Gus Van Sants kontrovers diskutierter »Elephant«, der zweite Teil seiner »Trilogie des Todes«, ist eine Suche, eine einzige Suche, eine Suche durch die Gänge einer ganz gewöhnlichen High-School. Eine Suche nach Gründen? Eine Suche nach Antworten? Das ist fraglich. Van Sant erzählt von einem Amoklauf, das aber anders als es man erwarten würde. Es ist ein Film, den man als Experiment begreifen muss. Es ist ein Film, der in der Schwebe zu sein scheint bis das Unsagbare hereinbricht in den Alltag. Gus Van Sant geht es darum Stimmungen, das »Davor« einzufangen. Es ist ein Film, der durch die Verwendung der Steady-Cam und seiner präzisen Plansequenzen fließt. Das ist eine Kamera, die empirisch ist, die erforschen will. Die Welt, die Van Sant zeigt, ist noch in einem Fluss. Es sind betörende Herbstbilder zwischen (erst) Schönheit und (später) Grausamkeit.
Der Film sucht sich ganz bestimmte Figuren, archetypische Charaktere einer High-School, heraus, denen er folgt. Diese Figuren entsprechen gängigen Mustern, sind schablonenhaft entworfen, werden aber von Van Sant zum Großteil auch dezent angestimmt (Ausnahmen bilden in diesem Fall die Brillenschlange und die It-Girls). Van Sant arbeitet dabei eher bruchstückhaft und springt zwischen den einzelnen Figuren hin und her, deren Perspektive meist mit einer kurzen Einblendung ihres Namens auf einem Schwarzbild vorgestellt wird. Ein junger Fotograf, eher Einzelgänger, der von allen einen Bild nehmen will für eine Fotomappe, ein Sportlerass, das sich durch seinen roten Lifeguard-Pullover ausweist, und seine Freundin; die unsportliche Brillenschlange; die eifersüchtigen It-Girls, die Prinzessinnen der Oberflächlichkeit, die essen, um es kurz darauf wieder aus sich herauszukotzen. Und dort ist auch ein Junge, der den Namen John trägt, der vielleicht interessanteste Charakter, den Van Sant hier entworfen hat, vielleicht weil gerade er sich als einziger keiner genauen Fraktion zuordnen lässt. Sicherlich er ist ein ruhiger und sensibel erscheinender Typ, aber hinter diesem Charakter steckt spürbar noch mehr. Er hebt sich für mich hervor. Über ihn würde ich gerne mehr erfahren. Das Detail mit dem Hund ist wunderbar. Die Geschichte mit seinem (scheinbar stets) angetrunkenen Vater, der ihn zur Schule bringen versucht, hat Potenzial. Es ist eine Geschichte, vielleicht die einzige in Van Sants Film, die lebendig und lohnenswert erscheint. Es ist auch die Perspektive, die mit einem typischen Van-Sant-Shot beginnt, einem Auto, das aus einer Vogelperspektive geschossen die Weiten der Straßen vor sich zurücklegt. Ein Motiv, das Van Sant hier durchaus auch dezent humorvoll antippt.
Diesen Figuren, allesamt Schüler, die alle den wirklichen Vornamen ihres Darstellers tragen, folgt Van Sant. Er folgt ihnen vom Hof in das Innere des Gebäudes, durch die Gänge, von der Eingangshalle zum Dark Room, von einem Ort zum Anderen. Van Sant lässt sich Zeit und er nimmt sich auch die Zeit mal banale Dinge abzutasten (das Trinken einer Milch, die im Kühlschrank steht). Damit hat der Film fast schon etwas meditatives an sich, ist andererseits kontrolliert (und zumindest teils auch distanziert) in seiner Inszenierung und Betrachtung. Die Charaktere liegen im Fokus der Geschichte wie auch der Bilder, deren Hintergründe Van Sant meist in der Unschärfe lässt. Es sind nur Randerscheinungen, die wir daneben mitbekommen von diesem Alltag, etwas, dem wir gar nicht mehr Beachtung schenken. Die Charaktere treffen sich in ihren verschiedenen Perspektiven, werden verknüpft oder eben nur am Rande gestreift. Szenen werden wiederholt und Perspektiven scheinbar wahllos gewechselt. Van Sant ist bei diesem Film stiller Beobachter. Er hält sich ganz zurück. Der Zuschauer darf sich hier sein eigenes Bild vom Ganzen machen. Bei dieser Kühle, die der Film des weiteren besitzt, kann man ihm gegenüber einen gewissen prätentiösen Gestus nicht leugnen (unter anderem Beethovens »Für Elise« für die Streifzüge durch die Schule) oder zumindest nicht verwehren zu meinen, dass der Film einen solchen Gestus besitzt.
Es ist ein Film, der in der Luft hängt und der alles vage lässt, der manchmal plakativ wie dabei auch im selben Moment nebulös über die Hintergründe spekuliert. Der Amoklauf bleibt für Van Sant dennoch etwas unerklärliches. Die Perspektive von einem der Täter, Eric, die der Film ausführlicher schildert, ist daher gekennzeichnet von kleinen Details, einer ganzen Palette an Möglichkeiten, die Van Sant in seine Geschichte hinein gibt. Er wird von den Anderen im Unterricht mit Papierkügelchen beworfen. Ist er ein Außenseiter? Kann er den Lärm der Schüler nicht mehr ertragen? Er spielt Klavier. Er spielt Shooter-Games. Van Sant deutet die homosexuelle Beziehung der beiden Jungen an. Van Sant wagt einmal einen 360-Grad-Blick durch Erics Zimmer, untersucht den Raum und man kann dabei durchaus auch interessantes in den kleinen Dingen entdecken.
Das Werk von Van Sant ist schlussendlich nicht ganz einfach zu bewerten. Man ist gewollt mehr über die Form und den Stil des Films zu reden und schreiben als über den Inhalt. Auch hier stellt sich die Frage inwiefern man überhaupt die Möglichkeit hat über diesen zu schreiben. Das sagt viel über »Elephant« aus. Es ist ein offener, aber irgendwie auch nichtiger Film, der mich spaltet, aber auch immer wieder fasziniert.
7.0 / 10
Autor: Hoffman
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