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Donnerstag, 23. Februar 2017

Kritik: Le Havre (2011)



Schon bei dem Einstieg zu seinem sympathisch-verschrobenen Film könnte man meinen, dass Aki Kaurismäki an den Mythen festhält. Es ist fast schon ein Einstieg wie aus einem Gangsterfilm: Ein Mann kommt an seinen Koffer gekettet am Hafen von Le Havre an, hat einen skeptischen Blick aufgesetzt, sieht andere dubiose Gestalten, die ihn beschatten, tritt aus dem Bild und wird kurz darauf erschossen. Ebenfalls anwesend an dieser Stelle ist Marcel Marx (André Wilms), ein einfacher Schuhputzer, der sich versucht durchzuschlagen. Kaurismäki zeigt zunächst den Alltag seines Protagonisten, der am Ende des Tages zu seiner (wie man später erfährt: an Krebs erkrankten) Frau (Katy Outinen) in sein kleines blaues Häuschen zurückkehrt. Ein Alltag, der trist und eintönig erscheint. An anderer Stelle wird ein Countainer mit illegalen Einwanderern im Hafen entdeckt, aus dem ein Flüchtlingsjunge flieht, dessen eigentliches Ziel London ist, als dieser von den Polizisten aufgespürt wird und der schließlich bei Marcel unterkommt.


 Durchaus ist Kaurismäkis mit tableauartiger Genauigkeit inszenierter Film irgendwie auch sozialrealistisch, aber nie trübe, sondern oft galant geschmückt und nostalgisch ästhetisiert. Es wirkt nicht realistisch, sondern irgendwie verträumt in seinen Farbtönen. Kaurismäki bietet eine artifizielle Kulisse (darin ähnelt er auch irgendwie dem schwedischen Kollegen Roy Andersson), zeigt eine Welt, die es nicht mehr gibt, aber von Kaurismäki trotzdem genau verortet wird in der französischen Hafenstadt Le Havre, in der Kaurismäki ein Überbleibsel der Vergangenheit fand. Das ist vielleicht der Schlüssel zu diesem Film, den Kaurismäki märchenhaft überhöht. Kaurismäki, der Nostalgiker, zieht sich ganz zurück. Es sind zwei verschiedene Welten, die aufeinanderprallen. Selbst dem Tragischen gewinnt er hier immer auch etwas skurriles ab.


 Es ist verzerrtes und lakonisch-liebenswertes Werk von einem Kaurismäki, der sich eine bessere Welt vorstellt, ganz unbedarft und unschuldig auf die Geschichte blickt, besonnen, ruhig, regelrecht unauffällig von den guten Menschen erzählt, an die Menschlichkeit appelliert, Hilfsbereitschaft zeigt und für Menschenwürde eintritt. Durch dieses Szenario schreiten aber auch ein finsterer und in einen Trenchcoat gekleideter Jean-Pierre Léaud, einem denunzierenden Teufel aus dem Nichts, aus den Schatten, heraus und ein Kommissar (Jean-Pierre Darroussin), der einen schwarzen Trenchcoat, einen schwarzen Hut und schwarze Handschuhe trägt und der damit irgendwas zwischen Engel und Teufel ist. Eine leichte Melancholie schwingt trotzdem noch durch die Bilder. Dramaturgisch bleibt der Film dennoch eigenwillig, bleibt trocken wie sein Humor. Auf seine Weise ist Kaurismäki aber auch schon wieder lässig, wenn, um ins Detail zu gehen, Kafka zum einschlafen gelesen wird oder ein alter Rocker in schillernd roter Lederjacke ein Konzert gibt, um das Geld für die Überfahrt des Jungen zu bezahlen. Es ist kurz gesagt, ein kleines optimistisches Werk eines alternden Pessimisten, der basierend auf wahren Zuständen ein im Kern irgendwie warmherziges, vielleicht etwas zu liebliches Kino macht.

6.5 / 10

Autor: Hoffman 

Mittwoch, 22. April 2015

Das riecht doch nach Nouvelle Vague! - Klassiker der Extraklasse: Der Start - Le Départ (1967)




Jerzy Skolimowskis (der sich oft auch als selbst als Regisseur »der neuen Welle« sieht oder mit ihnen zumindest in einer Linie steht) Film, das hätte auch ein Film der französischen Nouvelle Vague sein können. Mit Skolimowski haben wir es hier aber mit einem polnischen Regisseur zu tun und spielen tut es doch Belgien, in Brüssel. Aber da ist auch Jean-Pierre Léaud, der Protagonist ist ein Ausbrecher der Gesellschaft, der die Freiheit sucht und erzählt ist das Ganze frech, keck und rebellisch. Diese erste Szene wiederum kann als Verweis auf Truffauts Doinel-Charakter verstanden werden, was Skolimowski danach zeigt, ist Hektik zu den sanft umschlingenden Klängen einer französischen Ballade. Er steigt ein in die Beschleunigung bei Nacht und Dunkelheit mit einem flotten Jazzsoundtrack von Krzystof Komeda und ja Skolimowskis Film hat Tempo. Er zeigt die Swinging Sixties und fängt das Zeitgefühl ein. Dort hat sein Protagonist noch Träume von der Teilnahme an einem Autorennen mit einem Porsche, bei dessen Beschreibung ihm die Worte fehlen, und auch die Liebe, die er zunächst aufgrund seiner Besessenheit übersieht, kreuzt seinen Weg.




Skolimowski gibt Brüssel etwas surreales. Die Straßen sind leer. Die Bilder wirken zeitweise karg, zeitweise unwirklich, teilweise klar, teils aber auch mysteriös, dabei zentrierten sie sich um die Protagonisten. Und wenn Skolimowski durch die Straßen Brüssels mit Auto, zu verstehen als eine Art Rundfahrt durch die Stadt, streift, dann achtet er auf Funktionen und Details, bebildert es leidenschaftlich und gibt zu verstehen, dass diese Passion eine Flucht aus dem grauen Alltag ist, so wie es Skolimowski selbst beschrieb, und damit seinen Hauptfigur, einem Friseurlehrling, der um jeden Preis versucht seinen Tagtraum durchzuführen, ergründet. Skolimowski randaliert aber auch, gibt sich experimentierfreudig und gewitzt und setzt auf Ironie. Hierbei dient besonders die Musik als Stilmittel zur Ironisierung der Szenen. So wirkt sein Film losgelöst von den klassischen Mustern. Er will lebendig, zugleich wild, munter und verspielt sein und nicht zuletzt ist er bilderstürmerisch. Für Léaud ist das wieder einmal eine Paraderolle, bei der er all seine darstellerische Unbekümmertheit ausleben darf, Herr Skolimowski scheint Hang für schrägen, wenn auch dabei ebenfalls etwas wirren, Humor zu haben. Und bei seinem Ende lässt er seiner kryptischen Ader wieder freien Lauf, indem er das Bild aus sich selbst heraus, wie er es bereits kurz vorher andeutete, einfach verschwinden oder implodieren lässt.




7.0 / 10

Autor: Hoffman 

Mittwoch, 18. März 2015

Rette sich, wer kann! - Klassiker der Extraklasse: Weekend (1967)



Eine Analyse über einen solchen Film?! Unmöglich, da kann man gleich das Handtuch werfen und sich aus dem Fenster stürzen! Ein Film, verwirrt im Kosmos. Ein Film, den man auf dem Schrott fand. Es gibt viel zu schreiben und zu beschreiben. Die (ironisch eingesetzten und gigantischen) Texttafeln liefern eine erste Beschreibung für das, was einen erwartet: Ein Week-END! Godard betreibt nun eine militante und unerschöpfliche Filmpolitik, wie noch nie zuvor (glaube ich), bricht mit Erzählmustern und Normen des Kinos und geht zu den Extremen: Laut, aggressiv, brutal, zynisch und wütend. Das Kino ist nun kein Schlachtfeld mehr, nein es ist viel mehr, es ist Krieg!



So ist der Ton penetrant, er wirkt düster und drangsalierend, auch übertönen Musik und Ton anfangs zeitweise den Dialog und die Worte, dann wieder Stille und das im ständigen Wechsel. Es ist wie eine Sinfonie des Wahnsinns, nervenaufreibend in dem Sinne, dass Godard den Zuschauer direkt (neben der Bourgeoisie) attackiert. Das verdeutlicht die knapp 7-minütige Plansequenz eines Autostaus, ohrenbetäubender Lärm von allen Seiten, die enervierenden Autohupen und Menschen, die überall versuchen sich ihre Zeit (so gut wie möglich) zu vertreiben, warten und die Langeweile bewältigen, während sich Godard Protagonisten, ein Ehepaar (Mireille Darc und Jean Yanne), den Weg durch diese scheinbar endlose Autoschlange bahnen. Doch diese bleibt nicht die einzige überlange Plansequenz in Godards Werk, eine weitere meistert die 360 Grad-Drehung und bei einer wiederum anderen wandert die Kamera einfach nur die Straße entlang, hin und her, wie es ihr gerade gefällt.




Godard ist anarchistisch, sein Film ruhelos, er ist eine Geduldsprobe (für den Zuschauer) mit sich selbst, aber eben dieser Fakt macht Godards Werk so enorm faszinierend, wie es eben ist diesen Film auf sich wirken zu lassen. Godard macht es einem nicht leicht, man sollte ihn deshalb nicht anstrengt versuchen zu betrachten, sondern versuchen das aberwitzige daran zu erkennen. Natürlich ist dieser Film zerstörerisch, dennoch dabei lebendig und aktiv. Er fordert einen direkten Kontakt und eine Konfrontation mit seinem Publikum. Auch seine Protagonisten sind enerviert: Dieser Film ist zum kotzen! Streit, Wut, Ärger Ausbruch, Beleidigungen, Geschrei und Disharmonie herrschen hier, Godard verherrlicht all dies absurd und irrsinnig, was sich wiederum im Wahnsinn bündelt: Sie sind im Film oder in der Wirklichkeit? Im Film! Ein Film ist das Leben! Und was da nicht alles drinstecken kann: Eine Autofahrt, ein Unglück nach dem anderen, Regen, Unfälle, eine Entführung und dann zu Fuß weiter; die französische Revolution? Jawohl, im Kino! Zitate gibt es zu genüge von Lewis Carroll, den imaginären Gestalten des Kinos, zu Jesus (dem Kommunisten?!), ob Mozart oder Panzerkreuzer Potemkin, Marx & Engels, das Ende ist nah und kommt immer näher: Feuer, Leichen, Tod, Politik, Zivilisation, Wildheit und Barbarei, durch die Wälder streifen und als Krönung Hippiekannibalen! Fahr doch zur Hölle!! Das besagt endloses Chaos, ist das die Apokalypse? Was auch immer es ist, es ist außergewöhnlich. Sicherlich kann man ihn wegen seiner drastischen Zuschauerfeindlichkeit hassen, es ist aber nicht zu leugnen, dass Godard das genauso konzipiert hat. Es ist wohl Godards Abschied vom herkömmlichen Kino. Da steht die Frage im Raum: Ist das nun Dekonstruktion oder doch viel mehr Neuerung und Erweiterung des Kinos, das Treiben auf eine neue Stufe? Godard hat das Ende des Kinos gesehen und wir mit ihm. Ich weiß nicht, ob ich diesen Film ein weiteres Mal überleben werde. Einen Versuch wäre es wert: Ende der Geschichte. Ende des Kinos. Ende des Kommentars.



8.5 / 10

Autor: Hoffman 

Mittwoch, 24. Juli 2013

Truffaut Retrospektive #5 - Klassiker der Extraklasse: Die amerikanische Nacht (1972/73)



»Einen Film drehen, das ist wie eine Kutschenfahrt durch den Wilden Westen. Zu Beginn hofft man auf eine schöne Reise und sehr bald fragt man sich dann nur noch, ob man wohl am Ziel ankommen wird.« - Das ist er nun: Truffauts Film über den Film und das Kino. Truffaut gewährt einen Blick hinter die Kulissen des Kinos, also Kino im Herstellungsprozess und Kino beim (er)schaffen. Kann es also etwas schöneres geben, als wenn Truffaut ein Einblick in seine Welt spendiert? Im Moment würde ich eine Weile zögern, bis ich diese Frage beantworten würde, denn es ist ein Vergnügen dabei zu zusehen, aber das nur am Rande. Da verzückt Truffauts leichtfüßige Inszenierung, während er gewitzt und mitfühlend auf die Menschen dahinter blickt, ob Darsteller, Drehbuchschreiberinnen und Kameramänner und natürlich berichtet, spielt und reflektiert sich Regisseur Truffaut dabei auch selbst und seine Kollegen (u.a. Bunuel oder Renoir). Alles komplettiert in dem Charakter des Regisseurs Ferrand, den man sogar fast als Collage verschiedener Filmregisseure und ihrer Merkmale bezeichnen könnte. So vermittelt und spricht Truffaut (aus dem Offkommentar heraus) aber auch seine Erkenntnisse, Weisheiten, Theorien und Philosophien über das Kino, so wie das Filmedrehen als Abenteuer, aus. Da dürfen gerne auch Fragen über das Kino selbst aufkommen, wie die Frage nach dem Titel des Films (»La Nuit américaine«), den Truffaut hier natürlich noch fachgerecht erklären lässt als Nachtszene, die am hellen Tag gedreht wird mit einem speziellen Kamerafilter. Selbstredend geht es auch in diesem Truffautfilm um die Liebe, es ist eine andere als sonst, nämlich die strahlende Liebe zum Kino, das hier also als eine Hommage an das große Cinema!





Truffaut spielt förmlich mit diesem Film im Filmmotiv und mit der Filmtheorie der Nouvelle Vague. Der gesamte Film baut auf diesem Konflikt von Realität (die ja auch selbst Fiktion ist!) und der Erschaffung von Fiktion (= Kino) auf. Truffaut lässt die filmische Realität also immer weiter in diese Fiktion überlaufen, von Zwischenfällen, Unterbrechungen und Schwierigkeiten beim Dreh, von den Schauspielern, mit melodramatischen Trennungen, Beziehungsproblemen und den theatralischen Diven, die Trost suchen. Und das wache Auge des Regisseurs entdeckt und findet währenddessen Details (= Requisiten), durch die ungesetzliche Entwendung von Vasen, für den eigenen Film. Der Stress ist vorprogrammiert. Da muss gewiss auch vom Kino geträumt werden! Ein Traum, den Truffaut im Verlaufe seines Films erst auflösen lässt. Und dann diese unzähligen Zitate, die Truffaut auf diesem Ritt durchs Kino verteilt, vom lieben Federico, der stets bei Textproblemen die Akteure Zahlen sprechen ließ, hinüber zu Büchern von Bresson, Godard, Hawks, Rossellini, Bergman und wer darf da nicht fehlen? Hitchcock! Und weiteren Verweisen auf jene Herren, von Bressons Stars zu den Alfa Romeos eines Godards (aus dessen Hommage ans Kino: Le Mépris), bis man Auge um Auge in die Kamera blickt. Auch hier ist es interessant, dass Truffaut eine Einstellung für den Film in der Produktion zu einer direkten Einstellung in seinem Film wird, es bedeutet eine Kreuzung von diesem beiden Standpunkten, die zu einem werden: Der Film, der im Film zum Film wird. Ha! Ein Spiel mit dem Kino und mit der Wahrheit!



