Donnerstag, 3. November 2011

Rated R - Actionkino abseits des Mainstreams : "Running Scared"

Sieht sich in die Enge getrieben: Paul Walker
Der erinnerungswürdige Abspann mit den fantasymäßig gezeichneten Darstellern läuft und es wird einem schlussendlich klar, dass man es hier mit einer Art modernem Märchen zu tun hat, für die Gegenwart entsprechend finster und ultrabrutal geupdated.
Die ersten fünf Minuten enthalten vermutlich mehr Flüche, Beleidigungen und Gewalt als alle "Die Hard"-Teile zusammen. 

Wayne Kramers bleihaltige Orgie sorgt von Anfang an für hochspannende, auf Hochglanz gestylte Actionthrillerunterhaltung der dreckigen Sorte, formal und inhaltlich angesiedelt zwischen "Smokin´Aces", "Crank" und Tarantino, befreit von jeglichem Humor. Und eben letzterer trifft den schießwütigen Kracher auch am besten, wenn er ihn wie folgt beschreibt: "This is why they call them Motion Pictures!"

"Running Scared" geizt nicht mit spektakulären Einstellungen
Der Titel "Running Scared" ist mehr als passend, pure Dynamik in jeder Szene, der ganze Film wirkt wie ein lebendiges, pulsierendes Etwas. Man verfolgt Hauptcharakter Joey (Paul Walker), der eine Waffe vom Tatort einer verpatzten Geldübergabe verschwinden lassen soll, bei dem auch FBI-Leute ums Leben gekommen sind. Unglücklicherweise krallt sich der Nachbarsjunge Oleg beim Besuch besagtes Corpus Delicti und fängt damit an, auf seinen alten Herren (Karel Rodel) zu ballern. Der vergöttert John Wayne, weswegen er auch extra ein flächendeckendes Tattoo vom Cowboy auf seinen Rücken gestanzt hat. Abgesehen von seinem Filmhelden interessieren ihn weder seine Frau noch sein Sohn sonderlich, bis der Sohnemann ihn anschießt. Er überlebt, wird ins Krankenhaus gebracht und Sohn Oleg ist verschwunden, zusammen mit der Waffe. Hier wirds brenzlig für Joey, denn falls die Polizei -unter ihnen auch der korrupte Detective Rydell (klasse: Chazz Palminteri aus "Die Üblichen Verdächtigen")- vor ihm die Waffe erwischt, ist er geliefert. 

Ab da beginnt die Hetzjagd, ständig ist einer der Protagonisten auf der Flucht, hetzt durch die nächtliche Stadt, jagt mit dem Auto von Stripclub zu Imbissbude. Gewalt und Sex, Dreck und Schmutz, so weit das Auge reicht. Dabei verkommen die wenigen Stunden dieser Nacht zu einem Querschnitt durch den sozialen Abschaum, der sich hier in seiner ganzen abstoßenden Vielfältigkeit und pathologischen Gestörtheit die Klinke in die Hand drückt. An scheinbar jeder Straßenecke wartet der nächste Verbrecher der noch brutaleren Marke, Junkies, Drogendealer, Zuhälter, korrupte Cops, die Mafia und und und. Immer wenn man denkt, schlimmer kann es nicht mehr kommen, dann präsentiert uns "Running Scared" sein nächstes abgefucktes Individuum. Wendung folgt auf Wendung, Kugel folgt auf Kugel, das Blut fließt und spritzt in Strömen, ein Kindergeburtstag ist das hier sicher nicht. Gemäß der Thematik ist das Ganze auch formal sehr düster gehalten, durch die zeitdeterminierte Situation spielt sich das Meiste in Dunkelheit ab.

Die Optik ist sagenhaft, die Kamera springt und wirbelt in den (un)möglichsten Perspektiven und Einstellungen, Zeitraffer und Zeitlupen, übersättigte Kontraste und ein rasanter Schnitt tun ihr übriges.
Charakterzeichnung ist eher nebensächlich, das verstärkt nur den comichaften Stil, genauso wie die geradezu exzessive Brutalität, die hier ganz ähnlich wie in "Smokin´ Aces" idealisiert wird. Der Unterschied hierbei ist bloß, dass "SA" eine schwarzhumorige Actiongranate war, "Running Scared" ist todernstes Thrillerkino mit Actioneinlagen, auch wenn die Dialoge teils zum Schmunzeln anregen.

Spätestens nach diesem Film sollte jedem klar werden, dass Paul Walker sein Sunnyface-Image endgültig an den Nagel gehängt und sich zum ernstzunehmenden Schauspieler entwickelt hat. Sein verzweifelter Streifzug durch die Stadt zeigt seine Qualitäten als facettenreicher Darsteller, der auch dunkle Seiten des Menschen ohne Probleme verkörpern vermag.
Joeys Ehefrau wird von Vera Farmiga ebenfalls sehr gut gespielt und auch sie sieht sich am Morgen danach damit konfrontiert sieht, dass die Welt eben nicht nur rosarot ist: "I have never seen Evil before the night, Joey. Real fucking Evil!"
Cameron Bright meistert seinen Job als flüchtendes, misshandeltes Kind hervorragend und hält den Zuschauer mit seiner unergründlichen Mimik in der Schwebe über seine Rolle.
Das ist tatsächlich eine der größten Stärken von "Running Scared": Es ist völlig unklar, auf welcher Seite jede der Personen wirklich steht, Vertrauen bedeutet meist einen frühen Tod.

ACHTUNG SPOILER
Seinen emotionalen und erschütternden Höhepunkt erlangt "Running Scared" zweifelsfrei, wenn sich die so freundlichen Eheleute mit den zwei Kindern als pädophiles und sadistisches Paar herausstellen, die zwecks Befriedigung ihrer perversen Fantasien eigens eine riesige Sammlung an Filmmaterial angelegt hat, selbst gefilmt, beschriftet mit den Namen der Opfer. Darunter befinden sich die Folterwerkzeuge, die Klingen, Zangen und anderen Utensilien, mit denen sie sich ohne weiteres einen Ehrenplatz in der Hölle gebucht haben.
Zu sehen, dass der schüchtern wirkende Mann und seine hübsche, nette Frau solche menschliche Abgründe ausleben, die man ihnen einfach nicht zugetraut hätte, das geht dann schon richtig an die Substanz, da umschließt ungläubige Abscheu und Fassungslosigkeit die Seele und verstört zutiefst.
SPOILER ENDE

Die monsterhaften Schatten sind ein bewusst eingesetztes Stilmittel
Kramers Film ist eine garantiert nicht jugendfreie, knüppelharte und brillant inszenierte Tour De Force durch das nächtliche Stadtleben geworden, die mit ihrer alles umhüllenden Atmosphäre einen Sog entwickelt, dem man sich kaum entziehen kann. Unglaublich hart, unglaublich spannend, unglaublich cool gefilmt, mag dem ein oder anderen auch vielleicht die mangelnde Figurenzeichnung oder der Ausgang der Geschichte sauer aufstoßen, der auf den ersten Blick so garnicht hineinpasst. In erster Linie kann man sich aber über so einen mutigen und unkonventionellen Actionthriller freuen, der storymäßig amerikanische Tabus bricht und ungeschönt die hässliche und dreckige Fratze der Gesellschaft zeigt.
"If anything can go wrong, it will - and at the worst possible time" 


9 / 10 

Autor: seven

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