Eugène Greens Werk
über eine junge französische Schauspielerin, die in Lissabon weilt um einen
portugiesischen Briefroman aus dem 17. Jahrhundert über einen verliebte Nonne
zu drehen, hypnotisiert durch seinen formalen Rigorismus. Ein unglaublich
schöner und poetischer Film, der zum Ausgangspunkt die Stadt Lissabon nimmt: Er
beginnt mit mehreren Einstellungen der Stadt, zeigt einmal einen Hinterhof,
einmal die Innenstadt mit ihren stark ansteigenden Gassen, einmal ein Panorama.
Die Geschichte scheint nun aus dieser Stadt zu entstehen, sich uns zu
präsentieren; als wir nach etwa 5 Minuten die Protagonistin zum ersten Mal
sehen, zeigt man sie uns nicht in Grossaufnahme, sondern extrem weit von der
Kamera entfernt, wie sie aus einem Auto in ein Hotel steigt. Diesen Moment
könnten wir jedoch beinahe verpassen, da uns das Bild einlädt, unsere Augen
über andere Gebäude der Stadt schweifen zu lassen:
Auch im weiteren Verlauf
diktiert die Stadt die Geschichte; Begegnungen zwischen der Protagonistin und
der Stadt sowie deren Einwohnern sind das narrative Gerüst des Films, treiben
ihn und die Protagonistin an und pointieren ihre philosophische Reise, ein
Odyssee durch die Stadt mit dem Ziel, einen inneren Frieden zu finden.
Die Bildkadrierungen
sind oft ungewöhnlich. Wie bei Bresson wird der Raum zumeist konstruiert, nicht
analysiert (dazu gibt es auf vimeo ein Video von David Bordwell: „Constructive
editing“). Das heisst: wir sehen nicht zu Beginn jeder Szene Totalen oder
Halbtotalen, welche uns einen Überblick über das Geschehen und den Raum, in
welchem dieses stattfindet, verschafft. Sondern uns werden nur verschiedene
einzelne „Schnispel“ des Raums gezeigt; der eigentliche Raum entsteht in
unserem Kopf. Wir wissen nicht, wie weit Darsteller voneinander entfernt sind. Was
wir sehen, ist eine kanalisierte Jetzt-Erfahrung, ein Detail: Füsse, Hände, ein
halbes Fenster, eine Autotüre.
Besonders deutlich wird das in den zwei
musikalischen Einlagen des Films; die Protagonistin trifft bei Streifzügen
durch die Stadt auf Strassensänger, die Einsamkeit und Liebe besingen. Das hat
eigentlich etwas Surreales, doch wir sehen nicht, wo, in welchem Rahmen, gesungen
wird, ob Leute zuhören, oder wie weit die Musiker von der Protagonistin
entfernt sind: wir sehen nur Grossaufnahmen des Sängers und der Schauspielerin;
es scheint, als schauten sie sich gegenseitig an, und der Schnitt bringt sie
einander nah. In diesem Sinne wird der Film hier impressionistisch, sensuell.
Was zählt, ist nicht das Abbild der Natur, sondern die Erfahrung im Moment.
(Das erinnert mich ein bisschen an Claire Denis‘ „Vendredi soir“.
Die Dialoge sind
äusserst stilisiert, sowohl ihr Text als auch dessen Präsentation; die
Schauspieler spielen ohne melodramatische Effekte, sprechen langsam, fallen
einander nie ins Wort, sondern lassen im Gegenteil immer eine gewisse Zeit
verstreichen, bis sie auf ihr Gegenüber antworten. Wir sehen im Bild immer nur
die gerade sprechende Person, nie beide zusammen. Oft, und das wirkt zu Beginn
äusserst frappierend, starren die Schauspieler direkt in die Kamera, welche
sich frontal vor ihren Gesichtern befindet; und die angesprochenen „Pausen“
lassen der Kamera quasi Zeit, sich um 180° zu drehen (so der Eindruck). Im
Endeffekt wirken die Dialogszenen wie Gedichte:
Auch die vielen
symmetrische Bildkompositionen will ich noch erwähnen, mit ihrem Gespür für
Texturen und Vorder- und Hintergrundfarben. Zeigt eine Einstellung mehrere
Personen, so wird erhält jede Person einen distinkten Hintergrund, der mit der
Farbe ihrer Kleidung korrespondiert. Das reiche Spiel mit Lichtern im
Hintergrund besticht ebenfalls. Einmal etwa sehen wir nur die Hände zweier
Personen, die miteinander anstossen, im Hintergrund unscharf die Lichter der
Stadt. Als die Hände aus dem Bild sind, fokussiert die Kamera diese Lichter,
die Stadt bewegt sich vom Abstrakten zum Konkreten, und das Gespräch setzt sich
fort, ohne dass wir die Sprecher zu Gesicht bekommen:
8 / 10
Autor: Cameron
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen