Donnerstag, 4. April 2013

Godard Retroperspektive #5 - Klassiker der Extraklasse: Alphaville - Lemmy Caution gegen Alpha 60 (1965)




»Hat sich denn nie jemand in sie verliebt?« - »Verliebt? Was ist das?« - Ein weiteres Mal erweitert Jean-Luc Godard sein Gesamtwerk mit einem Film, der sich einem neuen Territorium des amerikanischen Films widmet. Damit ist Godards »Alphaville« eigentlich gar nicht so ungewöhnlich von der Prämisse, doch aber auf seine spezielle Art auch besonders hervorstechend in Godards früher Schaffensperiode. Man kann demnach »Alphaville« am besten betrachten als Godards Antwort auf die naiven, amerikanischen Science-Fiction-Filme (oder B-Movies) der 50er Jahre. Des weiteren zwingt sich der Vergleich mit dem Kollegen Truffaut nahezu auf, der ein Jahr später als Godard, im Jahre 1966, seine Bradbury Verfilmung »Fahrenheit 451« veröffentlichte. Der Kontrast zwischen den beiden Film ist technisch wie auch inhaltlich interessant. nur zweiteres ist hierbei von Relevanz. Während Truffaut eine Welt ohne Bücher aufzeichnete, ist es bei Godard eine Stadt (= für Welt) ohne Gefühle. Jede Gefühlsregung und jede Emotion ist ein schweres Verbrechen, die mit Hinrichtung bestraft wird. Somit greift Godard sein Lieblingsmotiv (= die Liebe) im innovativen Format auf. Das Motiv der Liebe erhält damit eine besondere Bedeutung.



Paris, schließlich auch die Stadt der Liebe, wird zur Parallelwelt. Aber es ist immer noch Paris. Das Paris der Gegenwart macht Godard zum »Alphaville« der Zukunft. Oder besser gesagt das Paris der Gegenwart ist das »Alphaville« der Zukunft. Was für eine Dystopie! Paris als unbarmherzige und herzlose Stadt, nicht durch Effekte, sondern durch Verfremdung bewirkt, mit Hilfe von Kamera (an der mal wieder Raoul Coutard sitzt), Schnitt, Spielereien mit Licht und Schatten und ja natürlich dem nächtlichen Paris selbst. Dazwischen mischt Godard wie immer seinen geliebten Film noir, aus dem Off ertönt die Stimme unseres Detektives, ein bisschen Spionagefilm und eine Handlung in ihrem Schemata, die einem Krimi entnommen sein könnte. Es ist schließlich auch ein Lemmy Cautionabenteuer, das heißt Agent Lemmy Caution (Eddie Constantine, der fast geisternd durch den Film schreitet) sucht, als Reporter getarnt, im Auftrag der Figaro-Prawda, einen verschwundenen Professor in einer fremden Stadt ohne Gefühle. Regiert von einem rationalen Computergehirn, namens Alpha 60, fragmentarisch verpackt von Godard. Alles wird fotografiert (Fotografie ist schließlich die Wahrheit) und festgehalten für die Untersuchung. Das System ist scheinbar ein totalitäres, wie bei Orwell. Und der Name »Alphaville« (geeigneter »Zeroville«) ist eine Anspielung an Fritz Langs »Metropolis«, wobei zu vermuten ist, dass dieser Godard auch als Hommage an Langs Film gedacht war.



Dabei demontiert aber Godard auch zugleich seinen Protagonisten und stellt ihn als zermürbtes Klischee bloß, er wirkt weniger heldenhaft in Godards Szenerie als unsicher, mit irritierten Blicken und verwirrten Gesichtsausdruck. Ein bisschen zynisch auch bei seiner Kompromisslosigkeit, auch einer, der Frauen und Geld liebt. Fast schon sind seine Sätze auf ihre kühle Art ironisch. Wer nicht fehlen darf bei Godard, ist da Karina mit großen Augen! Und ein zerflossener Akim Tamiroff als weiterer Verweis auf den Film noir, wie auch auf Orson Welles, nicht nur, dass er dessen Lieblingsdarsteller war, sondern auch, dass er ihm optisch äußerst nahe kommt, er erinnert an Welles in »Touch of Evil«. Tamiroff macht klar, welch düsterer und freudloser Ort dieses »Alphaville« ist, die technologisierte Kälte mit Einsamkeit, aber auch ohne Künstler und der Kunst selbst. Es regiert die Rationalität der Logik. Alles was dieser Logik zuwider handelt, wird exekutiert - im umfunktionierten Schwimmbad. Wie elegant, wie die Garnierung mit einem Auftritt vom werten Leaud. Die heilige Bibel ist ein Lexikon und Wörterbuch und die Straßen sind mathematisch bezeichnet, mit Tangenten. Den experimentellen Anteil dazu leistet auch die aufbrausende und kraftvolle musikalische Untermalung, gleichsam verknüpft mit Godards virtuoser, technischer Kombination. Atmosphärisch angereichert mit leuchtenden Glühlampen, langen Korridoren und endlosen Gängen mit zahllosen Türen, wie ein riesiger Komplex, wie ein großes Computersystem. Eine Stadt von Entfremdung  und Leere, eine »Hauptstadt der Schmerzen«. (P.S: Und ja hier wird Paul Éluard zitiert). Des Rätsels Lösung und Erlösung bringt das Gedicht mit Poesie gegen die kalte Logik. Das irritiert und frappiert das System, da nicht berechenbar. Die letzten Worte dann bringen Godards Werk zur Vollendung, mit den simplen Gebrauch der Worte: »Ich liebe sie.« Und ich liebe Godard.



9.0 / 10

Autor: Hoffman

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