Mittwoch, 2. November 2011

London Calling- Guy is back: "RocknRolla"

"I'm a man | I spell M-A-N | Woah, I'm a man"
Totgesagte leben länger. Entlastet von weiblichen Kletten findet Guy Ritchie zu sich selbst zurück. Zehn Jahre nach seinem furiosen Debüt ist London für ihn noch immer Reagenzglas, unter dessen Linse die Kriminalität im Subkulturenkreis erforscht wird. Die Wolkenkratzer sind zahlreicher geworden und das politische Klima hat sich verändert, Zeit der Innovationen, globalisierte Welt: "Times are changin´. They have no respect to the old school." 
 
Ritchie hat es nicht verlernt. Erneut führt er seine kauzigen Charaktere sicher und stilbewusst durch einen großartig verschlungenen, durch groteske Konstellationen, (Schuld-)Beziehungen verkomplizierten Gaunerplot, zugestopft mit Cockneyslang, Arbeitermilieuatmo, staubtrockenen Dialogen, schwarzem Humor und donnerndem Rock, dass der Schädel dröhnt. 
The fucking headmaster: Lenny Cole

Guy reproduziert in erster Linie sich selbst und vermag es doch, "RockNRolla" eine eigene Note unabhängig von Kartenspielen, Wettschulden, Schweinen und Diamanten zuzugestehen. Und er managt trotz jahrelanger Abstinenz das, was in der zweiten Hälfte der 00er Jahre meist kläglich scheiterte: Coolness mit Gewalt zu verbinden. Nicht im expliziten, an sich selbst aufgeilenden, Comicstil. Nicht das stumpfsinnige, mechanische "cool", das pubertierende Kapuzenkids für einen Videospielheadshot verwenden oder für millionenteure Explosionen in einem seelenlosen Big-Buget Blockbuster eines gelangweilten Videoclipregisseurs, dessen Tagespensum darin besteht, seine 22 jährige Praktikantin flachzulegen.
In "RockNRolla" wird gerockt bis zum Unfallen, hier funken die Szenen permanent vor Spielfreude, Tempo und bebender Dynamik, die so ultracool ist, als wollte der abgeschriebene Mann uns sagen: "Seht her, so geil kann Kino sein." 

Das Intro ist typisch Guy und deshalb so gut, old school, schön schrammlig, unterlegt von einer Bassline, die die Nackenhaare aufstellt, das bewusst altmodisch inszenierte Voice Over von Mark Strong, der im OT mit tiefer und einprägender Stimme und Londoner Straßenjargon gleich mal zeigt, wo der Hammer hängt, nämlich verdammt weit oben, der uns erzählt was ein RockNRoller ist. Von der Kamerabeobachtung erinnert es verdächtig an "Departed", Toby Kebbell bleibt wie Nicholson in Scorseses Irish Mafia-Epos zunächst ohne Gesicht, bis zur endgültigen Antwort: "But a RocknRolla, oh, he's different. Why? Because a real RocknRolla wants the fucking lot."
Stella hat One Two schon längst um ihren hübschen Finger gewickelt
 
Fantastisch geschossene Credits, unterlegt vom sattsam bekannten Braun (Welcome back to working class) und dröhnendem RockNRoll, manifestiert in "Black Strobe" als Maintheme-Donator. Die Einführungsszene ist unvefälscht und waschecht Ritchie, Protagonisten mit obskuren Namen werden vorgestellt, ihre aktuelle (problematische) Situation wird humorvoll erörtert und irgendwann überschneiden sich die Wege unserer Typen, kreuzen sich, prallen frontal aufeinander, enden in einem Blutbad oder lösen sich wieder voneinander. Wie schon in seinen Frühwerken geht Ritchie die verschiedenen Schichten, Stände und Ideologien durch. Das hat sich im Phänotyp geändert, die illegale Antriebskraft der oberen Ebene hat sich vielleicht in die Büroräume schwerreicher Anzugträger zurückgezogen, aber der Kern ist derselbe. Es geht um Gefälligkeiten, um Abhängigkeiten, um Loyalität und um Einfluss. 

Und hier tummelt sich eben auch Lenny Cole, overactend dargestellt von Tom Wilkinson, der Mann, der Kredite vergibt, weil er es kann und weil er aus diesen Schuldverhältnissen seine Vorteile zieht. Mit Sonnenbrille, Zigarre und offen zur Schau getragenem Abscheu vor jeglichem kulturellen Import, läuft er zur konservativen Hochform auf, wenn er politisch unkorrekt russischen Hintergrund mit Kommunismus gleichsetzt. Das ist natürlich überzogen und überholt, genauso One Two´s Schwulenfeindlichkeit, aber das ist Ritchies Visitenkarte und sein Fundament für diese rotzfreche Gangstersatire. Mark Strong, mit säuberlich gegelten Haaren, Lennys Handlanger Archy, Mentor in der Kunst des Slappings, treibt die Leute auf, macht sich nicht immer die Hände schmutzig, aber ist oft gefährlich nah dran. Gerald Butler ist der charismatische Kleinganove und Statham-Ersatz One Two, der zusammen mit seinen Kollegen bei Lenny in der Kreide steht. 

Stilsicherheit und Coolness in Person: Archy (Mark Strong)
Und weil Lenny das "Lucky painting" seines russischen Geschäftspartners Uri (tolle Mischung aus melancholisch und gefährlich: Karel Roden) abhanden gekommen ist, weil Lennys tot geglaubter Sohn Johnny Quid (Sixpack und rebellische Natur am Start: Toby Kebbell) plötzlich wieder von den Toten aufgestanden ist, weil die gewitzte Sekretärin des russischen Unternehmers (Hot, funny and underhanded: Thandie Newton) gerne nebenbei Kohle abstauben möchte und weil "The Wild Bunch" rund um One Two (unfassbar witzig: Gerard Bulter) und einem homosexuellen Handsome Bob (schwul und cool: Tom Hardy) sich (selbstverschuldet) in brenzligen Situationen wiederfindet, eben deswegen stürzen die Erzählstränge, die individuellen Intentionen völlig verschiedener Individuen aufeinander, überforderte Engländer fliehen vor russischen Schlägern, es fließt Champagner, aber eben auch das Blut. 

"Don´t hurt me Arch, I´m only little!"
Dass einige Charaktereskizzierungen auffällig angelehnt sind an "Lock, Stock & Two Smoking Barrels" oder "Snatch", dass einige Sätze fast wortwörtlich aus den eigenen Vorgängern zitiert werden, das alles stört nicht wirklich. Die Inszenierung ist sagenhaft, Ritchie findet immer haargenau den Rhythmus für seine Bilder, stets konvergent zur lauten Musik. Beispielsweise wird eine Liveperformance der Indieband "The Subways" mitgefilmt, parallel dazu kommt es außerhalb des Clubs zu einer Keilerei zwischen dem glatzköpfigen Türsteher und Vollblutrocker Johnny. Dabei wird hin und her geschalten zwischen Konzert und Schlägerei, wobei Johnny dem Anderen adäquat zur fetzigen Single "Rock & Roll Queen"den Schädel einschlägt, unglaublich genial und kraftvoll gefilmt.
Mit den Worten eines enthusiastischen Kinobesuchers aus den USA: "This is just cool as fuck!" 


8 / 10

Autor: seven 

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