Mittwoch, 17. Juli 2013

Klassiker der Extraklasse: Der Golem, wie er in die Welt kam (1920)




»I shall now call the Golem to life!« - Das Karussell dreht sich weiter in unserem Spielwiese des Expressionismus. Die Zeit vergeht und die Reise geht weiter. Mit heutiger Lektion: Paul Wegener und seine Golems. Und dabei sei nicht irgendein Golem gemeint, nein, es geht um »Der Golem, wie er in die Welt kam« von Wegener im Jahre 1920 gedreht und eine Weiterentwicklung seines bisher noch als verschollen (oder?) geltenden Vorwerkes »Der Golem« aus dem Jahre 1915. So vermute ich bei Wegener, dass er sich einerseits der Thematik nah fühlte, andererseits seinen Golem-Mythos hier nun absolut und nachhaltig in der konsequenten Entwicklung definierte. Wie bereits in seinen Vorwerk widmet er sich einer jüdische Legende, verbindet diese geschickt mit biblischen Erzählungen, Moses und zitiert dabei auch äußerst fein ein Faust-Motiv nach Goethe. Doch sind diese Verweise doch eher nur als Aufhänger und als Zusammenhalt der Story gedacht, der wahre Fokus von Wegeners Film liegt woanders - nein, nicht nur auf dem Expressionismus - sondern auf der Geschichte des Wissenschaftlers Frankenstein von Mary Shelley, die Wegener clever durch die anderen Motive variiert und neuordnet. Besonders das Faustmotiv findet hier für mich großen Anklang. Zugleich lässt er sich auch als Weiterentwicklung von Robert Wienes »Dr. Caligari« und dessen Einführung des »Zombies« (dort noch als Schlafwandler [=Somnambulist] synonymisiert) lesen.



So wie auch der Somnambulist, ist der Golem zunächst nach seiner Erschaffung ein willenloser Diener seines Magier, expliziter denn je in Form des Rabbi Löw dargestellt, wobei sich dadurch auch das Faustmotiv abzeichnet, dass Faust den Erdgeist beschwörte, um das absolute Wissen zu erlangen. Bei Wegener erweckt der Rabbi Löw den Golem, um sein Volk vor dem Unheil zu schützen. Damit wird die Gestalt des Golem zugleich zum Beschützter und Wächter über die Juden, vorerst. So lässt sich aber auch die Differenz zwischen Christentum und Judentum als eine Art Klassenkampf betrachten (ohne diesen jetzt zu deuten, da das wie gesagt für Wegener als Verweis auf die Bibel dient), somit entdeckt man aber auch ein Romeo und Julia-Motiv zwischen der jüdischen Tochter des Rabbis und dem christlichen Junker Florian, eine Liebe der Disparitäten, geschickt erweitert Wegener dies sogar als vermeintliche Dreiecksgeschichte, bei der aus Eifersucht und Wut, Ausbruch folgen und Verwüstung die Stadt ergreift, und somit diese vorher so so fein rekonstruierte Burgkulisse in Flammen und lodernden Feuern leuchtet. Und ja, der Expressionismus lodert auch hier! Nicht nur im Gewaltakt, sondern an sich. Mit unwirklicher Stimmung, entsprungen dem 16. Jahrhundert, ein Zeitalter. dass die Philosophie der Wissenschaft genauer hinterfragte und förderte mit seinen Astronomen und Entdeckern, wie Kopernikus, eine Epoche geradezu wie geschaffen für Wegeners Werk und dessen Thematik. Passend zu der thematischen Neuordnung wird demnach auch jener originell umgesetzt, Expressionismus zum tragen gebracht und der glänzt und goldet das Ganze mit seinen Wechsel zwischen Licht und Schatten wie unheimlichen Nebeln und beschwörender Finsternis, das verzückt dank seines Ideenreichtums und seiner famosen Visualisierung. Man könnte ewig über diesen Bildern und jenes Dekor schwelgen.

Doch Moment, denn auch hier dient der Expressionismus nicht nur zur stilvollen Gestaltung des Werkes, sondern - wie auch bei Wiene und dessen mentalen Traumebenen - für mehr, als Versinnbildlichung der Neuorientierung der Wissenschaft, die mit dem Frankenstein-Motiv und der ewigen Frage in der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen verknüpft ist, mit den mittlerweile verallgemeinerten Konfliktfragen dieser Thematik. Wobei dazu Wegener noch vielmehr den Jugendstil - worauf sich später auch Murnau berief - in den Vordergrund der stilistischen Gestaltung seines Films legt, durch organische und naturell wirkende Bilder den Kernpunkt des Thema aufzeigt, das unterstreicht die Lebendigkeit, die wiederum als Reflexion der Erweckung des Golems gesehen werden kann. Passend erscheint hier nun eine genauere Erklärung dessen, was ich meine: Wegener arbeitet mit den Merkmalen des Jugendstils und deren Malern, die versuchten mit ihrer Darstellung die Natur in die Stadt zu bringen. Nicht anders lässt sich die Aufmachung von Wegeners Werk umschreiben, was natürlich den Genuss nur noch steigert. Wenn zugleich sogar die Farbdramaturgie dies erneut deutlichst betont mit ihren Farbsymbolen, so als Beispiel (wie immer) Blau für die Nacht und Rot für Gefahr und Zerstörung. Und Wegener? Nicht nur Regisseur (mit der Hilfe von Carl Boese), sondern auch als Darsteller zu sehen:. Langsam, schrittweise, roh, aber genauso expressiv, Wegener lebt gleichauf seinen Golem.



Das ist alles so einladend und unterhaltsam bewerkstelligt. So suggestiv unterstreicht die musikalische Untermalung den Film. Doch wie auch bei Mary Shelley entdeckt der Golem seine Individualität, die Freude am Leben und will sich bald nicht mehr bedingungslos fügen. Und hier treten wir einen Schritt zurück - erinnern uns an Dreiecke und die menschliche Eifersucht. Wo der Golem bei guter Saat gutes tat, bleibt schlussfolgernd die Gegenüberstellung der Mensch (der Böse!) beschwört sein eigenes Unheil, läutet seine eigene Zerstörung ein. Die Kreatur wendet sich gegen ihren eigenen Schöpfer. Der Golem wird nun statt Helfer zur Bedrohung. Die letzten Minuten muten ironisch an: Bei allen Bemühungen ihn aufzuhalten, der Golem schreitet unaufhaltsam voran, durchbricht Tor und Stadt, wagt den Ausbruch in die Freiheit (= die weite Wiese), kennt kein zurückschrecken, nur ein unschuldiges Kind (mit Friedensangebot: Der Blume in der Hand) scheint den Koloss zu bewegen. Er scheint berührt: Der unbeholfene Golem entdeckt seine Menschlichkeit und Freude. Und dann? Und dann?! Wenn alle Waffen scheitert, errettet nicht der Kampf, einzig ein harmloses Kind ist fähig, die Gefahr zu bannen. Das ist irgendwie genauso humanistisch wie ironisch.


8.0 / 10

Autor: Hoffman

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