Freitag, 22. Juni 2018

Klassiker der Extraklasse - Xala (1975)



Xala von Ousmane Sembène stellt zwei Welten gegenüber, untersucht die Mischung aus neokolonialistischer, kapitalistischer (aber als Sozialismus posierender) Politik, die von der Oberschicht, von Offiziellen und Bürokraten gepflegt wird, und prä-kolonialer, afrikanisch-«naiver» Kultur. Das Dakar, Senegals Hauptstadt, das der Bildkader zeigt, enthält beide Aspekte; hinten im Bild sehen wir die modernen, westlichen Hochhäuser, während vorne Bettler und Verkrüppelte, Ausgestossene und Beraubte, kurz «menschlicher Abfall», wie sie der Hauptdarsteller bezeichnet, durch die staubigen Gassen der Vorstadt ziehen – der Gegensatz High Society – Zentrum vs. traditionell-armes umliegendes Gebiet steht schon im Zentrum von Sembènes frühem, fantastischen (Kurz-)Film, Borrom Sarret (1965). 
  
Diese Gegenüberstellung erinnert mich auch an Pasolinis Medea, aber im Ton ist Sembènes Film anders: als Satire / Farce wendet er sich dezidierter an das Volk, zeichnet in kräftigen Tönen, humorvoll durch die vorgeführte Absurdität dieser neokolonialistischen Welt, in der weisse Ausbeuter durch Schwarze (mit weissen «Beratern») ersetzt wurden. Eine Gruppe von schwarzen Funktionären übernehmen in der parabelhaften Eröffnungsszene die Macht: in traditionellen afrikanischen Kleidern stossen sie die bisherigen, weissen Führer aus dem Wirtschaftsgebäude und jubeln der Menge zu; ein Schnitt zeigt sie dann in Massanzügen, ganz dem europäischen Vor-Bild entsprechend, und die ehemaligen weissen Machthaber kehren als Berater zurück, jeder mit Koffer voller Bestechungsgeld («wir wählen den Sozialismus», sagten kurz zuvor die Revolutionäre.



 Es sind diese pointierten Schnitte, die Sembènes Stil kennzeichnen; in Moskau ein Filmwissenschaftsstudium hinter sich, macht sich Eisensteins Einfluss, sein analytischer Schnitt-Stil kombiniert mit dem Klassenbewusstsein, bemerkbar. Ebenso wie dieser pflegt Sembene hier einen gesamthaften, mehrwinkligen Zugriff zur Handlung; es gibt zwar einen Hauptdarsteller (ein Minister namens El Hadji, der sein florierendes wirtschaftliches und privates Leben mit der Heirat einer dritten Ehefrau zur Schau stellen will, dann aber von einem Impotenz-Fluch getroffen wird, sich zu verschiedenen traditionellen Wunderheilern in der Provinz begibt, um sich heilen zu lassen – vergeblich, dann alles verliert, von seinen Kollegen verstossen und zum Schluss von denjenigen, die unter seiner Politik leiden, den Bettlern, Krüppeln, usf., gedemütigt wird; sein Nachfolger wird ein junger Mann, den wir in einer früheren Szene gesehen haben als Dieb, in einer Menschenmenge Geld klauend, um sich dann einen unsagbar modischen Anzug zu kaufen – und schon ist er angekommen in der Führungsriege des Landes), doch sehen wir eben ein Gesamtbild der Gesellschaft, mit vielen «nebensächlichen» Charakteren, und werden Zeuge der perversen Wechselwirkung zwischen den zwei besprochenen Welten. Die Oberschicht spricht französisch; El Hadji ist erzürnt, als seine Tochter ihm stets in Wolof antwortet; die Oberschicht imitiert eben gnadenlos die alte Führungsriege, in Politik und Kultur, sie trinkt Evian-Wasser (was die Tochter verweigert), und beschwert sich über die «vielen Schwarzen» in Spanien.


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Autor: Cameron

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