Mittwoch, 14. Dezember 2016

Schweben durch die Alltäglichkeit einer High-School - Kritik: Elephant (2003)


Gus Van Sants kontrovers diskutierter »Elephant«, der zweite Teil seiner »Trilogie des Todes«, ist eine Suche, eine einzige Suche, eine Suche durch die Gänge einer ganz gewöhnlichen High-School. Eine Suche nach Gründen? Eine Suche nach Antworten? Das ist fraglich. Van Sant erzählt von einem Amoklauf, das aber anders als es man erwarten würde. Es ist ein Film, den man als Experiment begreifen muss. Es ist ein Film, der in der Schwebe zu sein scheint bis das Unsagbare hereinbricht in den Alltag. Gus Van Sant geht es darum Stimmungen, das »Davor« einzufangen. Es ist ein Film, der durch die Verwendung der Steady-Cam und seiner präzisen Plansequenzen fließt. Das ist eine Kamera, die empirisch ist, die erforschen will. Die Welt, die Van Sant zeigt, ist noch in einem Fluss. Es sind betörende Herbstbilder zwischen (erst) Schönheit und (später) Grausamkeit.


Der Film sucht sich ganz bestimmte Figuren, archetypische Charaktere einer High-School, heraus, denen er folgt. Diese Figuren entsprechen gängigen Mustern, sind schablonenhaft entworfen, werden aber von Van Sant zum Großteil auch dezent angestimmt (Ausnahmen bilden in diesem Fall die Brillenschlange und die It-Girls). Van Sant arbeitet dabei eher bruchstückhaft und springt zwischen den einzelnen Figuren hin und her, deren Perspektive meist mit einer kurzen Einblendung ihres Namens auf einem Schwarzbild vorgestellt wird. Ein junger Fotograf, eher Einzelgänger, der von allen einen Bild nehmen will für eine Fotomappe, ein Sportlerass, das sich durch seinen roten Lifeguard-Pullover ausweist, und seine Freundin; die unsportliche Brillenschlange; die eifersüchtigen It-Girls, die Prinzessinnen der Oberflächlichkeit, die essen, um es kurz darauf wieder aus sich herauszukotzen. Und dort ist auch ein Junge, der den Namen John trägt, der vielleicht interessanteste Charakter, den Van Sant hier entworfen hat, vielleicht weil gerade er sich als einziger keiner genauen Fraktion zuordnen lässt. Sicherlich er ist ein ruhiger und sensibel erscheinender Typ, aber hinter diesem Charakter steckt spürbar noch mehr. Er hebt sich für mich hervor. Über ihn würde ich gerne mehr erfahren. Das Detail mit dem Hund ist wunderbar. Die Geschichte mit seinem (scheinbar stets) angetrunkenen Vater, der ihn zur Schule bringen versucht, hat Potenzial. Es ist eine Geschichte, vielleicht die einzige in Van Sants Film, die lebendig und lohnenswert erscheint. Es ist auch die Perspektive, die mit einem typischen Van-Sant-Shot beginnt, einem Auto, das aus einer Vogelperspektive geschossen die Weiten der Straßen vor sich zurücklegt. Ein Motiv, das Van Sant hier durchaus auch dezent humorvoll antippt.


Diesen Figuren, allesamt Schüler, die alle den wirklichen Vornamen ihres Darstellers tragen, folgt Van Sant. Er folgt ihnen vom Hof in das Innere des Gebäudes, durch die Gänge, von der Eingangshalle zum Dark Room, von einem Ort zum Anderen. Van Sant lässt sich Zeit und er nimmt sich auch die Zeit mal banale Dinge abzutasten (das Trinken einer Milch, die im Kühlschrank steht). Damit hat der Film fast schon etwas meditatives an sich, ist andererseits kontrolliert (und zumindest teils auch distanziert) in seiner Inszenierung und Betrachtung. Die Charaktere liegen im Fokus der Geschichte wie auch der Bilder, deren Hintergründe Van Sant meist in der Unschärfe lässt. Es sind nur Randerscheinungen, die wir daneben mitbekommen von diesem Alltag, etwas, dem wir gar nicht mehr Beachtung schenken. Die Charaktere treffen sich in ihren verschiedenen Perspektiven, werden verknüpft oder eben nur am Rande gestreift. Szenen werden wiederholt und Perspektiven scheinbar wahllos gewechselt. Van Sant ist bei diesem Film stiller Beobachter. Er hält sich ganz zurück. Der Zuschauer darf sich hier sein eigenes Bild vom Ganzen machen. Bei dieser Kühle, die der Film des weiteren besitzt, kann man ihm gegenüber einen gewissen prätentiösen Gestus nicht leugnen (unter anderem Beethovens »Für Elise« für die Streifzüge durch die Schule) oder zumindest nicht verwehren zu meinen, dass der Film einen solchen Gestus besitzt.



Es ist ein Film, der in der Luft hängt und der alles vage lässt, der manchmal plakativ wie dabei auch im selben Moment nebulös über die Hintergründe spekuliert. Der Amoklauf bleibt für Van Sant dennoch etwas unerklärliches. Die Perspektive von einem der Täter, Eric, die der Film ausführlicher schildert, ist daher gekennzeichnet von kleinen Details, einer ganzen Palette an Möglichkeiten, die Van Sant in seine Geschichte hinein gibt. Er wird von den Anderen im Unterricht mit Papierkügelchen beworfen. Ist er ein Außenseiter? Kann er den Lärm der Schüler nicht mehr ertragen? Er spielt Klavier. Er spielt Shooter-Games. Van Sant deutet die homosexuelle Beziehung der beiden Jungen an. Van Sant wagt einmal einen 360-Grad-Blick durch Erics Zimmer, untersucht den Raum und man kann dabei durchaus auch interessantes in den kleinen Dingen entdecken.


 Eine Anmerkung, die gerne vorschnell verurteilt wird, aber eigentlich klug eingefädelt ist, ist jene, bei der die Jungen eine Dokumentation über die Nationalsozialisten schauen, zu der ich gerne ein paar Gedanken äußern möchte. Erstens sieht es für mich wie eine Dokumentation (vom History Channel?) über die Propaganda der Nazis aus. Die Sendung könnte durch Zufall laufen, vielleicht gibt es nichts besseres im Fernsehen. Vielleicht haben sich die Jungen schlichtweg nur gelangweilt. Einer der Jungen weiß des weiteren nicht mal wie Hitler aussieht. Er fragt nach. Zweitens legt Van Sant auch gar keinen Fokus auf ihre Gesichter, was sie dabei empfinden, sehen wir nicht. Wir sehen nur den Bildschirm und am Ende interessiert sie das auch gar nicht mehr. Wieso sollte das also in irgendeinen Zusammenhang mit dem Amoklauf stehen? Es ist eine Möglichkeit, klar, aber genauso gut könnte ich hier auch jedes andere Detail aufzählen, das in ihrer Perspektive auftaucht (wie das Trinken der Milch zum Beispiel?). Es hätte alles möglich sein können, vielleicht war es auch gar nichts davon. Van Sant löst nicht auf, wird aber zugegebenermaßen bei mancher Dialogzeile dann doch etwas zu plakativ (»Most important, have fun, man!«). In der Nacht davor, in der Nacht bevor die Waffen geliefert werden, der Nacht vor dem Amoklauf, lässt Van Sant dann langsam ein Gewitter aufziehen, während die beiden Jungen noch seelenruhig schlafen, etwas, das er bereits in der 20. Minuten in einem kurzen stilisierten Moment vorwegnimmt. Wenn der Film dann gegen Ende den Schock und die Gewalt, die dann über alle kompromisslos und kaltschnäuzig hereinbricht, darstellt, dann zeigt er sein düsteres und absolut unterkühltes Antlitz, auch wenn es etwas irritierend erscheinen mag, dass dort noch eine weitere Perspektive (»Benny«) eingefügt wird, die vorher mit keinem Stück erwähnt wurde.


Das Werk von Van Sant ist schlussendlich nicht ganz einfach zu bewerten.  Man ist gewollt mehr über die Form und den Stil des Films zu reden und schreiben als über den Inhalt. Auch hier stellt sich die Frage inwiefern man überhaupt die Möglichkeit hat über diesen zu schreiben. Das sagt viel über »Elephant« aus. Es ist ein offener, aber irgendwie auch nichtiger Film, der mich spaltet, aber auch immer wieder fasziniert.


7.0 / 10

Autor: Hoffman 

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