Was
nach Dreyers Michael, einem Stummfilmdrama über einen Maler und dessen
Beziehung zu seinem titelgebenden Modell und Ziehsohn, am meisten übrigbleibt,
sind die Räumlichkeiten. Beinahe der gesamte Film spielt im Haus des Malers
(das wir nie von außen sehen), seinen scheinbar riesigen Saälen und Salons,
ausgestattet mit exquisiten Skulpturen,
Springbrunnen, Sesseln und Bildern. Dreyers Schwerpunkt auf Raum kommt auch
deshalb so zur Geltung, weil er diese Salons in enormen long shots zeigt, mit
hoher Tiefenschärfe, und seine Bildkompositionen in die Tiefe staffelt. Die
Personen befinden sich oft in der hinteren Hälfte des Bildes, zu kleinen
Gestalten marginalisiert, in die sie umgebende Innenräume eingesunken, von
ihnen eingelullt; verloren und hilflos stehen sie dort umher:
So auch bei dieser Komposition, die beinahe aus einem Hou
Hsiao-Hsien-Film stammen könnte.
In diese Totalen werden dann Großaufnahmen geschnitten, die
uns unwillkürlich an die Charaktere heranbringen, damit wir nicht einen Blick
oder eine Geste verpassen:
Hier wird auf die Person geschnitten, die am weitesten hinten
im Bild zuvor steht (rechts), um deren Interesse an der Frau des soeben
eintretenden Ehepaars zu signalisieren. Überhaupt ist insbesondere die erste
Hälfte des Filmes, die ein einigermaßen komplexes Personen- und
Beziehungsgeflecht einführt, eine einzige Folge von flüchtigen oder/und
vielsagenden Blicken. Mit diesen Blicken, die aufeinander folgen, werden uns
diese Beziehungen, das Werben der Charaktere umeinander, nahegeführt. Dennoch
können diese Blicke ambigue sein, dass sie also mehrere Interpretationen über
die Motivationen der Charaktere zulassen. Ich will das am folgenden Beispiel
verdeutlichen:
Als die Prinzessin, die ihr Portrait vom Meister gemalt haben will, in den Salon eintritt, und vom Diener zugleich uns (der Kamera) und den sich im Raum befindenden Maler und Michael präsentiert wird,
Als die Prinzessin, die ihr Portrait vom Meister gemalt haben will, in den Salon eintritt, und vom Diener zugleich uns (der Kamera) und den sich im Raum befindenden Maler und Michael präsentiert wird,
Dann schaut er zur Seite, zum Meister. Die Natur seines
Blicks wechselt, wird skeptischer:
Dieser Blick – ein Zeichen der Eifersucht, doch wem
gegenüber? Michael könnte sich fürchten vor der Zuneigung der Prinzessin
gegenüber dem Maler, da er sie für attraktiv befunden hat und für sich
beanspruchen will. Oder gilt der böse Blick eher dem Maler, der seine
Aufmerksameit nun nicht mehr ihm, sondern der Prinzessin zuwendet? Michael, mit
dem der Maler offesichtlich auch eine amuröse Beziehung verbindet (so wird
durch mehrere Gesten und liebevolle Berührungen angedeutet) wird später meinen: „so hat er mich nie
behandelt“. Dennoch lüstet es ihn nach der Prinzessin, auch diese beiden werden
später eine nicht nur angedeutete, sondern offen gezeigte Liebesbeziehung
pflegen (die dann diejenigige zwischen Michael und Meister zerstört und somit
die Tragödie einläutet – der Film ist überhaupt eine männliche Version von
Fassbiders` „Petra von Kant“).
Diese Abhängigkeit von Blicken, die den Film prägt und aufbaut, machen ihn zu einem puren Stummfilm, der mit Ton undenkbar wäre. Ton wäre nicht nur unnötig, sondern würde ablenken – die Bilder füllen genug „Raum“ aus.
Diese Abhängigkeit von Blicken, die den Film prägt und aufbaut, machen ihn zu einem puren Stummfilm, der mit Ton undenkbar wäre. Ton wäre nicht nur unnötig, sondern würde ablenken – die Bilder füllen genug „Raum“ aus.
Ausgesprochen oft kommt die Großaufnahme auf ein Gesicht zum
Einsatz. Während Michael und die Prinzessin dabei immer wieder posierend zu
sehen sind, sich für den anderen inszenierend, bleibt der Meister mit stoischem
Gesichtsausdruck, selbst nachdem ihm schlimmste Nachrichten überbracht worden
sind. Er nimmt die Abwendung Michaels von ihm hin und klammert sich an seiner
Liebe zu ihm fest. Sein bestes Bild, das er Michael geschenkt hat und dieser sorglos
verkauft hat, lässt er wieder aufkaufen um es ihm von neuem zu schenken –„Der
Preis spielt keine Rolle“. Dabei nimmt er die Zuneigung des Journalisten und
Kunstkritikers Switt entweder nicht wahr oder beschließt, sie zu ignorieren.
Switt und Michael sind Gegenspieler, quasi Nebenbuhler um des Meisters Liebe;
deren „Duell“ wird mit einmal mit einem äußerst intensiven Blick- und
Schnittduell ausgetragen.
Der Meister hingegen wird nur selten in solche shot/reverse-shot-Sequenzen eingegliedert; viel häufiger starrt er in einem Gespräch mit einer anderen Person in die Luft oder auf ein Bild von ihm. Exemplarisch dieses Gespräch zwischen Switt und dem Meister; ersterer teilt ihm etwas mit
worauf er nur noch stoischer auf seine Arbeit schaut
Der Meister hingegen wird nur selten in solche shot/reverse-shot-Sequenzen eingegliedert; viel häufiger starrt er in einem Gespräch mit einer anderen Person in die Luft oder auf ein Bild von ihm. Exemplarisch dieses Gespräch zwischen Switt und dem Meister; ersterer teilt ihm etwas mit
worauf er nur noch stoischer auf seine Arbeit schaut
Das Liebesviereck Switt-Meister-Michael-Prinzessin wird durch eine Nebenhandlung ergänzt, welche die Haupthandlung spiegelt oder zuweilen kommentiert. Unter den Gästen im Hause des Malers befindet sich ein Herzog, der sich in die Frau eines aristokratischen Ehepaares verliebt (siehe dazu die Bilder am Anfang des Artikels) – das Duell zwischen Ehemann und Nebenbuhler wird hier aber mit echten Waffen ausgetragen. Wobei am Ende die Differenz nicht groß ist – beide dieser Liebesintrigen verlaufen schließlich verheerend.
8.5 / 10
Autor: Cameron
Ein Stummfilmartikel - wie schön! Passt zu meinem Blog, deshalb - und weil mir Euer Blog auch sonst gefällt - habe ich Euch sogleich in meine Blogroll übernommen.
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