Samstag, 17. September 2011

Kritik: "Pusher"

"Du har ikke en chance. Grib den." ("Du hast keine Chance. Nutze sie.") - Hammerhartes Regiedebüt aus Skandinavien vom damals erst 26 jährigen Nicolas Winding Refn (seine Schwäche für ungestüme, anarchische Charaktere führte ihn später auch zu "Bronson"). Storytechnisch ähnlich den Anfängen eines Boyle oder Ritchie (gewisser Wiederkennungswert: Die Namen der Charaktere werden zu Beginn in weißen Großbuchstaben eingeblendet), dabei jedoch konsequent darauf bedacht, den Realitätsbezug im Auge zu behalten. Das schmucklose und nüchterne Sezieren von Verlierertypen und ihren zum Scheitern verurteilten Handlungsketten hat absolute Priorität (insofern ist auch ein Bezug zu "Ex Drummer" gegeben).
Tonny und Frank (rechts) warten auf ihre Geschäftspartner aus Schweden
Ein verpatzter Drogendeal mit dem "Schweden" und schon wird ein kleiner Fisch mit der schiefgegangenen Aktion in vollem Umfang konfrontiert. Ganove Frank flüchtet, flucht und schlägt wild um sich, zwischen Polizeiarrest, Stripclub und Anpumpen der eigenen Mutter findet sich immer wieder eine Gelegenheit, sich die nächste Ration Heroin einzusaugen. Doch die Uhr tickt und er muss 230.000 Kronen zurückzahlen. Sein Knastkollege und Geschäftspartner hat sich aus dem Staub gemacht und Kumpel Tonny hat gegen ihn ausgeplaudert. Den Stoff hat er auf dem Seegrund versenkt und zusätzliche Schulden stehen bei Boss Milo auch noch an. 

Die Hauptrolle trägt Kim Bodnia fantastisch, überzeugend stellt er sich dem zermürbendem Stress entgegen, der von allen Seiten auf ihn eindrischt. Nach 24 Stunden im Polizeipräsidium sitzen ihm seine jugoslawischen Gläubiger im Nacken. Zlatko Buric legt eine grandiose Nummer als osteuropäischer Geldleiher hin. Milo ist charismatisch und väterlich, im nächsten Moment legt er die großzügige Onkel-Masche ab und mutiert zum eiskalten Geschäftsmann. Mads Mikkelsen spielt in einer Nebenrolle als debiler Junkie Tonny groß auf, wobei er hauptsächlich pursten Nonsens von sich gibt. Sein Gesprächsinhalt besteht aus sexuellen Praktiken (wobei er sich in einer wunderbar bescheuerten Diskussion mit Frank als Anhänger von extravaganten Methoden outet), Drogenkonsum und ähnlich wertvoller Körperertüchtigung. Das verliert sich aber niemals im Pseudogangstergefasel mit Extraportion Proleten-Attitüde, sondern ist der verbale Beitrag zu dem Leben in der intellektuellen und sozialen Unterschicht. Mikkelsen ist von oben bis unten abgefuckt, hineingeworfen in sein stupides Dasein als wandelnde Drogenbombe. 


"Pusher" ist kein Epos à la Coppola, Scorsese oder Audiard, sondern ein atmosphärisch herausragender Bastard und Genreausreißer über Kleinkriminelle und die Abwärtsspirale im Drogenbusiness, porträtiert in einem Zeitraum von einer Woche. Ein Thriller über das dänische Kriminellenleben Mitte der Neunziger, über die (finanzielle) Abhängigkeit im Untergrund. Irgendjemand hat immer bei irgendjemandem Schulden und irgendjemand wird immer dafür bezahlen. Wenn der direkte Schuldner die Moneten für das Dope nicht auftreiben kann, dann eben der Schuldner unter ihm. Und der schiebt sich zur Not und aus Furcht vor Bestrafung lieber den Flintenlauf in den Mund und drückt ab. Nur eine von vielen Stellen, in denen ich Gänsehaut wegen des intensiven Schauspiels bekam. Überhaupt, was hier an Authentizität (sie dringt "Pusher" aus allen Poren: Wackelkamera, famos actende Laiendarsteller, Straßenjargon) geboten wird, ist heftig. Zu der stimmigen Zeichnung des Straßenmilieus und den großartig aufspielenden Darstellern gesellt sich ein rotzig-cooler Soundtrack ("Bleeder", "The Prisoner" u.a.), der wie die Faust aufs Auge passt und die dreckige Ambiente weiter anheizt, das "Pusher"-Theme erreicht einen stattlichen Ohrwurmfaktor. Das offene Ende ist in seiner Ausweglosigkeit einfach nur krass. Es geht nicht um Loyalität und Familientreue, sondern um die nackte Existenz. Hier ist sich jeder selbst der Nächste. 


8 / 10

Autor: seven

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