Dieses Werk von Truffaut beginnt wie ein Film aus vergangenen Tagen, wie etwas, das aus der Zeit gefallen ist, eine Aufblende, eine Irisblende, welche Truffaut hierbei konstant verwendet, die sich vom Kreis zum großen Bild ausweitet, als würden einem hier die Augen geöffnet werden. Es ist wohl inszenatorisch Truffauts konsequentester Umgang mit einer historischen (und wahren) Begebenheiten. Und zunächst wird hier auch nicht gesprochen, es wirken ganz die Bilder von Natur, nur das Rascheln der Blätter ist zu vernehmen und ein Junge, der eins geworden ist mit der Natur, ist zu sehen. Truffaut streift mit ihm durch die Natur und Wälder. Er geht gekrümmt, klettert auf Bäume, will überleben, wird gejagt und schnell gefangen, wo er zum Institut für Taubstumme gebracht wird und dort von einem Dr. Itard unter dessen Fittiche genommen wird. Truffaut legt sein Werk dokumentarisch an, in stilistisch schwarzweißen Bildern. Die Bilder sind stilecht wie auch an sich sehr hell, dieses Weiß sticht hervor und dominiert die Bilder die meiste Zeit. Truffaut studiert hier genau, steckt viel Liebe ins Detail und erzählt sehr kompakt wie auch komprimiert. Er verdichtet den Stoff mit Kürzungen.
Der Einstieg mag da vielleicht hastig sein, aber nur logisch, da es die Beziehung zwischen Dr. Itard und dem Wolfsjungen Victor ist, auf die sich Truffaut stützt, das ist, was diesen Film in gewisser Weise ausmacht, was fasziniert. Seine Konzentration liegt auf der Verbindung dieser beiden Charaktere, er arbeitet mit Reduktion, irgendwie erinnert das an Bresson. Dieser Film hat einen sehr experimentellen, daneben noch pädagogischen, Charakter inne und das gefällt. Er ist ein wilder, widerspenstiger, rebellischer Junge, der zur Schau gestellt für die enttäuschten Pariser, als hoffnungsloser Fall bezeichnet wird, als ein Idiot, aber Truffaut (und ebenso sein dargestellter Charakter des Itard) hat Verständnis für ihn, ein Kind, möglicherweise ein uneheliches Kind, das ausgesetzt wurde und so nichts für sein Lage kann, eben ein Unglück. Dieser Truffaut zeugt eben auch von großer Menschlichkeit. Das Kind wird gepflegt, untersucht, es wird geübt, Truffaut nährt sich feinsinnig dem Thema an, es wird entwickelt, überdacht und umgedacht, es soll erlernen und lernen, eine Erziehung genießen, eine Aufgabe zwischen Erfolgen und Misserfolgen, die zu neuen Lösungswegen führen, der Doktor ist erpicht auf Forschung, auf Test und darauf ihn ständig zu prüfen, aber ein Kind muss auch mal ein Kind sein dürfen. Und auch viel persönliches steckt in diesem Film: die Theorie des Autodidakt, die Beziehung zwischen Truffaut und Léaud, dem dieses Werk auch gewidmet ist, wie auch die Beziehung zwischen André Bazin und Truffaut, der, wie er für Léaud, eine Vaterfigur, die ihn aufnahm, war. Daneben sind die Fenster leuchtend und werden in manchen Szenen zu Portalen, zu Verbindungslinien zwischen zwei Punkten und Spiegel dienen als Projektionen. »L'Enfant sauvage« ist eines von Truffauts großen, kleinen Werken. Wenn man so möchte, ein besonderer Film.
8.0 / 10
Autor: Hoffman
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