Einen Film zu drehen ist halt doch manchmal eine verrückte Angelegenheit, da müssen private Probleme weichen, wenn das Kino regiert! Und dieses Gefühl von Kino, diese spürbare Freude und Lust, vermittelt Delerue dazu mit sinfonischen und triumphalen Klängen. Ich kann mich eigentlich nur wiederholen, denn wie Truffaut diesen Herstellungsprozess erzählt, das ist elegant, locker und lebendig, mit pointierten Dialogen verziert, welche Truffauts ungezwungenen Humor unterstreichen, manchmal ist das dann auch melancholisch oder eben beides auf einmal, wenn Truffaut ein weiteres Mal auf  die Liebe, den Kuss, die Beine und Magie der Frauen anspielt, natürlich spricht da auch noch kurz über das Urteil und die Beurteilung von Künstlern, ganz selbstreflexiv also. So kann »La Nuit américaine« zugleich aber auch als ein inoffizieller Teil des Doinelzyklus gelten, auch daran zu erkennen, weil Truffaut einige Szenen aus diesem Film hier in den Abschluss der Reihe (»Liebe auf der Flucht« ) montierte. Leaud spielt hierbei einen Mix aus Doinel und ich glaube es war Oskar Werner, welchen Truffaut mit diesem Charakter reflektieren wollte. Besonders die Parallelen zu seinem Doinelcharakter sind kaum zu übersehen, wie er hatte Alphonse (P.S: So heißt übrigens Antoines Sohn) eine schwere Kindheit hinter sich und scheint selbst noch nicht wirklich erwachsen geworden zu sein, er ist ein eifersüchtiger Liebhaber, hat ein launisches Gemüt und ist eben ein echter Kinofan. Das Kino wird also zur eigenen Realität. Kino imitiert das Leben! Oder imitiert das Leben hier das Kino mit all seinen dramatischen Verstrickungen? Was ist das doch für ein spannender Konflikt! Überrascht bin ich da nebenbei auch über Truffauts Selbstkritik über den Einfluss der Nouvelle Vague, über das Kino, das nur noch auf der Straße gedreht wird und nicht mehr in Studios. Produktionen, die es also bald nicht mehr geben wird. Truffaut spricht sich in diesem Fall gegen das Sinken der Vielfältigkeit des Kinos aus. Wie soll es also weitergehen mit dem Kino, wie wird es mit mit seinem Kino weitergehen, überlegt Truffaut. Zuletzt findet das Kino aber immer seine Wege zum Ziel. Das Kino lebt weiter, möge kommen, was da wolle! Also bitte genießen, lieber Zuschauer - scheint Truffaut in die Kamera zu sagen. Denn was man hier erlebt, das ist pure Cinephilie.



9.0 / 10

Autor: Hoffman 

Dienstag, 18. Juni 2013

Truffaut Retrospektive #3 - Klassiker der Extraklasse: Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent (1971)




Ein zweites Mal arbeitet Truffaut also nach einer Vorlage von Roché, wieder ist es dabei eine Dreiecksgeschichte, die ihn interessiert, wie einst in »Jules und Jim«. Hier sind es zwei Mädchen (= die Engländerinnen Anne und Muriel), die einen Mann (=  der Franzose Claude; Jean-Pierre Leaud) lieben und wieder thematisiert Truffaut sein Lieblingsmotiv der ausweglosen Liebe, doch zieht es ihn hier auch in die Vergangenheit, aber das war ja auch in »Jules und Jim« nicht anders. Man spürt das Herzblut, mit welchem Truffaut an die Arbeit ging, umso tragischer ist natürlich die Bilanz, dass sein Werk schlussendlich zum Misserfolg wurde, trotz Truffauts großer Ambitionen gegenüber dem Film. Besonders interessant ist dabei Truffauts Herangehensweise an die Verfilmung des Romans, die Titelsequenz ist mit den Buchseiten verziert, danach rekonstruiert Truffaut die Zeitepoche mit einer edlen Ausstattung und stilvollen Dekors und wie einst gibt es auch hier den Erzähler aus dem Off, der detailgetreu die Figuren und das Fortschreiten der Handlung schildert. Diese Stimme verbindet gekonnt den Übergang von Roman zu Film, da sie eben auch als direkte Parallele zum Roman gesehen werden kann, den Truffaut auf diese Weise durchdacht und nachvollziehbar komprimiert, auch wenn das dann manchmal etwas zu ausbuchstabiert ist.



Daneben ist auch der konstant ernste und gesetzte Erzählton durchaus ungewöhnlich für den Truffaut dieser Zeit, aber zeigt hier auch schon eine erste Entwicklung und Überlegung seitens des Regisseurs, welche durch die gemächliche Erzählweise noch bestärkt wird. So kann »Les Deux anglaises et le continent« auch als Abwechslung in Truffauts mittlerer Schaffensperiode gesehen werden. Auch wenn man dazu ergänzen sollte, dass Truffauts Film wohl gesittet erzählt sein mag, jedoch nichts von seiner gewandten Art und inszenatorischen Anmut verliert. Im Gegenteil sogar, Truffaut präsentiert eine äußerst ausgewogene Verbindung zwischen Erzählstil und den grazilen Bildern. Da sind nur die Zeitsprünge in der Handlung manchmal etwas zu abrupt. Truffaut ging es hierbei aber, wie er selbst meinte, darum einen körperlichen Film über die Liebe zu erschaffen und dies gelingt ihm vorzüglich durch die belebten und förmlich atmenden Bilder von Almendros, vom Meer oder einfach von der Landschaft, und so baut er damit eine besondere (innere) Ruhe auf, in die man gerne versinken möchte. Es ist so eine sanfte Melodramatik, mit welcher Truffaut seine Geschichte erzählt: Seine Charaktere versuchen die Liebe zu finden und festzuhalten, die Trennung folgt als Opfer für das Glück und für die Liebe. Eine solche Trennung erlaubt aber auch die Geschichte und die Gedanken der Figuren aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Sie sind dabei hin und her gerissen in ihren Entscheidungen und stehen dabei sowohl vor moralischen als auch vor emotionalen (= innerlichen) Konflikten. Und man kann sogar kleine Andeutungen in Richtung des damals aktuellen Kontextes der sexuellen Revolution entdecken, wenn man das Erwachen der Sexualität als eine solche Parallele sehen möchte. Es ist also ein Film über eine wechselhafte und zerbrechliche Liebe. Eine Liebe, die gleichzeitig auch mit dem Schmerz verbunden ist, die absolute Liebe wird damit unmöglich und unerreichbar.



7.5 / 10

Autor: Hoffman 

Mittwoch, 29. Mai 2013

Truffaut Retrospektive #1 - Klassiker der Extraklasse: Antoine et Colette (1962)




Nachdem Truffaut »Jules und Jim« (1962) abgedreht hatte, widmete sich Truffaut diesem kleinen Kurzfilm, bei welchem er die Geschichte seines Alter Egos Antoine Doinel (= dem ewigen Rebellen und Symbol der Nouvelle Vague) weiterspinnt. In »Antoine und Colette« sollte nun unser junger Doinel, der nun beinahe erwachsen ist, das kennen lernen, was ihm in seiner Kindheit verwehrt blieb: Die wahre Liebe. In diesem Fall berufe ich mich übrigens auf die fehlende Liebe seiner Eltern. Dabei ist Truffauts »Antoine und Colette« ein Beitrag aus dem fünfteiligen Episodenfilm »Die Liebe mit 20«, zu welchem unter anderem auch (Renzo) Rossellini, Wajda und (Marcel) Ophüls Kurzfilme beisteuerten. Clever also, dass Truffaut die Möglichkeit nutzte, um seinen Doinel-Zyklus weiterzuführen, wieder mit dem geliebten Jean-Pierre Leaud als Protagonisten. Und sofort fühlt man sich wieder heimisch in den lebendigen Bildern von Paris, dieses Mal ästhetisiert sie schließlich auch der große Coutard, der Lebensnähe schafft. Unser Doinel ist selbstständig, besitzt nun eine Wohnung und ist ein fleißiger, kleiner Arbeiter - in einer Schallplattenfabrik, da wird selbstredend auch des öfteren mal der Chanson gespielt. Leicht und liebenswert erzählt, und auch die alten Bekannten hat Truffaut nicht vergessen, montiert in Rückblicken elegant bekannte Szenen und lässt den Zuschauer nostalgisch an »Les Quatre cents coups« zurückdenken. Das Kino liebt unser Antoine auch immer noch und die erste Liebe trifft er im Konzert - wie hochromantisch! Blicke schweifen, eine Obsession, das Mädchen wird verfolgt und es werden Annäherungsversuche gemacht, mal mehr, mal weniger gelungen. Dann erfolgt die Kommunikation der Beiden (= Antoine und Colette) über Bücher, Platten oder es wird einfach nur so geredet, gern auch über Musik. Sie ist schließlich Musikstudentin, er ein Schallplattenfabrikant. Das sind mir Zwei, die sich gefunden haben! Oder doch nicht?



Colette gibt sich desinteressiert dem verliebten Antoine gegenüber, scheint ihm nicht zugeneigt zu sein, ist so abweisend, wie eine kalte Dusche. Für sie ist er wohl eher ein Freund und Kumpel. Da kann die Liebe schon mal schmerzlich sein, da helfen keine Näherung per Wohnungswechsel oder Besuche. Naja, wenigstens die Eltern empfinden starke Empathie gegenüber einem. Der Kummer ist trotzdem groß. Und wie Truffaut das alles wieder verpackt und schildert, so voller Esprit und Charme, so frei und so munter, wie auch versehen mit diesen feinen Anspielungen und Details, wie das gemalte Bild des jungen Antoine an der Wand, bei denen Truffaut expliziten Bezug zum vorherigen Doinelteil herstellt. Von der Lieblosigkeit führt Truffaut also zur gescheiterten Liebe und will es sichtlich in seinen folgenden Teilen fortführen vielleicht sogar bis zum wahren Glück. Also nur Mut, junger Doinel! Da ist es fast schon schade, dass Truffauts Werk nur ein Kurzfilm ist. Wobei das Konzept dahinter eigentlich logisch erklärbar ist, dass Truffaut einen erneuten (kurzen) Blick in Antoine´s Leben wagt, um zu veranschaulichen, dass auch die erste Liebe nicht die Wahre sein muss. So schafft es Truffaut also wieder die Authentizität der Realität ins fiktive Kino zu bringen.




