»So ist das Leben: Mal verliert man, mal gewinnt man.« - Wie bereits in seinen früheren Werken beschäftigt sich Alain Resnais in seinem Spätwerk (welch kuriose Gegenüberstellung) »Herzen« aus dem Jahre 2006 erneut mit der Thematik von Realität und Trug - im angedeuteten Format des Prinzip der objektiven oder subjektiven Wirklichkeit. Dies dennoch vielmehr auf technischer denn auf inhaltlischer Ebene. Als treibendes Motiv und Symbol darf Schnee fungieren und für Resnais das Theather (im genaueren das Stück »Private Fears in Public Places« von Alan Ayckbourg) zum direkten Element seines Films werden. Die einzige Außensequenz gleich zu Beginn, eine Kamerafahrt ins Geschehen, von außen nach ihnen. In Paris. Wo sonst? Aus der Kälte der Städte, in die Kälte der Herzen. Zu den Eingeforenen. Zu den einsamen Seelen., die suchen, aber nicht finden. Was sie suchen? Das Glück! Die sich binden wollen und Halt suchen. Und Resnais? Der zimmert ein feinsinniges Kammerspiel.
Wie erwähnt nutzt er dafür bestimmte Raumeinstellungen, um eine möglichst theaterartige Stimmung zu erschaffen. Das funktioniert insofern, dass Resnais seinen gesamten Film nur in einer eingeschlossenen Szenerie spielen lässt, was somit auch einen direkten Bezug zum Bühnenstück selbst knüpft. Diese Konventionen, die er aus dem Bühnenstück übernimmt, dient Resnais um räumliche Normen aufzustellen, die er - wie zu erwarten - im späteren Laufe der Geschichte außer Kraft setzten, sie modellieren und damit brechen wird, in dem er es als Beispiel im verschlossenen Raum schneien lässt. Hiermit stellt er sowohl jedweden Realismus seines Films in Frage, verherrlicht deutlichst seinen Antirealismus und das ist der große Trick! Einerseits. Andererseits präsentiert er sein Werk zugleich aber zurückhaltend und sehr besonnen in seiner Erzählung. Resnais beleuchtet die Szenen verschiedener Leben. Resnais scheint einfach aus dem Leben zu greifen. Die Episoden bedacht miteinander verworben, so ergibt sich aus den vermeintlichen Einzelschicksalen ein großes Kollektiv von Überkreuzungen.
Resnais Charaktere lassen sich dabei als Normalbürger am besten umschreiben - mit tragischen Komponeten selbstredend verknüpft, vom alternden Makler (besonders toll: André Dussollier), zum entlassenen und vereinsamenden Soldaten, von Angestellten und Barkeepern. Ruhig zeichnet Resnais diese, enthüllt langsam aber stetig ihre Hintergründe und ihre Situation und Probleme des Lebens, die einen suchen Beistand in Bar und Alkohol, die anderen finden ihren Halt in Bibel, Gott und Glauben. Man spürt in dieser Ambition: Dies ist ein sanftes Alterswerk von Resnais, von großer Schwermut und einer starken Melancholie geprägt, verstärkt durch musikalische Klavierklänge. Aber doch kommentiert Resnais dies auch des öfteren humorvoll, mit skurrilen Tendenzen und ironischem Unterton. Liebenswert und liebevoll, wenn Resnais seine Figuren gegenseitig Trost suchen lässt in ihremTrübsal und sie sich ihre Seelen offenbaren, gehemmt oder nicht. Das verschafft Resnais Film emotional doch eine gewisse Authenzität. Wenngleich er sie auch überzeichnet.
Doch darin liegt ein weiterer Trick. Resnais inszeniert eine Seifenoper, stellt dies von Beginn an klar durch seine erzeugte Künstlichkeit der eingeschränkten Räumlichkeiten. Man könnte fast meinen Resnais überspitzte sein Verfahren der Seifenoper. Doch das Prinzip stimmt, einen wirklichen Anfang und gar ein absolues Ende kennt sein Film nicht. Das Leben geht nur weiter. Mit Kehrseiten oder ohne. Zwischendrin mischen sich Dramatik, Trübsal, Findung und Entzweiung. Und dieser Resnais, der schafft es doch tatsächlich dem Ganzen noch Natürlichkeit zu verleihen. Demnach ein faszinierendes Experiment, welches der Altmeister anstrebte. Auch die Kamera experimentiert mit Einstellungen und Raum, wechselt die Perspektiven horizontal oder vertikal. Erst linear, irgendwann im drehenden Kreise um die Protagonisten. Es folgen Symbole für Szenenüberblendungen (= inhaltlisch markiert als Episodenwechsel), das Symbol ist Schnee. Head Close Ups bedient man sich im häufigen Dialog. Ansonsten wird die Halbnahe geliefert. Das Bild in der Ferne verschwommen, in der Nähe scharf und die Gesichter im Detail, ein weiteres Stilmittel um die Nähe zum Theater vordergründig darzulegen. Ein schöner, wie zugleich wehmütiger Reigen der einsamen Seelen. Ruhig und unaufgeregt in seiner Art und trotz seiner Künstlichkeit und seiner soapartigen Aufmachung irgendwie menschlich.
7.0 / 10
Autor: Hoffman
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