Akermans
letzter Film, bei dem sie ihre Mutter in den Vordergrund rückt, ist eine grosse
Ode an die Kraft des Kinos, an die Wucht von Bildern; und gleichzeitig ein
unkonventionelles Porträt, das, wie bei Akerman üblich, überhaupt nicht
unkonventionell sein möchte. Die lange
Aufnahme, mit der der Film beginnt: ein karger Baum, allein stehend in einer
unendlich kargen Landschaft, über sie mahnend, oder ihr resistierend, trotzend;
von einem starken Wind hin und her geweht, auch ihm widerstehend. Wir sehen hin
und wieder ganz weit im Hintergrund Autos die Landschaft durchqueren, sich aber
kaum von ihr abhebend. Ein ungeheuer starkes Bild, dem Zeit gegeben wird, nicht
nur zu wirken, sondern es zu „erkennen“, mit dem wir machen können, was wir
wollen: wir können es als Erzählung ansehen (die Geschichte besteht zum
Beispiel darin, wie die Blätter im Wind wehen – dieses berühmte Griffith-Zitat
kommt natürlich sofort in den Sinn: „What the modern movies lack ist the movement
of wind in the trees“; wir können also diesen Bewegungen der Blätter folgen,
oder den Autos im Hintergrund), wir werden es aber auch unweigerlich als
Metapher ansehen. Einerseits beziehen wir es auf uns selbst, denn, da es den
Film ja eröffnet, kann es zu diesem Zeitpunkt sonst nicht eingeordnet werden,
andererseits werden wir es später, im Verlaufe des Films und danach, auf
Akerman, oder Akermans baldig sterbende Mutter beziehen, dem Tode noch
trotzend, umhergeworfen von den Irrungen des Lebens, dem Lauf der Geschichte
(aus Polen stammend emigrierte letztere zur Zeit des Nationalsozialismus nach
Belgien, wo sie mit ihren Eltern nach Auschwitz deportiert wurde… sie überlebte als Einzige.).
Die Mutter
wird nun also gefilmt, nur innerhalb ihrer Wohnung, von der sie sich wohl auch
nur noch selten entfernt. Wir sehe ihr zu wie sie: eigentlich nichts macht, das
heisst: durch die Wohnung streift, schwach, im Verlaufe immer schwächer
werdend. Manchmal erfasst die Kamera auch nur leere Räume, wobei im Verlaufe einer
langen Einstellung die Mutter, Akerman selbst, oder andere Personen kurz das
Blickfeld der Kamera durchqueren. Manchmal sehen wir in einen Raum, dessen Tür
nur einen Spalt breit offen steht, sodass wir den Raum nicht wirklich zu sehen
bekommen, resp. ihn gerade durch das Nicht-sehen, das Versperren des Blickfelds
durch Türen oder Mauern, erfassen. Genauso ist die Mutter gerade dann besonders
präsent, wenn wir sie nicht sehen (vielleicht ganz knapp ihr Röcheln hören), beim
Anblick ihrer leeren Wohnung, oder beim Blick aus dem Fenster, auf Passanten,
wartend auf den Bus an der Haltestelle, sowie die Mutter auf den Tod.
Es ist
gerade durch diesen ungewohnten Ansatz des Filmens von Innenräumen, dass uns
die Figuren und die Wohnung äusserst nahe kommen. Wie in Akermans anderen
Filmen erstaunt ihr strenger und aufschlussreicher Blick auf Alltagszustände
oder –Gegenstände, die wir sonst eines Blickes nicht würdig erachten. Für einen
Film über ein derart trübseliges Thema gibt es äusserst viele witzige Momente: Das
Kinopublikum lachte laut zwei drei Mal, Anlass zum Schmunzeln gibt es aber noch
viel öfter. Die Beziehung Tochter-Mutter bietet wohl grundsätzlich viel
komödiantisches Potenzial. Die Skype-Gespräche hier sind entwaffnend, oder die
Gespräche in der Küche. Erschreckend dann, wie schnell ein Gespräch umschlagen
kann, vom richtigen Zubereiten von Kartoffeln zur düsteren Vergangenheit der
Mutter. Wie Alltag in Geschichte umschlägt.
(Nicht nur)
in diesem Sinne ist „*No* Home Movie“, oder „*No Home* Movie“ ein Film der
Extreme. Wir sehen einmal eine völlig weisse Leinwand (eine vom Gegenlicht
extrem geblendete Kamera), und dann nur wenig später eine völlig schwarze
Leinwand: die Wohnung der Mutter ist abgedunkelt, verriegelt. Oder: Akerman
durchquert, nach Perioden irrer Stasis, die ganze besagte Wohnung, mit der
Kamera bewaffnet, schnell, in wenigen Sekunden, vom Balkon auf der einen Seite
zum dem auf der andern. Oder: die Skype-Videogespräche werden teilweise so nah
am Computerbildschirm gefilmt, dass dieser zerfällt, in abstrakte Gebilde.
Gespenstisch sehen wir gleichzeitig darin gespiegelt Akerman selbst und ihre
Kamera. Ein grandioses Bild, Mutter und Tochter sehen wir vereint, aber beide
verzerrt. Ein Echo dieses Bildes taucht später wieder auf, als Akerman sich
über ein Gewässer lehnt; die Wellen des Wassers verzerren, spielen mit ihrer
Spiegelung darin, ihr Bild verändert sich stets und bleibt doch konstant, so
wie der Baum im Wind zu Beginn. Immer wieder punktieren solche Sequenzen den
Film, die nicht direkt zur „zu erzählenden Geschichte“, zur Mutter, gehören.
Ein Feld im Wind, eine Einstellung, so schön, dass einem Tränen kommen. Oder
eine aus einem fahrende Auto gefilmte Wüstenlandschaft (man wird an Kiarostamis
„Geschmack der Kirsche“ erinnert), eine Einstellung die ewig dauert, aber auch
ewig dauern muss, um zu erfassen, dass sich die Landschaft eben ständig
verändert (nicht nur ändert sich die Form der Hügel etc., sondern die
Landschaft „nähert sich“ an einem Punkt so nahe der Kamera, dass sie, wie das
Videobild, zerbricht, abstrahiert wird, wir sehen nur noch vorbeistreifende
Farben und Formen), und doch konstant bleibt, wie der Baum im Wind und die
Reflexion im Wasser. Für Akermans Kino ist dieses Spiel mit Veränderung und
Konstanz zentral, ein Spiel, das nur zur Geltung kommen kann, weil Betonung auf
die Zeit gelegt wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen