Ein zwanzigminütiger Film Godards, und wie das DVD-Booklet dieses
und drei anderer seiner Kurzfilme sagt: Filme, die alles umfassen, Kunst und
Freiheit, Präsenz und Gedächtnis, Gewalt und Leidenschaft. Allesumfassende
Filme hat Godard aber immer schon gemacht, selbst zu Beginn: Filme, die stets
Aufmerksamkeit von sich selbst weglotsen, Referenzen, die uns zu Kunstwerken,
zu Begebenheiten, kleinen Fabeln und Geschichten, Kriegen, Personen usf.
führen, auch oder vor allem zu Godard selbst, zu früheren Arbeiten; wir müssen
uns also umsehen in der Welt, um diese Filme zu erfassen, oder um in ihnen
unterzugehen.
Liberté et Patrie: Freiheit und Vaterland, um dieses Wort- oder
Ideenpaar strukturiert er diesen Film wie eine Kugel. Solche Wortpaare, die
zwei Begriffe gegeneinander ausspielen und sich selbst in Schwingung versetzen,
ist das eine gute Idee, um sich diesem Kino zu nähern? Auf jeden Fall bringt im
Film Godard noch andere vergleichbare Paare: Hände und Augen etwa: Hände –
Vaterland und Augen – Freiheit. Oder Form (la forme) und Inhalt (le fond, ist
das wirklich übersetzbar? Ebenso bei seinem sich gerade in Arbeit befindendem
Film Paroles et Images: wie Godard in
einem Interview vermerkt, ist paroles
nicht mit Worte nicht beizukommen.). Dann
also Form – Vaterland und Inhalt – Freiheit? Der Grundgedanke ist die Freiheit,
die im (in Form des) Vaterland(s) möglich / durchgesetzt / zelebriert wird. Die
Umkehrung ergibt durchaus ebenfalls Sinn (aber Sinn in einem Film wie diesem?):
In Form der Freiheit steht das Vaterland, oder: durch das freiheitsorientierte
Gesetz (das die Form des Lebens festlegt) wurde unser Vaterland geschaffen.
Liberté et Patrie: es ist die Inschrift auf dem Wappen des Kanton Waadts, in
dem Godard, am Genfersee, lebt und in dem ich mich übrigens gerade ebenfalls
befinde.
Die Geschichte eines Schweizer Malers wird in diesem Film erzählt,
die Parallelen aufweist zu derjenigen Godards (Waadt – Frankreich sind zwei
Pole in beider Leben); dass der Maler eine fiktive Figur aus einem Roman
Ramuz`, ebenfalls Waadtländer, ist, spielt keine Rolle. Der Film ist auch ein
Diskurs (und so angemessenerweise von zwei Sprechern vorgetragen) über
Wirklichkeit (das ist zwar wohl jeder Film) und dessen Interpretation, über
Bild und Repräsentation, über: „Sieh dir dies an“ – und – „Stell dir dies vor“;
oder, wie es in Adieu au language heisst: „Ceux qui manquent d‘ imagination se
réfugient dans la réalité“, und ebenso wie jener ist dieser Film hier auch vor
allem eines: unglaublich schön. Die schönsten Überblendungen seit Sternberg
oder Bruce Baillies Castro Street!, könnte man sich etwa auf dem Filmposter als
Werbeslogan vorstellen. Diese langsamen Überblendungen, oft zwischen Gemälden
und wirklichen Filmaufnahmen (in beide Richtungen), die Ähnlichkeiten
herausschälen, die oft so langsam vonstattengehen, dass man sie kaum bemerkt;
diese Überblendung haben enorme intellektuelle Kraft und sind doch auch einfach
entrückend schön anzusehen – die Brücke zwischen Vorstellung und Realität, wir spinnen
sie erst und überschreiten sie dann. Am Ende wird, zusammen mit Beethovens
Streichquartett, so etwas wie eine Ekstase erreicht, vielleicht ähnlich dem
Kindergeplärr, das Adieu au language beschliesst.
Liberté et Patrie. Wo finden wir die Freiheit im Vaterland des
Films? Und wo stösst die Freiheit des Films auf das Vaterland?
++
Autor: Cameron
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