Freitag, 23. März 2012

Die Resozialisierung: Wie "American History X" den Gratwandel menschlichen Denkens beschreibt

Text enthält Handlungsgeschehnisse / Spoiler

Einen Film zu kritisieren, der sich rassendiskriminierende Wertevorstellungen und ihr damit verbundenes in Frage stellen zur Aufgabe macht, ist alles andere als eine angenehme Sache. Nein, ich möchte dem Inhalt und dessen essenzieller Botschaft nicht widersprechen, kann aber nicht verstehen, weshalb sich das Drehbuch in grober Fahrlässigkeit verliert. Das, was im Verlauf von „American History X“ geschieht, ist nichts weiter als irrtümlicher Gutglauben, der uns doch tatsächlich weiß machen will, eine Resozialisierung vom ideologischen Regime-Anhänger sei innerhalb kürzester Zeit möglich – man müsse nur die passende Situation abwarten.
Und die tritt genau dann ein, wenn der durch den Knast bekehrte Derek (Edward Norton) mit seinem wohl scheinbar hoffnungslos an die Neonazis verlorenen Bruder Danny (Edward Furlong) von der Party seiner ehemaligen ‚Freunde‘ flieht, weil der nun nämlich weiß, was Recht und Unrecht ist. Derek, der drei Jahre zuvor kaltblütig zwei Afro-Amerikaner vor dem eigenen Familienhaus hinrichtete, hat durch das im Gefängnis Erlebte, und das ist im Verhältnis zu seiner vorherigen stark ausgeprägten Ideologie nicht viel, erkannt, wie man Menschen richtig einschätzt, weiß nun, unmittelbar nach seiner Freilassung, wie man sie behandelt und vor allem, das möchte er auch seinen Bruder wissen lassen, wie man Hass in Freundschaft verwandelt. Es wäre fatal, würde man annehmen, dass das möglich sei – besonders wenn man sich vor Augen führt, in welchem Verhältnis Danny zu eben diesen Kreisen steht. Was hat der Junge denn? Er hat eine zerstörte Familie, ist geplagt von gefühlsmäßigen Problemen, weiß nicht, wie er sich gegenüber seiner Mutter verhalten soll, weil das familiäre Leben in der Vergangenheit durch das beharrliche Auftreten seines Vaters geprägt war.
Seine einzigen Freunde, sein einziger Rückzugspunkt aus dem hassenswerten Alltag sind die Menschen, an die ihm damals sein älterer Bruder herangeführt hat, was aus der früheren väterlichen Erziehung und dem Schicksalsschlag, nämlich den Tod des Vaters durch farbige Täter, hervorging.
  
Und jetzt kommt genau dieser Derek, befreit und lebensbildlich geordnet, erneut zu seinem Bruder, sagt ihm aber ganz offen, dass all das, was er ehemals vor ihm und der restlichen Familie predigte, falsch gewesen sei?!
Nun könnte man denken, dass sich Danny, der zu einem radikal-verblendeten Menschen herangewachsen ist und gar ein Aufsatz mit dem Titel „Mein Kampf“ schrieb, sich dem entgegenstellt, behauptet, dass das doch nicht stimmen könne, sich dem Denken seines Bruders in den Weg stellt, weil er alle Freizeit eben mit jenen Leuten verbringt, die Derek nun als – natürlich zurecht – manipulierte  Gewalttäter hinstellt. Nun, aber so kommt es nicht. Nach anfänglicher Skepsis, die aber kaum nennenswert ist, wird das gemacht, was man ihm sagt. Gar der Aufsatz für den verhassten Schulpsychologen, den Derek gewissermaßen als Mentor des Guten ansieht, wird spät am Abend noch poetisch und klangvoll geschrieben. Über was es geht?! Natürlich um Derek. Der, der der seit morgens aus dem Knast raus ist, der, der ihm innerhalb von nicht einmal zwölf Stunden aus dem Sumpf half, in welchem der Schüler unwahrscheinlich tief verwurzelt war. „Hass ist Ballast“, stellt Danny gegen Ende - einsichtig mit sich und allem - seines Aufsatzes fest. Na, wieder was gelernt. Schön, wie sehr sich der Junge verändert hat - im Vergleich zu gestern.
Ich möchte nicht in Frage stellen, dass Derek für den Jungen ein Vorbild ist; ein Idol des Wissens und der Weisheit – selbst wenn das auf Außenstehende befremdlich wirken könnte. Er übernahm für seinen kleineren Bruder die Erziehungsposition des Vaters, obwohl er erst einmal für sich selbst hätte sorgen müssen.
Unverständlich bleibt mir dennoch, wie der ohnehin fragwürdig Resozialisierte, führt man sich einmal mehr seine vorhergehenden Taten vor Augen, auch bei Danny für ein direktes Umdenken sorgt, nachdem er ihm seine Knast-Geschichte in Kurzform auf der Straße erzählt. Ein jemand, der so derart begierig auf dem Glauben beruht, der ihm zuvor eingetrichtert wurde, wie es bei Danny augenscheinlich der Fall ist, würde zumindest, ganz gleich, welche Person ihm das mitteilt, wütend werden, es krampfhaft abstreiten und sich von diesem Menschen kurzzeitig abkapseln, um selbst über alles nachzudenken – hier ist dem nicht so. Und damit dauert es auch nicht lange, bis die rechtsradikalen Poster aus dem Jugendzimmer verschwinden und Platz für Neues, für erkannt Positives geschaffen wird.

Ich verstehe, worauf „American History X“ hinaus will und ich erkenne an, dass er eine emotionale Tragweite hat, die zudem mitreißend und bewegend ist. Jedoch muss sich dieser Film eingestehen, dass er sich durch stumpfe, ich gehe sogar soweit und sage, oberflächliche  Charakterportraits (unter anderem die gänzliche Wandlung Dereks vom Schlechten ins Gute innerhalb dreier Knastjahre) einen unterschwelligen Dreschhammer hingibt, der genau vorgibt, wann und wo getrauert, gehasst und geliebt wird. Regisseur Tony Kaye, der übrigens nichts mehr vom Film wissen wollte, nachdem man diesen ohne sein Wissen umgeschnitten hat, lässt uns zwar auszugsweise ins seelische Bild von Derek alias Edward Norton blicken, bleibt aber trotzdem außerhalb meiner Emotionalität.
Das Ensemble vermag dies aber nicht zu schwächen, weil das bleibt durch und durch phänomenal. Die Flucht vor dem Sehen wollen, welche in die Hände blinden Hasses und willkürlicher Wut und Gewaltexzesse führt, ist eine schauspielerische Wucht, für die man sowohl Norton als auch Furlong nur loben kann. Ihre Hingabe zur dechiffrierten Persönlichkeits- und Gesellschaftswahrname dürfte dafür sorgen, dass „American History X“, trotz der im Drehbuch verankerten Schwächen, eine intensive Studie über Wertewandel und Neuanfang ist.
  
Umso leidtragender ist es, dass man einen solch markanten und wichtigen Stoff nicht ohne das verarbeiten konnte, was man als überschwänglichen Pathos ansehen könnte. Kein Zweifel: Die Slow-Motion-Szenen und ihr überschwänglicher Schmalzscore sind perfekt und makelfreier in Szene gesetzt, würden aber im Kontraprodukt wesentlich effektiver sein – zumindest die Tragödie von „American History X“ wäre so menschlich näher und vor allem nachvollziehbarer am Einzelnen zu spüren. Dem ist jedoch nicht so und genau das ist es, was schade ist.


5 / 10
Autor: Iso 

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