Donnerstag, 23. Februar 2017

Kritik: Le Havre (2011)



Schon bei dem Einstieg zu seinem sympathisch-verschrobenen Film könnte man meinen, dass Aki Kaurismäki an den Mythen festhält. Es ist fast schon ein Einstieg wie aus einem Gangsterfilm: Ein Mann kommt an seinen Koffer gekettet am Hafen von Le Havre an, hat einen skeptischen Blick aufgesetzt, sieht andere dubiose Gestalten, die ihn beschatten, tritt aus dem Bild und wird kurz darauf erschossen. Ebenfalls anwesend an dieser Stelle ist Marcel Marx (André Wilms), ein einfacher Schuhputzer, der sich versucht durchzuschlagen. Kaurismäki zeigt zunächst den Alltag seines Protagonisten, der am Ende des Tages zu seiner (wie man später erfährt: an Krebs erkrankten) Frau (Katy Outinen) in sein kleines blaues Häuschen zurückkehrt. Ein Alltag, der trist und eintönig erscheint. An anderer Stelle wird ein Countainer mit illegalen Einwanderern im Hafen entdeckt, aus dem ein Flüchtlingsjunge flieht, dessen eigentliches Ziel London ist, als dieser von den Polizisten aufgespürt wird und der schließlich bei Marcel unterkommt.


 Durchaus ist Kaurismäkis mit tableauartiger Genauigkeit inszenierter Film irgendwie auch sozialrealistisch, aber nie trübe, sondern oft galant geschmückt und nostalgisch ästhetisiert. Es wirkt nicht realistisch, sondern irgendwie verträumt in seinen Farbtönen. Kaurismäki bietet eine artifizielle Kulisse (darin ähnelt er auch irgendwie dem schwedischen Kollegen Roy Andersson), zeigt eine Welt, die es nicht mehr gibt, aber von Kaurismäki trotzdem genau verortet wird in der französischen Hafenstadt Le Havre, in der Kaurismäki ein Überbleibsel der Vergangenheit fand. Das ist vielleicht der Schlüssel zu diesem Film, den Kaurismäki märchenhaft überhöht. Kaurismäki, der Nostalgiker, zieht sich ganz zurück. Es sind zwei verschiedene Welten, die aufeinanderprallen. Selbst dem Tragischen gewinnt er hier immer auch etwas skurriles ab.


 Es ist verzerrtes und lakonisch-liebenswertes Werk von einem Kaurismäki, der sich eine bessere Welt vorstellt, ganz unbedarft und unschuldig auf die Geschichte blickt, besonnen, ruhig, regelrecht unauffällig von den guten Menschen erzählt, an die Menschlichkeit appelliert, Hilfsbereitschaft zeigt und für Menschenwürde eintritt. Durch dieses Szenario schreiten aber auch ein finsterer und in einen Trenchcoat gekleideter Jean-Pierre Léaud, einem denunzierenden Teufel aus dem Nichts, aus den Schatten, heraus und ein Kommissar (Jean-Pierre Darroussin), der einen schwarzen Trenchcoat, einen schwarzen Hut und schwarze Handschuhe trägt und der damit irgendwas zwischen Engel und Teufel ist. Eine leichte Melancholie schwingt trotzdem noch durch die Bilder. Dramaturgisch bleibt der Film dennoch eigenwillig, bleibt trocken wie sein Humor. Auf seine Weise ist Kaurismäki aber auch schon wieder lässig, wenn, um ins Detail zu gehen, Kafka zum einschlafen gelesen wird oder ein alter Rocker in schillernd roter Lederjacke ein Konzert gibt, um das Geld für die Überfahrt des Jungen zu bezahlen. Es ist kurz gesagt, ein kleines optimistisches Werk eines alternden Pessimisten, der basierend auf wahren Zuständen ein im Kern irgendwie warmherziges, vielleicht etwas zu liebliches Kino macht.

6.5 / 10

Autor: Hoffman 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen