoch, 27. Juli 2016

Ein erstes Abenteuer mit Sherlock Holmes - Kritik: Das Geheimnis des verborgenen Tempels (1985)


 Vergleicht man »Young Sherlock Holmes« mit anderen Werken, die Steven Spielberg in den 80er Jahren produzierte beziehungsweise mitproduzierte, wie etwa Dantes »Gremlins« oder Zemeckis »Back to the Future«, so muss man festhalten, dass dieser Abkömmling seiner Zunft heute geradezu in Vergessenheit geraten ist, trotz der Sache, dass sich der Einfluss seines ausführenden Produzenten sich deutlich auf das Werk von Barry Levinson niedergeschlagen hat. Bekannt ist dieses Werk bestenfalls vor allem noch wegen der ersten figurativen und von ILM animierten CGI-Kreatur, einem Glasritter, der aus seinem Gemälde entsteigt, um einen halluzinierenden Pfarrer zu attackieren. Es ist einer von den vielen bemerkenswerten Momente des Films, die durch Halluzinationen der jeweiligen Figuren durchaus originell erscheinen. Das trifft insbesondere auch auf - für einen Film, der auf ein junges Publikum ausgerichtet sein soll - den beinahe makaberer Moment zu, in dem ein lebendes Brathühnchen in der Imagination zum Angriff bläst (eine ähnliche Szene ereignet sich auch mit Gebäck).


Der Film erdichtet eine erste Begegnung vom jungen Sherlock Holmes und dem jungen John Watson, versteht sich dabei als eigenständige Geschichte, die sich aber versucht gezielt an den Vorlagen von Arthur Conan Doyle und ihrem Geist zu orientieren, auch wenn der Film einen lockeren Umgang damit zu pflegen scheint. Des werden fügt sich der Film geschmeidig in den 80er-Jahre-Filmkosmos von Spielberg ein, ist ähnlich gelagert wie »Die Goonies«, erscheint wie eine kindliche Alternative zu »Indiana Jones«. Es ist eine Hommage an das Werk Doyles, das ihm und seiner Figur Holmes Respekt zollen will, Spekulationen anstellt über die Vergangenheit Holmes, in seine Jugend vordringt, in der diesem auch eine etwas naive, aber auch folgenschwere Liebesgeschichte angedichtet wird. So trifft ein noch junger pummelig-trotteliger (und bebrillter) Watson - aus dessen Perspektive natürlich auch erzählt wird - in seinem neuen Internat in London auf den ebenso jungen Sherlock Holmes, einem aufgeweckten Kombinationsmeister, gelangweilt von den senilen Professoren, bisweilen sehr von sich selbst überzeugt (wobei der Film diese Eigenschaft von Holmes noch recht dezent hält), aber auch mit einer besonderen Beobachtungsgabe beschenkt. Schnell werden sie zusammengeführt, verstehen sich sofort, werden schnurstracks Freunde - ohne große Probleme. Es ist eine abenteuerliche und kurzweilige Detektivgeschichte, eine Schnitzeljagd durch das viktorianische London, das der Film sehr schneidig inszeniert.

Der Film, der zu Beginn einen fröhlichen Ton anschlägt, seine Protagonisten Schabernack und Scherze in der Schule treiben lässt (oder gar einen Konkurrenzkampf zwischen dem hochbegbten Holmes und einem seiner eifersüchtigen Mitstreiter entfacht), hat dabei heute auch noch etwas erfrischendes durch seinen liebenswert-gestrigen Charme, der in diesen schmuckvoll ausgestatteten Bildern liegt und als Kind seiner Zeit auch ausstrahlt. Es geht um einen Mörder, der umgeht, um vergiftete Pfeile, die verschiedene Männer treffen und bei diesen alptraumhafte Halluzinationen erzeugen, die sie in den Selbstmord treiben. Auch der (verschrobene) Mentor von Sherlock Holmes kommt zu Tode und Holmes will den Mörder finden. Wir haben es hier in gewisser Weise also auch mit einer Coming-of-Age-Geschichte zu tun, in der der junge Holmes eine Art Initiationsritus vom Jungen zum Mann durchmacht, denn am Ende der Geschichte wird er ein anderer sein als zu Beginn. Das Werk wirft im Grunde einen Blick auf einen Mythos und schildert - durchaus mit einem naiven Blick - die Entstehung eines Mythos. Dabei stürzt sich die Geschichte, geschrieben von Chris Columbus, einem weiteren Freund Spielbergs und Vertreter einer ähnlichen Familienideologie wie dieser, auch ins Phantastische, dass mancher meinen dürfte, dass Drehbuchautor Columbus sich stimmungmäßig schon mal auf die ersten beiden Verfilmungen von »Harry Potter« vorbereitet, denn es ist diese gleiche Art und Weise, mit der die Geschichte mit einzelnen Aspekten und Ideen (Mentoren, Wettkämpfe, Konkurrenzkämpfe, ein hochbegabter Junge als Protagonist) angefüllt wird, wie sie erzählt werden, welche Bedeutung sie bekommen, die allesamt als Ansatz schon in diesem Film zu finden sind; die dieser in sich trägt.


Aber das Phantastische hat hier auch eine Kehrseite, wechselt manchmal zum sanft Schauerlichen, das ist eine mysteriöse Gestalt mit einer Kapuze oder die schummrige Finsternis, die in den Gassen Londons liegt, wird aber auch - für einen Film, der sich eigentlich an ein jüngeres Publikum richten wollte - dabei noch überraschend streng, tendiert ebenso in manchen Momenten zu einer beachtlichen Düsternis, wenn Holmes und seine Gefährten direkt in London eine verborgen liegende nachgebaute Pyramide finden, einen geheimnisvollen ägyptischen Tempel, in dem ein gespenstischer Totenkult seine Rituale feiert. In dieser Sequenz kommt Levinson insbesondere Spielbergs »Temple of Doom«, den Spielberg auch kurz vorher erst gedreht hatte, sehr nah. So mutet diese bemerkenswerte Sequenz wie eine zahmere Variante aus Spielbergs Film an. Und kurz darauf verschlägt es den Film schließlich auch bei eine Verfolgungsjagd auf einen nebel-behangenen Friedhof, wo der Tod sich ins Fäustchen lacht, dunkle Erinnerung an Schuld geweckt werden und böses Gebäck zum Leben erwacht. Das Phantastische in diesem Film schmiegt sich folglich auch beim klassischen Horrorfilm an. Fasst man das nun alles zusammen, so muss man wohl eindeutig sagen, dass der Film eine kuriose Mischung aus Genres und Ideen ist, die zwar etwas plump mit seinen Verweisen (Stichwort: Moriaty) umgeht, aber auch ein Film, der ein Reichtum an Schauwerten und Effekten bietet und in dem der Mythos in seinem sentimentalen Ende aus Schmerz und Verlust geboren wird, wenn die (weiße) Unschuld stirbt. Ein Motiv, das schließlich auch für das Ende einer Kindheit steht.


6.0 / 10

Autor: Hoffman 

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