Donnerstag, 7. September 2017

Der Traum vom sozialen Aufstieg - Kritik: Sweet Sixteen (2002)


 Ken Loachs »Sweet Sixteen« ist ein einfühlsames Porträt seines Protagonisten, des Jugendlichen Liam, dessen Mutter im Gefängnis sitzt. Von seinem Stiefvater wird er genötigt kriminielle Taten zu vollführen. Widersetzt er sich, erntet er Schläge von diesem Fürsorger, der ihm geblieben ist. Aus der Schule wurde er rausgeschmissen, ist ein Herumtreiber, der seinen Blick aber auch immer noch zu den Sternen richtet, in das Universum, was für Regisseur Ken Loach und Autor Paul Laverty für ein Streben nach mehr, dem Traum von einem sozialen Aufstieg steht (eine ähnliche Metapher findet sich auch in Loachs Frühwerk »Kes«). Das Leben dieses Jungen hat keine Stütze, die Zukunft ist ungewiss, diese Figur existiert im Jetzt. Liam ist auf der einen Seite ein Rüpel, aber auf der anderen Seite auch verspielt und kann gegenüber anderen Kindern und Jugendlichen (wie dem Baby seiner Schwester) ein liebevoller Beschützer sein. Es ist eine idealistische Figur, die noch nicht aufgegeben hat und die, um sich ihren Traum zu erfüllen (der Traum vom eigenen Heim, einem Wohnwagen am Rande der Stadt für seine Mutter und sich), zum Drogenkurier wird.


Das ist natürlich paradox und Ken Loach scheint auch darauf bedacht zu sein, dieses Paradoxe herauszuarbeiten, denn um aufzusteigen, müssen seine Figuren hier in die Kriminalität absteigen und daraus entsteht ein Kreislauf, aus dem sie nicht mehr entrinnen können und für Ken Loach ist es auch immer das System, das er hier anklagt. In »Sweet Sixteen« tut er das aber subtiler und dezenter, hier liegt es unter der Oberfläche und so ist es auch mehr ein leises Werk im Schaffen von Ken Loach, das versöhnlicherweise nicht wie viele andere Arbeiten von ihm und Laverty laut herumpoltert, sondern durch Zurückhaltung seine Intimität schafft. Was Loach gelingt ist, das leise Zerbrechen seiner Figuren zu schildern, ihre Fragilität behutsam nach außen zu kehren, ihre Verzweiflung darzulegen.


Die Geschichten ist zwar linear aufgebaut, funktioniert aber auch über kleine Episoden, die verschiedene Facetten des Lebens von Liam skizzieren. »Sweet Sixteen« ist einfach homogen, in sich stimmig entworfen und platzt nicht mit irgendwelchen Wendungen hervor, wie manch anderes Werk von Loach, sondern entwickelt eine konsequente Aufstiegs- und Fallgeschichte. Ansonsten ist Loach natürlich in diesem Werk seinem etablierten Stil treu: Er schildert die Realität ungeschönt und direkt. Er ist dem Dokumentarischen nah. Er ist ein aufmerksamer Beobachter, der seinen Protagonisten auf seiner tragischen Reise durch das Leben besonnen begleitet, sieht wie er vor großen und kleinen Konflikten steht, wie er Steine in den Weg gelegt bekommt und doch weiter nach dem Glück sucht, auch wenn dieser nicht weiß wie. Am Ende steht er da allein, die Träume sind zerplatzt und er ist im Grunde ein Gefangener, ein Mensch, der aus dem Teufelskreis der Gewalt und Kriminalität nicht mehr herauskommen kann.


7.5 / 10

 Autor: Hoffman

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