Samstag, 15. September 2012

Der Wahnwitz der menschlichen Gier - Klassiker der Extraklasse: Aguirre, der Zorn Gottes




»Ich bin der Zorn Gottes. Die Erde, über die ich gehe, sieht mich und bebt.«  - Ich weiß nicht wieso, aber es gibt zwei Dinge, die mich bei diesem Werke im weiteren Sinne beschäftigen beziehungsweise um es anders zu sagen, ich wieder reflektiere. Doch bevor man zur eigenen Entlarvung der Gefühle steuert noch die Ambition des Schwelgens in der Natur, die Werner Herzog wie kein anderer in »Aguirre« (1972) inszeniert, weder Trick noch Technik stecken dahinter, Herzog filmt die ungebrochene, ungezähmte Schönheit der Natur in ihrer strahlenden Ausdruckskraft. Die erste Einstellung und Kulisse lassen sprachlos zurück in imposanter Manier, diese Gebirgskette, diese unbändige Kraft in Herzog Bilder - wunderbar! Dafür finde ich keine Worte. Nur prätentiöse Schwärmereien. Doch wenn Herzog eins ohne Zweifel bietet dann: Naturelle Bildgewalt, also die schönste Bildgewalt.



Das wollte ich noch gesagt haben, bevor sinniert werden darf über Sinngebung und Orientierung in Herzos Werk. Kurzum: Es gibt sie nicht. Gar ein linearer Handlungsstrang, ein roter Faden? Brauchte Herzog nicht, wird Herzog nie brauchen. Und doch kann Herzogs Film - ganz seiner Inspiration nach - als Reise ins Herz der Zerstörung gelten, Beleuchtung politischer Systeme, Aufstände, dem Glauben, dem Irrsin, dem Wahnwitz, der Einfältigkeit des Menschen und der menschlichen Gier - samt Herzogs hier ab Lieblingsthematik des Kampfes zwischen Menschen und Natur. Herzogs größte Schwäche zugleich seine größte Stärke. Chronologisch? Bedingt. Handlung: Die ewige Suche nach El Dorado (dem Symbol des absoluten Glücks und Reichtums), folglich dem Weg voller Besessenheit und Kompromisslosigkeit. Herzog lässt inszenatorisch Einfachheit wirken.

Momente vergehen, wie Minuten vergehen, mittendrin lässt Herzog Bilder sprechen - kurz darauf Klaus Kinski steigern - hinauf zu reißenden Flüssen und wieder der unmögliche Kampf gegen die Natur. Die Natur zwischen Schönheit, Faszination und Gefahr. Und nicht mal Identifikationsfiguren gibt er uns - dieser Herzog! Nur den Aguirre, den Zorn Gottes. Nur den personifizierten Wahnsinn (alias Klaus Kinski)! Fieser, fieser Herzog. Kennt keine Konventionen, zersträubt sie, verdreht sie und metaphorisiert dabei noch seinen eigenen Film, so darf Herzogs ungestümer und wilder Regiestil als Reflexion des verwilderten Amazonasdschungels gelten - so ergibt sich daraus ein perfektes Zusammenspiel. Auch die Kamera agiert auf diesem Niveau und dokumentiert ohne Scheu, wackelt und desillusioniert den Zuschauer, dringt dicht zu den befremdlichen Charakteren, so aber auch dicht an der Natur - Herzog experimentiert, fasziniert aber auch.

Und dann Klaus Kinski als eigene Urgewalt. Erst Blicke, dann unheilvolle Gesten, dann große Worte und Ausbrüche. Wie ein Vulkan bricht er aus und bis schließlich der Wahnsinn Überhand gewinnt - mehr Macht und mehr Gier, auf Ausbruch folgt Orientierungslosigkeit. Aguirre als Symbol für den klassischen Mephistopheles, aber als Verführer wie auch Manipulator und Verräter, ein Undurchsichtiger. Herzogs Film nimmt Gestalt an. Mehr und mehr ähnelt er einen sich immer weiter drehenden und geschwinder werdenenden Karussell - auch anfangs, ja es dreht sich nur und hat kein Ziel. Und dennoch besteht auch hier Herzogs Film aus Widersprüchen wie Symbiosen, zwischen Zerstörung und Entzweiung. Erschaffung und Erneuerung. Wie die Konquistadores eine neue Gesellschaft bilden, Narren zu Königen werden. Zerstörte Dörfer durchkreuzt werden. Fragen auftreten nach Sinn und Sinnlosigkeit. Nach der Natur seiner Existenz. So äußerst sich auch Herzogs Zivilisationskritik. Wie einstige Eroberungen zum Verderben werden. Der Mensch scheitert an seinem Größenwahn und seiner Gier. Die Welt in ihrer eigenen Absurdität und Lächerlichkeit.





Herzogs Stimmung zwischen meditativen Klängen (eines Popol Vuh) und der Ruhe und Unruhe des eigenen Films - die ganz eigenen Atmosphäre. Und irgendwie sympathisiere ich so mit Herzog, er als Filmemacher, ich als Schreiber: Reflektieren scheinbare Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit. Verfolgen dabei doch eigene, vielleicht sogar hintersinnige Ziele. Ich mag den Herzog. Der rechnet sogar ironisch ab mit dem Irrglauben des Menschen. Versteht aber auch: Bei Kinski wie auch solcher filmischer Wucht muss man die Definition prägnant formulieren und kraftvoll sein Werk vollenden. Ganz ohne Konstrukt. Mit der Mystik des Urkampfes Kinski gegen Natur (und Herzog) und der Mensch mit seiner unsagbaren Gier, der daraus folgenden Selbstzerstörung. Dann Affen, überall Affen. Gar ein Planet von Affen! Größenwahn! Das Scheitern einer Gesellschaft, nur mit innerer Explosion. Kurzum: Eins zu Null für die Natur.



8.0 / 10

Autor: Hoffman

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