Dienstag, 25. Oktober 2011

Kritik: "Trainspotting"

"I'm worth a million in prizes/ With my torture film/ Drive a G.T.O./ Wear a uniform/ All on a government loan"

"Choose life!"
Iggy Pop krächzt "Lust for life", Ewan McGregor läuft sich die Seele aus dem Leib und erklärt in einem vor Zynismus triefendem Voice-Over seine allgemeine Sicht auf das Leben. Das alles ereignet sich in einem der coolsten, dynamischten und besten Intros ever, Boyle pumpt die Story gen Höchstgeschwindigkeit und landet mit vollem Karacho im Leben eines schottischen Taugenichts.  
"Ich hab zum Ja-Sagen Nein gesagt. Und der Grund dafür? Es gibt keinen Grund dafür. Wer braucht Gründe, wenn er Heroin hat?" 

McGregor/Mark Renton ist professioneller Allround-Loser, seine Freunde ebenfalls. Johnny Lee Miller/Sick Boy plaudert gerne über den qualitativen Verfall der Filmwelt in den letzten Jahren und gibt seine Theorien über Alles und Jeden zum Besten. Kevin McKidd/Tommy ist das Vorzeige-Goldlöckchen, dem später ein süßes Kätzchen und seine ausgeschiedenen Fäkalien zum Verhängnis werden. Ewen Bremner/Spud ist der naive, liebenswerte Trottel (sein Missgeschick im Bett der Freundin: legendär), der keinem was zu leide tun will, aber trotzdem als Einziger ins Kittchen wandert. Und Robert Carlyle/Francis Begby hat seinen Psychopathenschein offensichtlich mit summa cum laude abgeschlossen hat, agressiv, pöbelnd, Streit suchend, ein Choleriker, wie er im Buche steht.

"Trainspotting" sprüht nur so vor originellen Ideen, geiler Kamerainstrumentierung, fetziger Musik, herrlichen Zitaten und schwarzem Humor. Die kultverdächtigen Szenen häufen sich im Sekundentakt (Vorstellungsgespräch auf Speed, Abtauchen in die beschissenste Toilettenschüssel Schottlands, Observierung eines Köters und anschließendes Abschießen einer Luftgewehrladung auf den Wauwau, der sein Herrchen anfällt). Das ist alles so cool und britisch, dass die Freudestränen im Springbrunnen-Format herauslaufen. Besonders hoch anzurechnen ist Boyle, dass er jenes fundamentale Dilemma anspricht, das sich als elementares Grundproblem eines jeden Abhängigen manifestiert: Der Versuch eines Süchtigen, mit WAS-AUCH-IMMER aufzuhören. Denn das ist so viel schwerer als man vermutet. 

Die irrsinnige Ironie, das Paradoxon zieht sich durch "Trainspotting": Mark weiß selbst, dass er ohne fachmännische Therapie kaum Chancen hat, clean zu werden. Aber dieses Wissen nützt ihm garnichts, sein durchaus vorhandener Intellekt läuft gegen die Wand der schlichten Sucht. Das Wissen darüber, dass man süchtig ist, bringt dich nicht von der Sucht weg. Brutale Realität. Das geht soweit, dass Mark seine eigenen Eltern beschimpft und übel beleidigt, weil sie ihn zur "Ausnüchterung" in sein Zimmer einsperren. "Trainspotting" wandert permanent auf dem dünnen, fragilen Grat zwischen Komik und Dramatik, begibt sich in unmittelbare Nähe zur Geschmackslosigkeit, ohne ihr je zu verfallen.
"Personality, I mean that's what counts, right? That's what keeps a relationship going through the years. Like heroin, I mean heroin's got a great fucking personality." 


8.5 / 10

Autor: seven

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