Mittwoch, 26. Oktober 2016

Alltag und Geschichte - Kritik: No Home Movie (2015)

Akermans letzter Film, bei dem sie ihre Mutter in den Vordergrund rückt, ist eine grosse Ode an die Kraft des Kinos, an die Wucht von Bildern; und gleichzeitig ein unkonventionelles Porträt, das, wie bei Akerman üblich, überhaupt nicht unkonventionell sein möchte.  Die lange Aufnahme, mit der der Film beginnt: ein karger Baum, allein stehend in einer unendlich kargen Landschaft, über sie mahnend, oder ihr resistierend, trotzend; von einem starken Wind hin und her geweht, auch ihm widerstehend. Wir sehen hin und wieder ganz weit im Hintergrund Autos die Landschaft durchqueren, sich aber kaum von ihr abhebend. Ein ungeheuer starkes Bild, dem Zeit gegeben wird, nicht nur zu wirken, sondern es zu „erkennen“, mit dem wir machen können, was wir wollen: wir können es als Erzählung ansehen (die Geschichte besteht zum Beispiel darin, wie die Blätter im Wind wehen – dieses berühmte Griffith-Zitat kommt natürlich sofort in den Sinn: „What the modern movies lack ist the movement of wind in the trees“; wir können also diesen Bewegungen der Blätter folgen, oder den Autos im Hintergrund), wir werden es aber auch unweigerlich als Metapher ansehen. Einerseits beziehen wir es auf uns selbst, denn, da es den Film ja eröffnet, kann es zu diesem Zeitpunkt sonst nicht eingeordnet werden, andererseits werden wir es später, im Verlaufe des Films und danach, auf Akerman, oder Akermans baldig sterbende Mutter beziehen, dem Tode noch trotzend, umhergeworfen von den Irrungen des Lebens, dem Lauf der Geschichte (aus Polen stammend emigrierte letztere zur Zeit des Nationalsozialismus nach Belgien, wo sie mit ihren Eltern nach Auschwitz deportiert  wurde… sie überlebte als Einzige.).


Die Mutter wird nun also gefilmt, nur innerhalb ihrer Wohnung, von der sie sich wohl auch nur noch selten entfernt. Wir sehe ihr zu wie sie: eigentlich nichts macht, das heisst: durch die Wohnung streift, schwach, im Verlaufe immer schwächer werdend. Manchmal erfasst die Kamera auch nur leere Räume, wobei im Verlaufe einer langen Einstellung die Mutter, Akerman selbst, oder andere Personen kurz das Blickfeld der Kamera durchqueren. Manchmal sehen wir in einen Raum, dessen Tür nur einen Spalt breit offen steht, sodass wir den Raum nicht wirklich zu sehen bekommen, resp. ihn gerade durch das Nicht-sehen, das Versperren des Blickfelds durch Türen oder Mauern, erfassen. Genauso ist die Mutter gerade dann besonders präsent, wenn wir sie nicht sehen (vielleicht ganz knapp ihr Röcheln hören), beim Anblick ihrer leeren Wohnung, oder beim Blick aus dem Fenster, auf Passanten, wartend auf den Bus an der Haltestelle, sowie die Mutter auf den Tod.
Es ist gerade durch diesen ungewohnten Ansatz des Filmens von Innenräumen, dass uns die Figuren und die Wohnung äusserst nahe kommen. Wie in Akermans anderen Filmen erstaunt ihr strenger und aufschlussreicher Blick auf Alltagszustände oder –Gegenstände, die wir sonst eines Blickes nicht würdig erachten. Für einen Film über ein derart trübseliges Thema gibt es äusserst viele witzige Momente: Das Kinopublikum lachte laut zwei drei Mal, Anlass zum Schmunzeln gibt es aber noch viel öfter. Die Beziehung Tochter-Mutter bietet wohl grundsätzlich viel komödiantisches Potenzial. Die Skype-Gespräche hier sind entwaffnend, oder die Gespräche in der Küche. Erschreckend dann, wie schnell ein Gespräch umschlagen kann, vom richtigen Zubereiten von Kartoffeln zur düsteren Vergangenheit der Mutter. Wie Alltag in Geschichte umschlägt.



(Nicht nur) in diesem Sinne ist „*No* Home Movie“, oder „*No Home* Movie“ ein Film der Extreme. Wir sehen einmal eine völlig weisse Leinwand (eine vom Gegenlicht extrem geblendete Kamera), und dann nur wenig später eine völlig schwarze Leinwand: die Wohnung der Mutter ist abgedunkelt, verriegelt. Oder: Akerman durchquert, nach Perioden irrer Stasis, die ganze besagte Wohnung, mit der Kamera bewaffnet, schnell, in wenigen Sekunden, vom Balkon auf der einen Seite zum dem auf der andern. Oder: die Skype-Videogespräche werden teilweise so nah am Computerbildschirm gefilmt, dass dieser zerfällt, in abstrakte Gebilde. Gespenstisch sehen wir gleichzeitig darin gespiegelt Akerman selbst und ihre Kamera. Ein grandioses Bild, Mutter und Tochter sehen wir vereint, aber beide verzerrt. Ein Echo dieses Bildes taucht später wieder auf, als Akerman sich über ein Gewässer lehnt; die Wellen des Wassers verzerren, spielen mit ihrer Spiegelung darin, ihr Bild verändert sich stets und bleibt doch konstant, so wie der Baum im Wind zu Beginn. Immer wieder punktieren solche Sequenzen den Film, die nicht direkt zur „zu erzählenden Geschichte“, zur Mutter, gehören. Ein Feld im Wind, eine Einstellung, so schön, dass einem Tränen kommen. Oder eine aus einem fahrende Auto gefilmte Wüstenlandschaft (man wird an Kiarostamis „Geschmack der Kirsche“ erinnert), eine Einstellung die ewig dauert, aber auch ewig dauern muss, um zu erfassen, dass sich die Landschaft eben ständig verändert (nicht nur ändert sich die Form der Hügel etc., sondern die Landschaft „nähert sich“ an einem Punkt so nahe der Kamera, dass sie, wie das Videobild, zerbricht, abstrahiert wird, wir sehen nur noch vorbeistreifende Farben und Formen), und doch konstant bleibt, wie der Baum im Wind und die Reflexion im Wasser. Für Akermans Kino ist dieses Spiel mit Veränderung und Konstanz zentral, ein Spiel, das nur zur Geltung kommen kann, weil Betonung auf die Zeit gelegt wird.

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