8.0 / 10

Autor: Hoffman

Mittwoch, 8. Mai 2013

Godard Retroperspektive #10 - Kritik: Détective (1985)


»Ich werde herausfinden, wer den Fürsten getötet hat.« - Der Satz, der den Startschuss und Aufhänger für das letzte Werk von Godard (wie Colin MacCabe das so schön und reißerisch sagte) gibt, welches im kommerziellen Kino angesiedelt ist, also eine Auftragsarbeit, womit er »Maria und Joseph« finanzieren konnte und irgendwie hat das Ganze wieder was von einem Genrefilm, einem Krimi, angelehnt an den Film noir. Das ist aber wahrscheinlich nur der Aufhänger des Films. Der Handlungsort ist ein Hotel, um welches Godards Protagonisten und Gäste kreisen und in welches sie sich eingenistet haben. Die Detektive, die des Rätsels Lösung suchen: Ein Pilot (Claude Brasseur) und seine Frau, der Boxer und sein Promoter (Johnny Hallyday) und schließlich auch die Mafia, die stechen und bestechen lässt. Ich mag Hotels. Die haben so etwas anziehendes. Wirklich zuordnen kann man das Ganze aber nur reichlich wenig, wenn Godard mal wieder zu fragmentarischen Erzählformen greift, sodass sein Ziel und damit seine Intention schwer zu entschlüsseln sind. Aber Godard scheint sich wieder mit seinem Motiv der Liebe zu beschäftigen, dieses Mal in Verbindung mit der Thematik des Geldes. Eine Frau (Nathalie Baye) zwischen zwei Männern, sie will sich trennen und neu beginnen. Eine Dreiecksbeziehung, wie ein Katz- und Maus- und Ratespiel. Wie ist die Wirkung von Geld auf Liebe und wie beeinflusst Geld den Menschen?



Godards Film berichtet über Geldgeschichten (und wo Geld ist, sind auch Waffen) und über die Zerrissenheit seiner einzelnen Protagonisten, wie dem Boxer der vor einem großen Boxkampf steht, den er gegen sich selbst austragen wird. Er muss also über seinen eigenen Schatten springen und metaphorisch sich selbst überwinden. Das ist ein durchaus interessanter Ansatz, den Godard auch mit so manch skurriler Idee untermauert. Denn auf ungewöhnliche Weise wird trainiert, mit Bällen und Brüsten, belohnt wird dann mit einem brechstangenlangem Stück Schokolade. Ganz interessant ist auch die Bücherobsession der Charaktere, womit Godard auch der Literatur ein Heim in seinem Film gibt. Die Verwendung dieser ist wohl so zu verstehen, dass sie für die Figuren ihre Philosophie oder ihren Lebensweg wiedergeben oder es eben nur ihren Charakter verdeutlicht, weshalb daraus auch öfters von den Protagonisten zitiert wird. Sind die Charaktere etwa Schatten oder Produkte dieser Bücher? Godards Erzählton dabei lässt sich irgendwo zwischen melancholisch, ja sogar etwas lakonisch und absurd einordnen, so steckt sein Film doch voller Gags und Slapstickeinlagen, meistens präsentiert vom Detektiv (aufgeregt: Jean-Pierre Leaud). Besonders Leauds Auftritte sind die humorvollsten (wie das bei einem Godard eben aussieht), eben weil er es schafft diese unterhaltsame Banalität von Godards Humor natürlich wirken zu lassen, indem er skurril durch die Szenerie des Hotels strampelt, um zu beobachten und zu beschatten und damit die Wahrheit zu finden, Godard also gar nicht so unähnlich. Auch wenn der eher die Wahrheit des Films sucht, das heißt bei ihm: Realität abzubilden.



