Donnerstag, 14. Juni 2018

Landschaft der Stille und Ohnmacht - Kritik: Wind River (2017)



Taylor Sheridan, der bereits die Drehbücher zu »Sicario« und »Hell or High Water« beisteuerte, wagt er sich mit »Wind River« an sein eigenes Regiedebüt, das zugleich auch den Abschluss, nach den beiden vorhergehenden Drehbüchern, seiner persönlichen »American Frontier«-Trilogie markiert, in denen sich Sheridan mit den Grenzgebieten des amerikanischen Landes auseinandersetzt. In »Wind River« wagt sich Sheridan nun in die Verlorenheit eines mit Eis und Stille überzogenen Indianerreservates in Wyoming vor, das von der Gesellschaft wie vergessen geworden zu sein scheint. Jeremy Renner mimt in diesem Film einen Mitarbeiter einer Behörde zur Verwaltung der Wildtiere innerhalb der Reservates. Er ist eine Jägerfigur, die zunächst jagt auf Berglöwen macht, die den Viehbestand innerhalb der Gemeinde gefährden und entdeckt bei seiner Jagd tief in der frostigen Landschaft die Leiche eines jungen Mädchens, das vergewaltigt wurde. Dazu wird eine junge FBI-Agentin (Elisabeth Olsen) an diesen Ort beordert, um den Fall zu lösen.


Der Blick des Films auf die Menschen im Reservat bemüht sich um Empathie, wie Elisabeth Olsen sind wir Fremde, die von außen in dieses Szenario dringen und von Jeremy Renners Figur an die Hand genommen werden, der zum Führer durch den Film wird, denn er ist der Fährtenleser, der die Spuren zum Verbrechen entschlüsseln kann. Vordergründig haben wir es bei diesem stimmungsvoll fotografierten Film also zunächst einmal mit einem geradlinigen Kriminalfilm zu tun, der darauf Bedacht ist, ein Verbrechen aufzuklären. Doch der Film interessiert sich kaum für seinen hohlen Kriminalplot, denn er ist in Wirklichkeit ein Neowestern über Schuld und Sühne, die Last, die die Protagonisten in ihrem Schmerz zu tragen haben und schließlich auch über die Schattenseite der amerikanischen Gesellschaft, denn der Film thematisiert im Kern die Ausbeutung der amerikanischen Ureinwohner durch den weißen Mann. Der Film geht auf die persönlichen Schicksale seiner männlichen Figuren ein, denn auch Jeremy Renners Figur Cory Lambert erinnert der Tod des Mädchens an den Verlust seiner eigenen Tochter, die unter ähnlichen Umständen tot aufgefunden wurde. Alte Wunden werden wieder aufgerissen. Der Film verdeutlicht sehr intensiv den Schmerz der Väter, die unter dem Verlust ihrer Töchter zu leiden haben und ratlos sind. Das ist aber auch etwas, dass der Film vielleicht manchmal etwas zu plakativ noch einmal verbalisieren muss. Dadurch holpert der Film. Diese Monologe über den Verlust des Einzelnen, diese Konflikte, die die Figuren mit sich verhandeln müssen, werden unnötig breit ausgewalzt. Durch das Konkrete nimmt man dem Film auch mitunter das Poetische, das über die eindrücklichen Bilder vermittelt wird, die uns in ihren Panoramen schon viel über die Seelenlandschaften seiner Figuren erzählen.

Die Frauenfiguren bleiben für Sheridan zudem immer noch funktionale Platzhalter (wie schon in »Sicario«). Zwar ist es Elisabeth Olsens FBI-Agentin, die rein theoretisch unsere Identifikationsfigur für den Film ist, weil wir diese Welt - wie sie - als Fremde betreten. Dennoch darf sich ihre Figuren eigentlich nur dadurch auszeichnen etwa unbeholfen durch das Szenario zu tapsen oder von Jeremy Renners Fährtenleser die Welt für uns erklärt zu bekommen. Frauenfigur kann Sheridan folglich immer noch nicht schreiben, auch wenn sie im knalligen wie auch überraschenden Showdown, der auch mit den Erwartungen des Zuschauers spielt, eine Zäsur innerhalb der geradlinigen Struktur bildet und die angestauten Konflikte unter der Oberfläche zum Ausbruch kommen lässt, den ein oder anderen Schuss abgeben darf. Das ist dann aber auch das Höchste der Gefühle.


Der Film müht sich also mit der Schilderung der Leiden seiner Figuren ab, zeigt die Verwahrlosung und Einsamkeit der im Reservat lebenden Indianer. Den Film durchzieht, auch bestärkt durch Warren Ellis & Nick Caves hypnotische Klänge, eine Form von Wehmut. Der Film ist sehr gemächlich und zurückhaltend erzählt. Der Film möchte ein Gefühl geben wie es ist in einem solchen Reservat zu leben, nutzt dafür die Folie des Genrefilm, um zu seinem eigentlichen Thema vorzudringen. Der vordergründige Plot ist daher am Ende auch vergessenswert, wird nur unmotiviert vorgetragen, er führt aber zu zu einer Botschaft, die eine Texttafel am Schluss noch einmal verdeutlicht. Der Film ist folglich ein bedächtiger Neowestern, der darauf abzielt auf einen Teil der Vergessenen der amerikanischen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Jedoch gewinnt der Film seinem Thema leider auch wenig neuartiges ab.


6.0 / 10

Autor: Hoffman 

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