Samstag, 5. November 2011

Kritik: "The Gift"

"Hört gut zu. Und dann kriegt ihr von Gott, was ihr verdient habt! Die Mauern werden einstürzen! Jericho ist deine Heimat! Halleluja! Und das Schöne, das Schöne daran ist... Hört mir zu! Ich habe gesagt, das Schöne daran ist, wenn ihr nach Jericho kommt. Joshua hat den weiten Weg bis in den Norden Israels gemacht, und Gilborah! Er hat sie alle erobert! Und überall, wo er hinkam, schlossen er und das Königreich sich zusammen! Sie rüsteten sich und bildeten ein Bündnis gegen ihre Widersacher, doch niemand konnte sich ihnen in den Weg stellen! Jeder, der sich ihm widersetzte, wurde von Joshua vernichtet, weil Gott bei ihm war, als die Mauern Jerichos einstürzten! Und in der Bibel stand: Ich bin bei dir. Und das Schöne daran ist, dass nicht ein Soldat im Kampfe fiel. Nicht einer! Nicht ein Einziger! Wenn Gott für dich kämpft, ist jeder Soldat wichtig! Wenn Gott für dich kämpft, ist jeder Soldat wichtig! Gott schenkt dich nicht dem Teufel! Denn jedesmal, wenn jemand Gott gehorcht, kann der Teufel dich nicht vertreiben! Er kann dich nicht vor deiner Zeit auslöschen! Wenn ihr euch an Gott haltet, dann ist es egal, was der Teufel für euer Leben vorsieht. JESUS kann euch befreien! JESUS kann euch erlösen! JESUS kann euch aus dem Kerker holen!"

Hexerei, Teufelsbeschwörung und Anbetung des Satans: Annie Wilson (Cate Blanchett) muss sich in ihrem Status als lokale Hokuspokusattraktion einiges anhören, obwohl sie ihren Kunden -oder sollte man besser sagen Patienten- meist helfen kann. Als sie ihrer Stammkundin Valerie (Hilary Swank) rät, sich von ihrem Ehemann Donnie (Keanu Reeves) zu trennen, spitzen sich die Dinge zu. Donnie ist nämlich seines Zeichens grober und gefährlicher Rohling, der alsbald Annie einen nächtlichen Besuch abstattet, bei dem er sie vor den Augen ihrer Kinder bedroht, inklusive Voodoopuppe. Bei einer Feier beobachtet sie dann, wie der Schuldirektor ihres Sohnes von seiner Gattin in spe hintergangen wird, nur um am Tag darauf zu verschwinden. Aus mangelnden Hinweisen wendet sich die Polizei an sie, um von ihr bei den Ermittlungen durch ihre Begabung unterstützt zu werden.

Noch bevor "Spider-Man" Unmengen an Dollar einspielte, unternahm Sam Raimi einen Abstecher ins Okkulthorrorfach, in welchem er sich mit Anfang zwanzig einen Namen gemacht hatte. Dabei sind die splatterigen Anteile aber im Vergleich zur "Tanz der Teufel"-Trilogie nicht existent, auch wenn sich stellenweise zünftig gegruselt werden darf. Dennoch, "The Gift" ist als Endprodukt betrachtet Genresynkretismus, Elemente des Mysterykinos kommen ebenso vor wie die des Thrillers oder Dramas und nicht zuletzt ist der Film auch gelungenes Portrait einer südstaatlichen Gemeinde.

Es ist in erster Linie der versierten Regie und dem erstklassigem Cast zu verdanken, dass dieser Mix über weite Strecken ausgezeichnet aufgeht. Die hohen, gekrümmten Bäume am Ufer, die trüben Gewässer, die Schwülheit des Klimas werden sehr gut eingefangen, vermitteln den Flair dieses südamerikanischen Lebens. Raimi verpackt die Geschichte in ein sehr ansprechendes Gewand aus leisen und doch ausdrucksstarken Bildern und Tönen und fügt äußerst routiniert genretypischen Zutaten hinzu.

Der zweifelsfrei größte Pluspunkt spiegelt sich in seinem außerordentlichem Starauflauf wieder, der fast ausnahmelos beeindruckt. Einzig und allein Hilary Swank nervt hier. Als Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird und gleichzeitig von ihm abhängig ist, ging sie mir mit ihrem chronischen Wunsch, sich die Karten legen zu lassen, schon recht bald auf den Geist. Dieser kleine Mangel wird durch ihre begrenzte Spielzeit und die übrigen Darsteller aber ohne Weiteres vergessen gemacht.
In Cate Blanchett war ich sowieso schon immer leicht verliebt und auch hier erweist sie sich als Idealbesetzung. In ihrer Rolle der verwitweten Mutter von drei Söhnen glänzt sie, sie fesselt emotional. Mal stark, mal zerbrechlich, immer authentisch.
Giovanni Ribisi ist grandios als Außenseiter Buddy Cole, der Annie als einzige Bezugsperson sieht und beim Versuch, sich seiner Vergangenheit zu stellen, tragisch scheitert. Er hat das Herz am rechten Fleck und doch ist es beängstigend, wenn er unter seinen plötzlichen Stimmungsschwankungen leidet. Höchst labil, höchst menschlich und letztlich verloren in seiner brutalen Kindheit.
Der großartige Greg Kinnear spielt auf leise, subtile Weise Wayne Collins, dessen Frau (grundsolide als Dorfflittchen: Katie Holmes) verschwunden ist. Sensibel, freundlich, seelisch zerrüttet ob des Verschwindens seiner Geliebten.
Wer mich dann aber meisten erstaunt hat, war niemand anderes als Keanu Reeves, der für mich bis dato eher der Inbegriff von Mimikstarre und Ausdrucksarmut war. Aber siehe da, er hat mich begeistert, wirkt bedrohlich als rassistischer Brutalo und füllt seinen Part wahrhaft hervorragend aus, Hut ab.
In kleineren Rollen gefallen Michael Jeter als Pflichtverteidiger, Gary Cole als Staatsanwalt und vor allem J. K. Simmons als konservativer und pragmatischer Cop.

Das Drehbuch von Billy Bob Thornton funktioniert in seiner etwas einschränkenden Sperrigkeit gut, zumal es einerseits echte Charakterzeichnung erlaubt, gleichzeitig aber auch den Plot in angemessen Tempo vorantreibt. Einige der gestreuten Fährten stellen sich zu früh als offensichtliche Ablenkungsmanöver heraus und unterm Strich war man sich wohl auch nicht hundertprozentig sicher, ob nun mehr Wert auf den dramatischen, okkulten oder kriminalistischen Aspekt gelegt werden sollte. Jedoch gelingt es am Schluss die Story rund abzuschließen.
So entwickelt sich die Geschichte zunehmend vom Mysteryhorror zum Thrillerdrama, dessen Auflösung nicht ganz so überraschend wie geplant ist, aber dennoch gut in Szene gesetzt wurde. Der kleine Twist, der nach der eigentlichen Lösung noch geboten wird, steuert das Ganze dann wieder mehr in die übersinnliche Richtung, kommt aber abrupt und überzeugend daher.

"The Gift" ist mitunter herausragendes Schauspielkino, das sowohl als stimmige Milieustudie wie auch guter Krimi funktioniert. In jeder Hinsicht empfehlenswert!


7 / 10 

Autor: seven

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