Da fällt mir wirklich als erstes auf, dass Godard hierbei vollkommen auf jedwede Kamerafahrten verzichtet. Die Kamera behält ihre Einstellung im Raum bei, wird nur durch Schnitte neupositioniert und filmt so die Interaktion zwischen den Charakteren. Ist mir hier das erste Mal aufgefallen. Altbekannt sind hingegen Godards Spielereien mit der Synchronität des Tons, auch hier läuft alles auf die Illustration der Wirklichkeit hinaus mit der Tonüberlagerung, damit ist gemeint, dass Godard mehrere Dinge nebeneinander laufen lässt, um den Lärm der Realität in einem Hotelzimmer einzufangen: So etwa ein Mädchen, das Klarinette spielt; ein Mann, der Zeitung liest; eine Frau, die fragt welches Kleid sie anziehen soll und ein Fernseher, der im Hintergrund läuft. All diese verschiedenen Eindrücke, die in einem Moment exakt gleichzeitig ablaufen und mehrere Töne ergeben, die wiederum ein Ganzes ergeben, also etwas völlig neues. Scheinbar will Godard sensibilisieren. Dazu gibt es dann als Zuschlag eine weitere Filmtheorie von Godard, denn beim Theater wird gespielt, während man beim Kino bereits ausgespielt hat, egal ob gewonnen oder verloren, das Spiel ist aus. Leider leidet Godards Werk dann darunter, dass hier so gut wie gar nichts zu Ende geführt wird, kein Konflikt wird durchweg beleuchtet, Ideen kommen und gehen wie sie wollen. Apropos uns fehlt ja noch ein Detail, welches ein Computer ist, der alle Antworten kennt, aber die Eingabe von Liebe verweigert. Und die Lösung ist wie schon bei früheren Werken unerheblich, aber hier pointiert als Irrtum (= Zahlendreher). Mir ist schließlich bewusst, dass Godards Spätwerke mehr als Filmchiffren taugen, da bin ich mit »Détective« sogar ganz zufrieden.




6.0 / 10


Und ein kleines P.S. am Rande: Abschlussbeitrag zur Godard(per)spektive, weitere Filme werden folgen. Truffaut steht schon in den Startlöchern. 



Autor: Hoffman

Dienstag, 16. April 2013

Godard Retroperspektive #7 - Klassiker der Extraklasse: Made in U.S.A. (1966)





Beachtlich an Godards »Made in USA« aus dem Jahre 1966 ist erstmal, dass er diesen zeitgleich mit seinem anderem Film »Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß« drehte. Das darf man sich in etwa so vorstellen: Ein Tag, am Vormittag den einen, am Nachmittag den anderen und beide zeigen einen Godard in Höchstform. So stelle ich mir das vor. Aber das sei nur am Rande erwähnt und sei nicht der Fokus weiterer Worte. Denn die Frage ist wohl eher was Godard daraus macht. Einen Genrefilm! Und irgendwie auch eine Hommage an die Rolle Karinas in Godards Schaffen selbst, dies war die letzte Zusammenarbeit der Beiden. Hier kommt nun die Entwicklung und Emanzipation zu ihrem Abschluss, mit großen Schlussakkord natürlich. Der Film, der ganz Karina gehören soll - na gut, das stimmt nicht ganz, denn es ist auch eine Hommage an die großen des Kinos, an Sam(uel) Fuller und Nicholas Ray, die Godard den Respekt vor dem Ton lehrten. Ist das also ein amerikanischer Film? Ein Film über das amerikanische Kino, so viel sei gesagt. »Made in USA« lässt sich eigentlich als konsequente Weiterführung von Godards Quintessenz »Pierrot, le fou« lesen, hier knüpft das Motiv der Liebe auf der Flucht von der ersten Sekunde an das der Unmöglichkeit der Liebe an, denn der Geliebte ist tot.



Wie ein Dornröschen erwacht Karina in der ersten Szene - mit dem Buch auf der Brust, und will das Rätsel auf eigene Faust lösen, mit geladenen Revoler und einem stilechten Trenchcoat, so wie es sein sollte. Dabei ist besonders in dieser Hinsicht die Emanzipation Karinas interessant zu betrachten im Vergleich zu Godards »Alphaville«, wo einst Eddie Constantine ermittelte und Karina ihn unterstützte, übernimmt dies hier Karina sogar im Alleingang und oftmals sprechend in Metaphern. Auch erfolgt, wie es nun mal üblich war im Noir, die Stimme (der Protagonistin) aus dem Off, das nutzt Godard clever, in dem er somit seinem Film auch eine subjektive Färbung der Ereignisse durch seine Protagonistin erlaubt. Bestes Beispiel hierfür gibt der wiederkehrende Gestus zum Publikum.

Und schon tüffelt Godard wieder an seiner eigenwilligen Dramaturgie (oder zur Not auch Szenenverkettung). Was erzählt wird, wenn er das überhaupt tut, wenn er es nicht schon anders tut, ist das Wahrheit oder ist das Lüge? Die Fiktion besiegt die Realität. Dichtung und Wahrheit sind eins, aber was ist mit dem Film? Erneut beruft sich auch hier Godard auf Grauzonen der beiden Gegensätze. Ein weiterer Kontrast, der von Handlung (= der düstere Film noir) und Bild (= die bunte Farbenpracht Coutards). Es ist schon eine mysteriöse Geschichte. Eine, in der die Liebe auf der Suche ist, es wird gesucht und es wird ermittelt nach dem großen Worte der Wahrheit. Ein Geflecht aus Rätseln, Blut, irgendwas mit Walt Disney und den üblichen Zutaten des Genres wie Polizei, Gangstern, ja auch Kommunisten, um Links und Rechts und kriminelle Machenschaften. Sinniert wird über Sinn und Unsinn des Wortes selbst und die Stellung des Wortes im Satz. Dabei wechselt die Stellung im Werk auch des öfteren, mit Ton oder ohne Ton oder Godards Alternativen: Der klassischen Musik mit lieben Ludwig van und dem romantischen Schumann, der startende Jet, der Klang einer Schreibmaschine oder die Schüsse aus dem Nichts als Vertonung. Das ist eben ein typischer Experimentalton.



