Mittwoch, 17. Juni 2015
Eine aussichtslose Schatzsuche oder: Eine wahre Geschichte - Kritik: Kumiko, the Treasure Hunter (2014)
Die Einblendung am Anfang des Coen-Films FARGO bezeichnet die folgenden Ereignisse als wahr, ohne dass im Entführungsfall, der von der schwangeren Polizistin Marge Gunderson gelöst wird, auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckt. Es ist ein einflussreicher Thriller, der schwarzhumorig von der eigentlich tragischen Geschichte im stark verschneiten Fargo im Staat North Dakota erzählt. Sogar eine überraschend eigenständige Fernsehserie hat der Film nach sich gezogen, von der im Herbst noch die zweite Staffel laufen soll. Auch KUMIKO, THE TREASURE HUNTER, das neue Werk der Zellner-Brüder (lustigerweise ein zweites Brüdergespann, das zusammen Filme produziert, wenngleich David alleine Regie führt) beruft sich auf FARGO. Genauer gesagt ist es eine abgenudelte Videokassette des Films, die Kumiko (Rinko Kikuchi) in einer verlassenen Grotte findet. Zum Glück besitzt sie noch einen ebenso alten Videorekorder, der ihr ominöses Fundstück abspielt. Sie selbst ist sich nicht bewusst, dass die Einblendung zu Beginn ein Scherz der Regisseure ist, der Konventionen faktentreuen Erzählens zuwiderläuft. Kumiko zeigt sich fasziniert von der Möglichkeit, den Geldkoffer irgendwo unter Schneebergen am Landstraßenzaun zu finden. Es ist weniger die materielle Verlockung, die sie antreibt, als vielmehr die pure Abenteuerlust und das Gefühl, eine Bestimmung zu haben. Denn eine solche braucht Kumiko, um die Demütigungen im Alltag auszugleichen Sie wohnt alleine mit ihrem Kaninchen in einer Wohnung in Tokio, ist bereits 29 Jahre alt und noch immer unverheiratet. Nichts außergewöhnliches, möchte man meinen, jedoch ist dies ein kultureller Affront, der ihr Schwierigkeiten im Berufsleben bereitet, da ihr Chef ankündigt, sie durch eine deutlich jüngere Assistentin ersetzen zu lassen. Auch von ihrer Mutter muss sie sich (per Telefon) Nörgeleien anhören. Eine Entfremdung zwischen Mutter und Tochter offenbart sich allein schon dadurch, dass sie sich nie begegnen, sondern nur mit Ferngesprächen miteinander kommunizieren. Als sie einer ehemaligen Bekannten begegnet, rennt sie beim schmerzhaften Anblick ihres Sohnen einfach davon. Ja, Kumiko ist todunglücklich. Etwas, was die glückliche (?) Schicksalsfügung anhand des Schatzes ändern könnte. Der eigentlich erschütternde Umstand dabei: Im Gegensatz zu FARGO hat diese Geschichte durchaus eine Grundlage in der Realität.
Die Leiche einer japanischen Frau ist tatsächlich im Jahr 2001 unweit der Stadt Fargo gefunden worden Medienberichten zufolge hat sie das Erpressungsgeld aus dem Coen-Film gesucht, allerdings trifft wohl eher die Annahme zu, dass sie sich aufgrund einer gescheiterten Beziehung bewusst umbrachte. Die Zellner-Brüder nehmen die von den Medien behauptete Ausgangslage als Prämisse für ihre eigene Erzählung. Ob Kumiko früher auch in der Liebe scheiterte, wird nicht verraten, jedoch kann dies stark vermutet werden. Mit ihren letzten Geldreserven reist sie nach Minnesota, um ihre "quest" zu erfüllen. Hier begegnet sie einigen Personen, die bereit sind, ihr zu helfen (unter anderem einem Polizisten, der durch seine Nächstenliebe für Kumiko eine denkbare Option für eine Liebesbeziehung darstellt). Doch sie bleibt einsam, weil sie sich ihre Alleinstellung selbst auferlegt. Die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Heimat lassen sie nicht los und können nur von einer irrealen Hoffnung besiegt werden. Mit einer bestickten Decke als notdürftig wärmenden Mantel betritt sie die verschneite Einöde, ihrem Hirngespinst hinterherjagend. Nur wenige Dialoge zeichnen den Film aus. Es reicht allein Kikuchis leerer Blick, um ihre tiefsitzende Verletzlichkeit zu zeigen. Die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens bietet recht trübe Aussichten für einen tatsächlichen Erfolg und somit glücklichen Ausgang. Ebenso wie im Vorgängerfilm KID-THING bleibt die Perspektive stark auf die Hauptfigur gerichtet. Alle weiteren Figuren würden nur ablenken. Der Niedergang der Protanisten wird letztlich lediglich durch eine seltsame, bisweilen out of place wirkende Sequenz am Ende geschmälert, die bestimmt so einigen missfallen dürfte, aber nur wenige Zweifel übrig lässt, was sie genau zu bedeuten hat.
6 / 10
Autor: DeDavid
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