Donnerstag, 5. April 2012

Der Traum des unbeschwerten Kindes in uns - Kritik: "Little Children"


Die Angst wächst Bild auf Bild, man könne sich selbst irgendwann als splitterndes Bruchstück dieses gläsernen und verlogenen Käfigdaseins wiederfinden – eingesperrt mit heimtückisch-appellierter Scheinheiligkeit und körperlich vernetzt mit selbsthassenden Lügen. Womöglich ist man aber auch schon ein lebender Bezugspunkt. Denn die Frage ist doch, woher man wissen kann und wissen sollte, wann unsere geschworenen ‚So-werde-ich-nicht‘-Prinzipien, die wir uns seit Kindheitstagen an verpflichtend aufgelastet haben, zu sich eigenständig umpolenden Grundsätzen verkommen. Und die viel bedeutendere Frage ist, wie es letztlich, ohne den direkt eigenen Willenszuspruch, dazu kam, diese zu brechen. Die Frage nach der Wahrnehmung (Wie erlebt man an seiner eigenen Person Selbstgefälligkeit?) stellt sich. Ebenso der sich daraus ergebende äußerlich-bekennende Zuspruch. 

Gewiss, einen Menschen, mag er auf uns ein wirkender Sympath oder Unsympath sein, sollte man nicht auf einen einzelnen Wert, der einem möglicherweise am besten passt, beschränken – aber man kann versuchen ihn dadurch besser zu verstehen. Vorausgesetzt, man kann reiflich denken - und nicht oberflächlich urteilen. Dieser Film beruht auf genau solch einer Forderung und distanziert sich somit vom vorgekauten Konsumieren. Sicher ist deshalb, dass niemand „Little Children“ und dessen Fasson als üblich-wertendes Resümee – ‚das ist gut‘ – auffassen wird – und das auch vom Regisseur ausgehend beabsichtigt. Das auf uns täglich einwirkende Ideal des ‚Darauf-lohnt-es-sich-hinzuarbeiten‘-Triebs wird vor unseren Augen entfesselt und verwüstet. Man will, dass wir uns schlecht fühlen – und das auch mit Recht. Weil warum sollte es uns besser gehen als denen, die in diesem eingeengten Daseinszyklus verweilen müssen? Und warum sollte es uns besser gehen als üblich? Sich Schwierigem hinzugeben ist ‚schwer‘ – aber auch nötig für die Besserung. Und das werden sich auch die eingestehen, die die auf ihnen lastende Ausweglosigkeit nicht mehr ertragen. 


Der Film führt gleich zu Beginn eine Szene an, in der sich drei Mütter auf einer Parkbank unterhalten – die vierte, Sarah (Kate Winslet), ist abgekapselt und nur ein ‚passives‘ Mitglied des um sie torkelnden Minimalkosmos. Dennoch bemühen sich alle anwesenden Frauen um Freundlichkeit. Sie lachen miteinander. Nicht nur einmal. Aber genau das macht den moralischen Kodex, die verwobene Intrige aus. Sie hassen einander; so sehr, dass keine der anderen Warmherzig- und Ehrlichkeit gönnt. Sie sind alleine, obwohl sie Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat gemeinsam im sonnig-warmen Park von East Wyndom sitzen. Aber genau der steht für die Lüge. Als Sarah dann ausgerechnet dort, in der kältesten Dunkelheit, den mit seinem Sohn auftauchenden Mann Brad (Patrick Wilson) kennenlernt, vergeht nicht viel Zeit, bis sie starke Gefühle zueinander aufbauen. Sie begreifen, dass sie sich das geben können, was sie in ihren beiden Ehen vergeblich suchen oder verloren haben: Verbundenheit. Seit langer Zeit fühlen sie sich nicht mehr als Gefangene, als Abgeschottete des illusionär-glücklichen Familienlebens. Sarah und Brad belügen sich nicht mehr selbst, müssen dafür aber in Kauf nehmen, eine ebenso große Lüge, nämlich die ihrer Affäre, zu spannen. Aber die ist es wert. Und die ist auch nötig, um den Ausbruch aus dem pessimistischen Fassaden zu planen, die sie einst, aber nie wirklich als ihre Heimat ansahen. 