Alles scheint Einfluss auf Realität und Erdichtung zu nehmen, so kommt Protagonistin Paula Nelson aus Paris ( = der Wirklichkeit) nach Atlantic Cité (= die Illusion) - darin findet sich auch Godards kritische Beäugung der Amerikanisierung Frankreichs (= Europas), so verdeutlicht Godard dies auch durch zahlreiche amerikanische Produkte und Plakate, die in seinem Film präsent sind. Mit im Gepäck auf diesem Ausflug hat Godard selbstredend auch zahlreiche Verweise auf das amerikanische Kino, ja auch auf Krimi und Film noir. Wie ein Bogartfilm mit politischen Kontext und den knalligen Farben eines Disneyfilms, verziert mit Posen, Possen und vielen Konversationen in Bars, Werkstätten, oder Sportcentern, über Literatur, endlose Romane und dabei findet sogar (mal wieder) der Alfa Romeo seine kleine Erwähnung. Die verspielten Verweise auf das Medium, weitreichend von Widmark zu Don(ald) Siegel (Klein, aber fein: Jean-Pierre Leaud) sollte ich bereits erklärt haben. Wobei man sich hier auch wieder fragen darf, ob die negative Belegung von gewissen Regisseuren auch Godards Haltung zu ihnen ausdrückt? Aber auch politisch darf dieser Godard als Abrechnung gelesen werden, wenn Auftragsmörder Namen wie Nixon oder McNamara tragen und auf die Frage des Weshalbs nur antworten können, dass sie aus Spaß töten. Aber die Frage, hinter dem Film, nach der Sinngebung oder Logik wird wohl unbeantwortet bleiben müssen, denn eine wirkliche Auflösung scheint es nicht zu geben. Setzen wir diese aus, so findet man hier in Godards Werk doch einen äußerst poppigen Filmcomic vor, der zweifelsfrei Spaß am Kino bedeutet.



7.5 / 10

Autor: Hoffman  

Donnerstag, 4. April 2013

Godard Retroperspektive #5 - Klassiker der Extraklasse: Alphaville - Lemmy Caution gegen Alpha 60 (1965)




»Hat sich denn nie jemand in sie verliebt?« - »Verliebt? Was ist das?« - Ein weiteres Mal erweitert Jean-Luc Godard sein Gesamtwerk mit einem Film, der sich einem neuen Territorium des amerikanischen Films widmet. Damit ist Godards »Alphaville« eigentlich gar nicht so ungewöhnlich von der Prämisse, doch aber auf seine spezielle Art auch besonders hervorstechend in Godards früher Schaffensperiode. Man kann demnach »Alphaville« am besten betrachten als Godards Antwort auf die naiven, amerikanischen Science-Fiction-Filme (oder B-Movies) der 50er Jahre. Des weiteren zwingt sich der Vergleich mit dem Kollegen Truffaut nahezu auf, der ein Jahr später als Godard, im Jahre 1966, seine Bradbury Verfilmung »Fahrenheit 451« veröffentlichte. Der Kontrast zwischen den beiden Film ist technisch wie auch inhaltlich interessant. nur zweiteres ist hierbei von Relevanz. Während Truffaut eine Welt ohne Bücher aufzeichnete, ist es bei Godard eine Stadt (= für Welt) ohne Gefühle. Jede Gefühlsregung und jede Emotion ist ein schweres Verbrechen, die mit Hinrichtung bestraft wird. Somit greift Godard sein Lieblingsmotiv (= die Liebe) im innovativen Format auf. Das Motiv der Liebe erhält damit eine besondere Bedeutung.



Paris, schließlich auch die Stadt der Liebe, wird zur Parallelwelt. Aber es ist immer noch Paris. Das Paris der Gegenwart macht Godard zum »Alphaville« der Zukunft. Oder besser gesagt das Paris der Gegenwart ist das »Alphaville« der Zukunft. Was für eine Dystopie! Paris als unbarmherzige und herzlose Stadt, nicht durch Effekte, sondern durch Verfremdung bewirkt, mit Hilfe von Kamera (an der mal wieder Raoul Coutard sitzt), Schnitt, Spielereien mit Licht und Schatten und ja natürlich dem nächtlichen Paris selbst. Dazwischen mischt Godard wie immer seinen geliebten Film noir, aus dem Off ertönt die Stimme unseres Detektives, ein bisschen Spionagefilm und eine Handlung in ihrem Schemata, die einem Krimi entnommen sein könnte. Es ist schließlich auch ein Lemmy Cautionabenteuer, das heißt Agent Lemmy Caution (Eddie Constantine, der fast geisternd durch den Film schreitet) sucht, als Reporter getarnt, im Auftrag der Figaro-Prawda, einen verschwundenen Professor in einer fremden Stadt ohne Gefühle. Regiert von einem rationalen Computergehirn, namens Alpha 60, fragmentarisch verpackt von Godard. Alles wird fotografiert (Fotografie ist schließlich die Wahrheit) und festgehalten für die Untersuchung. Das System ist scheinbar ein totalitäres, wie bei Orwell. