Jacques Tourneurs
erster Farbfilm dauert kaum anderthalb Stunden, fühlt sich aber viel länger an –
dies im besten Sinne. „Canyon Passage“ ist ein vollbepackter Film, doch mit was
eigentlich? Bis auf die letzten 20 Minuten mit dem Kampf gegen Indianer
passiert für einen Western nicht viel. Eine Gemeinschaft wird porträtiert,
eine Dor namens Jacksonville, mit dem Goldrausch im Nordwesten der USA entstanden. Dieses
vielschichte Portrait entsteht aus Szenen, die sich, wie Bertrand Tavernier
erklärt, ergänzen oder beinahe widersprechen – das Gegenteil eines geradlinigen
Westerns, wie es andere Regisseure wie Anthony Mann zur Perfektion gebracht haben.
Die Handlung strebt nicht bedingungslos von Punkt A zu Punkt B. Vielmehr legt
die Kamera Schichten dieser Gemeinschaft frei und spürt Beziehungen von
Personen auf, wobei sich diese Beziehungen schon lange bevor der Film beginnt
eingestellt und gefestigt haben. Viele wichtige Dinge geschehen off-screen: ein
Mord zum Beispiel. Was zählt, ist der interessantere Teil: Wie die Gemeinschaft
damit umgeht.
Die
Modernität dieses vielschichtigen Drehbuchs wird weiter bekräftigt durch die
Stimmung des Films, welche spätere Western vorwegnimmt, z. Bsp. von Peckinpah. Wie
Tavernier meint, bringt Tourneur hier eine Grundidee des Zweifels in ein Genre,
welches damals vor allem affirmativ ist. „What`s your idea of a friend?" – "Any man, I suppose, who believes as I
do that the human race is a horrible mistake“ heisst es da. Oder: "The trouble always comes". Das gilt für Geldprobleme, für Probleme mit Indianern, und für die Liebe. Der Protagonist (ein Held ohne Heldentaten) verlobt sich mit einer Frau, die bereits von einem anderen ins Auge gefasst wurde. Eigentlich liebt der Protagonist aber die baldige Ehepartnerin seines besten Freundes; dieser wiederum hat ein Auge auf eine Wirtin geworfen. Unser Protagonist wird mehrmals beschrieben als "restless man"; nur in Bewegung kommt er zur Ruhe. Daraus entsteht ein Konflikt mit seiner Verlobten: sie will Fuss fassen, strebt nach einer Heimat. Der Konflikt also zwischen Individuum und Gemeinschaft: davon handelt der Film. Mit dem Individuum ist keineswegs nur der erwähnte Protagonist (Dana Andrews) gemeint: Vielen Personen gibt der Film eine spezifische Stimme, wobei des wörtlich zu nehmen ist bei einem town singer namens Hi Linnet, welcher mit seiner Gitarre immer wieder auftaucht und uns quasi durch den Film führt. Als wir zum ersten Mal das Dorf zu Gesicht bekommen folgt die stets äusserst fluide Kamera dem Blick der Hauptfigur: zuerst kommt dessen Antagonist (Ward Bond) ins Blickfeld, doch die Kamera dreht sich weiter, Hi Linnet reitet hinein, und die Kamera folgt ihm und seinem Gesang durch das Dorf. An einer anderen Stelle zeigt die Kamera zuerst ihn, bewegt sich dann weg, über Dutzend andere Einwohner, fängt, wie durch Zufall den Helden mit seiner Geliebten ein und kommt dort zur Ruhe. Das erinnert fast an die Kameraballette von Jancso oder Angelopoulos.
Entsprechend der mit Zweifel befallenen Grundstimmung sind Personen oft nur von hinten zu sehen: Rücken zur Kamera:
Oder, wie im folgenden Bild, mit dem Kopf zur Seite geneigt - dieses äusserst expressionistische, stilisierte Bild stellt dar, wie eine Idee geboren wird: die Idee des Mordes. Der Mordende ist dabei keineswegs ein Bösewicht, sondern der beste Freund des Helden.
Wenn wir die Figuren doch einmal frontal zu sehen bekommen, dann mit Schatten im Gesicht:
Tourneur liebt diese Schattenspiele, von denen er schon exzessiv in I Walked With a Zombie exzessiv Gebrauch gemacht hatte, einem Film den Jonathan Rosenbaum beschreibt als "the closest classical Hollywood ever came to poetry". Hervorragend in dieser Hinsicht, wie sich eine Bar nach und nach mit menschlichen Schatten füllt:
Trotz alledem ist Canyon Passage kein düsterer Film. Vielmehr halten sich pessimistische Szenen mit optimistischen die Waage. Herzstück ist die cabin-raising-sequence, bei der sich die Gemeinschaft versammelt, um einem frisch vermählten Ehepaar eine Hütte zu bauen. Tourneur bringt hier also Licht ins Dunkel: tatsächlich kann man das auch wörtlich nehmen, da er dazu neigt, bei vielen Szenen eine direkte Lichtquelle im Bildkader sichtbar zu machen, siehe hierzu diese drei Lampen:
Oder ein Feuer, ein Beispiel aus der cabin-raising-sequence (Hi Linnet sorgt dabei wieder für musikalische Unterhaltung):
9.0 / 10
Autor: Cameron
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