Freitag, 19. Juli 2013

Es lebt! - Klassiker der Extraklasse: Frankenstein (1931)



»Now I know what it feels like to be God!« - Gehen wir weiter in der Filmgeschichte und noch dichter an das Horrorgenre und zur werten Mary Shelley, zum Ton und zu James Whale, zu »Frankenstein« aus dem Jahre 1931, der zweiten Verfilmung (mehr Interpretation) von Mary Shelleys Roman, drastische Abweichungen inklusive. Bereits im Jahre 1910 als Kurzfilm verfilmt, wobei man dieser die Kreation des Frankensteins eher alchemistischen Kräften zuschrieb. Es ist also wieder der Beginn einer Legendenbildung. Doch hier wird gewarnt vor hiesigen Unheil und dem Schrecken des Films und großes Fürchten prophezeiht vorm großen Vorhang des Kinos, der Präsentant als eine Art Magier für den Zuschauer. Zugleich verführt Whales aber auch mit (wieder so ein vermeintlich bekanntes Wort) mit expressionistischen Anleihen, die sich hierbei in Schau und Spiel von Licht und Schatten auf die Kulisse niederschlägt. Infolgedessen ergibt sich daraus ein stimmiges Bild eines Horrorfilms.



Man führt zurück ins 19 Jahrhundert, es heißt sammeln, sammeln auf Friedhöfen. Doch zu welchem Ziel? Die Protagonisten sind ein so genannter Henry Frankenstein und sein Gehilfe Fritz. Was planen sie? Ein Gehirn wird benötigt? Es schreit nach wissenschaftlicher Neuordnung! Leben aus Leichenteilen erschaffen?! Die Vereinigung von Leben und Tod in einer Kreatur? Ein Hirngespinst der Herren? Und trotz aller Zweifel, die Blitze brechen und beleben, das was unbelebt war, Energie strömt durch Körper und Seele. Wenn wissenschaftlicher Ehrgeiz zu Wahnsinn wechselt, ist es vollendet - Donner und Blitz verkünden es im düsteren Gemäuer, das Meisterwerk: »Look! It's moving. It's alive. It's alive... It's alive, it's moving, it's alive, it's alive, it's alive, it's alive, IT'S ALIVE!« - der Doktor Frankenstein (eindringlich: Colin Clive) rief die Geister (bzw. den Geist, wie einst Goethes Faust). Getreu folgt und zitiert seine Vorbild, Robert Wiene (»Dr. Caligari«, 1920) und Paul Wegeners »Golem, wie er in die Welt kam«, der Golem aus Lehm, das Monster aus Leichenteilen. Und hinterher geht die Frage der Wissenschaft und der unendlichen, menschlichen Gier nach Fortschritt und Wissen um: Wie weit darf der Mensch gehen, der sich mit Gott gleichsetzten will? Darf er Gott spielen? Der Willenlose in der Hand des Magiers (= Frankenstein), als Fortführung von Wegener und Lang (»Metropolis«). Der überschwängliche Drang nach mehr, wird zur Heraufbeschwörung des Übels, dabei warnte man doch bereits vor all dem Unheil: »You have created a monster, and it will destroy you!«

Das Experiment mag geglückt sein, ist aber zugleich gescheitert. Es ist ein Monster(!), urteilt der vorschnelle Zuschauer. Nein(!), kontert Regisseur Whale und studiert ganz gegen die Erwartungen des Horrorfilms vielmehr seine Charaktere, im besonderen das Verhältnis von Schöpfer und Schöpfung. Die Beziehung von Frankenstein zu seiner Kreatur. So geht es ihm mehr um Entwicklung, denn um irgendeinen Grusel oder Spuk. Frankenstein ist zunächst ein junger, besessener wie auch wahnsinniger Wissenschaftler seiner Arbeit, als er seinen Fehler der Erschaffung einsieht und durch seine Verlobte Erläuterung erfährt, wird dieser immer weiter zur Sympathiefigur und gleichzeitig immer weiter vermenschlicht, dadurch aber auch (dem eigentlichen Gedanken des Wahnsinnigen entgegen) entmystifiziert, was zweischneidig zu betrachten ist.