Moralisch hört sich eine Affäre verwerflich an – und das ist sie auch. Zu eindimensional wäre es aber auch, würde man eine Affäre eine Affäre sein lassen und sie in ein festes definiertes Muster rücken. Das ist jedoch nicht möglich. Und zumindest sollte man sich die Mühe machen, beide Seiten ihre hinterfragende Beachtung zukommen zu lassen. Denn neben trieb- und seelenloser Lusterfüllung, die natürlich auch ein krankhaftes Syndrom sein kann, kann das ‚Alleinsein‘ und ein Gefühl des deprimierenden nebeneinander Herlebens eine ausschlaggebende Rolle bei schlussendlichen Beweggründen spielen – nicht zuletzt auch in „Little Children“ und seiner erzählten Geschichte. Die Zustände in denen die Protagonisten Sarah und Brad momentan leben sind bedrückend, aber menschlicher Alltag – das müssen wir uns eingestehen. Die essenzielle Besonderheit, und der Funken, der vielen Filmen das Feuer nimmt, ist aber jener, dass das Wort des Menschlichen nicht zur bloßen Hülle derer verkommt, die unmittelbar im zentralen Blickfeld des Zuschauer agieren. Nicht ein einzelner Mensch wird in Todd Fields (satirischem) Filmdrama auf einen Wert reduziert – absolut niemand. Die Beziehung zwischen Sarah und Brad ist wärmegebend, seelentröstend und gerechtfertigt, sieht man sie in ihrem sonstigen Alltag, nicht aber die währende Konstellation des auf uns sorgenfrei herabregnenden Wunschstrebens oder gar der Inbegriff des Glücklichseins. Nein, das wäre zu schablonenhaft – zu manipulativ. So funktioniert das Werk nicht. Diese – sich von der breiten Masse abgrenzende – Eigenschaft dürfte letztlich dann erkannt werden, wenn sich die zweite, von der ersten beinahe etwas abschirmenden Filmhälfte mit dem verurteilten (nun freigelassenen) Triebtäter Ronald (Jackie Earle Harley) beschäftigt. Versteht man anfänglich, ohne Details über die ‚wahre‘ Person des Ronnies zu kennen, die Auflehnung in der Nachbarschaft, wandelt sich das Bild immer mehr zum Mitleid des Menschen, der noch nicht einmal in Ruhe in seinen vier Wänden schlafen kann, ohne beleidigende Herabwürdigung zu erfahren. Natürlich, und das ist nur logisch, gewinnen wir Ronald nicht als Freund, aber wir gewinnen das Leben aus seinen Augen. Er weiß, was er getan hat, zeigt Einsicht mit sich selbst. Mehr wird ihm aber nicht gestattet. 


Die bitteren Konsequenzen leiten sich dahingehend immer weiter ab. „Little Children“ anzuschauen, ist nicht schön - jedenfalls nicht auf die übliche Art. Die Welt ist nicht so, wie wir sie gerne hätte – oder als Kinder sahen oder unseren Kindern gerne predigen. Sie ist voller Probleme, voller Hürden. Wichtig ist nur, dass man mit ihr irgendwie klarkommt, auch wenn es schmerzt oder gesellschaftlich nicht akkurat ist. Geredet wird immer viel, individuell gedacht, und das ist es, worauf ein jeder auf sich selbst vertrauen muss, wird nicht identisch und daher auch nicht prinzipiell bequem. Ob wir die Kraft haben gegen den Strom zu schwimmen, ist eine andere Frage. Wir sollten sie uns aber stellen. 
Obwohl sie für derartige Stoffe häufig verwendet werden, muss gesagt werden: Vorstädte, und in solch einer spielt „Little Children“, sind nicht anders als Großstädte – nur sehr viel deutlicher im Kontext. Die uns hier vorgeführten Probleme der Selbstfindung und der Unzufriedenheit mit der momentanen Lebenslage gibt es überall. Probleme sind ortsunabhängig, man braucht nur genug Leben, um sie entstehen zu lassen. Solange man Vertrauen zu sich selbst hat und sich Glück nicht vorbestimmen lässt, kann man dieses Schicksal zwar nicht ausschließen, aber man kann es besser erkennen. 


9.5 / 10
Autor: Iso 

2 Kommentare:

  1. Toll! Dennoch halte ich "Zeiten des Aufruhrs" und gerade "American Beauty" für die besseren - thematisch verwandten Filme. Winslet ist aber mal wieder großartig.

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  2. Recht hast Du! 'American Beauty' ist in seiner Pointe noch etwas... wie soll man sagen... bewegender, aufwühlender. Jedoch für mich grundsätzlich nicht viel besser. 'Zeiten des Aufruhrs' habe ich noch nicht geschaut, nachdem mich Mendes mit 'Jarhead' und 'Road to Perdition' doch etwas enttäuschte - gemessen an den Erwartungen. Mal schauen... Und ja, Winslet war großartig, aber auch die Nebenrollen sind mit Phyllis Somerville und Jackie Haley sehr, sehr authentisch und melancholisch besetzt. Hach, wie ich solche Filme liebe... :-)

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