Samstag, 28. Januar 2012

Klassiker der Extraklasse: Das große Fressen


                                             "Das Fressen kann beginnen."

Wer liebt nicht Feste, Feiern und große Fetten. Das Dinner ist serviert (alternativ: Es ist angerichtet), so stets der Satz, der alle Gäste in Rage versetzt und sie auf das Buffet stürmen lässt, so im gewöhnlichen Falle. Manche überfressen sich dabei, kennen keine Gnade und verschlingen jenes Essen, mögen dabei fast einen Staubsauger gleich kommen. Da mag man sich doch glatt fragen: Kann man sich eigentlich zu Tode fressen? Eine Frage, die dem Anschein nach ausweglos scheint. Ob vielleicht der Skandalfilm "Das große Fressen" von Marco Ferreri aus dem Jahre 1973 jene Frage beantworten kann? Kann er oder kann er nicht, völlig irrelevant im Kontext. Klar ist, dass Ferreris Film einen echten Skandal hervorrief und selbst heute meine ich hat er nichts von seiner scharfen Kritik seinem Unappetitlichkeit oder seinem besonderen Geschmack verloren.


 "To be or not to be. That is the question!"

Dazu tischt Ferreri schon bei der Handlung ein ein schockierendes Stück Handlung (besser bekannt als: Gesellschaftssatire) auf, an sich zwar recht einfach gehalten, doch Ferreri präzise dabei in Hinsicht auf seine geübte Kritik auf die Konsumgesellschaft und den Hedonismus, somit damals wie heute (vermute ich) skandalös. Dafür nimmt er sich vier/fünf verschiedene Hauptprotagonisten und haucht jene Charaktere noch im symbolisch-interessanten Maße an, und doch scheint ihr Treiben zunächst im Dunkeln zu liegen: Vom Leben arg gelangweilt beschließen vier Freunde sich ein letztes großes Festmahl zubereiten, um so kurz darauf aus dem Leben zu scheiden. In jenem "Fressen" suchen die Absolution des Genusses und der zügellosen Lust, den hier scheint das letzte Vergnügen zu liegen, welches den vier Herren geblieben ist. Zu jener Völlerei folgen auch bald bestellte Prostituierte (drei an der Zahl) und die Lehrerin Andrea, welche als einzige von diesen zum Dauergast dieser "Fress-Orgie" wird...



  "Ja wir müssen essen. Immer weiter essen!"

 Dazu bittet er zu Tisch die große Schauspiel-Garde jener Zeit, welche frei von allen Hemmungen agiert, ob nun der brillante Marcello Mastroianni als lüsternder und sexsüchtiger Pilot Marcello (passend geschrieben zu jedem Schauspieler der dazugehörige Rollenname). Eigentlich eine Paraderolle für Mastroianni erneut ein heißblütiger und charmanter Casanova und Frauenheld, sogar teilweise mit putziger Piratenklappe. Weiterhin noch eleganter Michel Piccoli als streng gesitteter TV-Produzent, zunächst noch zurückhaltend-bedacht und moralisch, welcher lernt seine vorzügliche Erziehung hinter sich zu lassen und doch gerade in der Hinsicht seinen eigenen Untergang findet. Außerdem noch als Chefkoch und Genießer, welche stets das Fest anrichtet und die ihn und die Freunde mit Delikatessen beliefert Ugo Tognazzi, der vielleicht undurchsichtigste aller Charaktere, dch seine Liebe zu seinem Essen und seinen Messern unverkennbar. Und selbst eine eine gekonnte Brando-Paten-Imitation scheint gewissen zu Charme und Witz zu besitzen. Tognazzi exzellent bei der Zubereitung seiner Zutaten und selbstredend auch beim Spiel. Als Gastgeber und Richter, welcher die Stadtvilla bereit stellt und zum festlich-perversen Vergnügen einlädt, ein überzeugender Philippe Noiret, mit dem Hang zur Melancholie und zur wahren Liebe. Und als Sahnehäubchen und das Objekt der Begierde für die vier Freunde Andréa Ferról, üppig-drall und mit viel Herz dabei. Eine angenehme Gesellschaft zum Abdanken könnte man meinen.



"Du stirbst nicht, wenn du nicht frisst"

Ferreri besteht dabei auf die Rolle des Küchenchefs welcher die Zutaten interessant zusammen mischt und ein Fressen der besonderen Art kreiert. Seine Kritik an der Konsumgesellschaft nicht zu verachten und sicherlich messserscharf. Anfangs noch recht gemächlich und ohne größere Maße der Abscheulichkeit, doch Ferreri steigert sein Treiben mit jeder Minute konstant, bis zum regelrechten Überfluss an seinen Zutaten von Sex, Völlerei, Fäkalien und weiteren. Da  ähnelt seine Inszenierung (wie passend) fast einem gigantischen Fest ähnelt, voller Perversität und Abscheu. Das Essen und der Konsum scheinen stets präsent. Das Treiben scheint kein Ende zu finden und doch scheint es anders in Sicht als man dachte, wie sagt man so schön: "Alles hat ein Ende, nur Michels Blutwurst hat zwei ..." - Besonders letztlich scheint Ferreri keine Konventionen der Sitten mehr zu kennen, was einen durchaus faszinierenden Aspekt am Ganzen bot, doch zugegeben irgendwie widerlich, ekelig oder abstoßend mag er bei seiner Darstellung jener Fress-Szenen schon vorgehen, obwohl man dies wohl auch als konsequent gehandhabt bezeichnen könnte. In jedem Fall ist die subjektive Einschätzung das wichtigste, man würde sagen Geschmackssache. Ferreri rechnet böse ab, er scheut weder Zynismus noch eine gewisse Obszönität oder die völlige Zerstreubung der damaligen Sehgewohnheiten, insofern empfand ich "Das große Fressen" doch stets irgendwie als faszinierend und interessant zu betrachten, auch wenn ich erneut vermerken muss fies nicht unbedingt mit einem wohligen Gefühl im Magen. Dazu Ferreri packt seinen Film sogar irgendwie humorvoll an, mit derben Humor verziert, grotesk inszeniert. Es scheint als kenne die Dekadenz kein Halten mehr...immer und mehr...Überfluss bis zum Limit.



"Hast du Angst vor mir?" - "Nein mir fehlen hier nur zwei Knöpfe." - "Mein armes Dickerchen."

 Zudem noch von der Kamera in prachtvollen Bildern der Delikatessen festgehalten, optisch interessant gehandhabt wie auch opulent gefilmt im Ganzen. Besonders die großen Orgien-Sequenzen scheinen hierbei einen irgendwie interessanten Charme zu besitzen, den ich mir aber dennoch nicht ganz erklären kann. Und wie erwähnt auch die Figurenkonstellation mag interessant gewählt sein, wenn auch nicht perfekt.


                      
                                              
So bleibt mir dann letztlich nur noch zu sagen, dass "Das große Fressen" wohl zurecht als großer Skandalfilm der 70er Jahre gesehen wird, nicht umsonst sorgte er bei seiner Uraufführung in Cannes für Furore. Obwohl ich mich frage wie man einen solchen Film überhaupt werten soll. Ein deftiges, gewöhnungsbedürftiges, vielleicht widerlich-perverses, provokantes und insgesamt für mich mehr als sehenswertes filmisches Geschmackserlebnis, auch wenn ich ehrlich gesagt niemanden den Hass oder gar das Missfallen gegenüber dem Film verübeln kann..."Alles frisst auf mein Kommando!"

                           
 7 / 10

Autor: Hoffman

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