Spannend die Frage des Akteur des Monsters selbst zu seiner Erscheinungszeit: Nur ein dickes »?« lässt spekulieren. Heute weiß man: Boris Karloff lebt die Rolle. Das Monster zeichnet sich sogar als überaus differenziert gezeichneter Charakter aus, Boris Karloff sehnsüchtige Blicke und jenes einverleibendes Spiel tragen dazu bei, sodass das Monster gar sogar zum tragischen Individuum wird, also ebenso zur Sympathiefigur! Great, Mr. Whale! Auch in Bezug auf das prägende Bild von  Frankensteins Monster, mit Schrauben im Nacken und seiner somnambulistischen Art, gerade in Anbetracht darauf, dass das 20 Jahre zuvor noch so aussah wie ein Traumwesen mit Krallen oder einem mutierten, laufenden Schwein ähnelte. Ja das ist eine weitaus bessere Modifikation des Aussehens. Genauso freudig ansehen, sind die altmodischen Gemäuer und die erlesene Ausstattung, die immer noch einen besonderen Charme mit sich bringen.



Doch ganz so makellos ist Whales Film dann doch nicht, vornehmlich wenn man einen Vergleich zu den expressionistischen Urvätern zieht, denn dann wirkt Whales Regie an manchen Stellen geradezu konventionell und reizlos abgehandelt. Die großen Szenen, die Filmgeschichte schrieben, sind natürlich nach wie vor imposant, darüberhinaus wirkt es aber manchmal, wenn Whales Inszenierung theaterhafte Formen annimmt, so als wäre es alles nur simpel abgefilmt, trotz ihrer illustren Ausstattung fehlt mir zumindest die Neugier an den Kulissen bei der Inszenierung. Dennoch klingt das wahrscheinlich harscher als es gemeint ist, als Vergleich, aber dennoch beweist Whale seine handwerkliche Größe und seinen Blick für zugespitzte Spannung dafür in diesen großen Momenten, da stürmt die Definition den Kinosaal. Einer der schönsten Momente bleibt demnach auch das direkte Zitat von Wegeners »Golem« (1920), wenn der Riese das Kind trifft. Es ist eine Szene, die Whale sogar erweitert in ihrer Aussage als Appell an die Akzeptanz der Gesellschaft. Hierbei ist es ein utopischer Gedanke, den Whales gleichauf perfide (fast zynisch, aber mutig im zeitlichen Kontext) kontert mit einer tragischen Konsequenz. Dabei verstärkt Whale erneut den Leitgedanken seines Außenseiters der Gesellschaft, der wie ein naives, grobes und unbeholfenes Kind agiert, dass nicht fähig ist, seine Kräfte zu kontrollieren und somit hilflos dem wütenden Mob der Gesellschaft ausgeliefert ist. Verlassen und verleugnet von seinem Schöpfer ist, allein in einer ihm unbekannten Welt umherirrt. Andererseits ist die Kreatur für die Dorfbewohner auch gleichzeitig ein Einbruch in ihre sonstige Idylle. Imposant ist schließlich auch die Sequenz der großen Jagd (= mit Feuer und Fackeln!) der erzürnten Dorfbewohner und die Flucht zur großen Windmühle als finale Kritik am Menschen (bzw. an der Gesellschaft), statt zu helfen und zu heilen, lieber unterbinden und vernichten, ein schnelles Urteil fällen, ohne einen Beleg, nur aus dem Affekt und aus der Ignoranz heraus. So letztlich ist nicht die Kreatur, die wahre Bestie, sondern (wie so oft) der Mensch selbst.



7.0 / 10


Autor: Hoffman

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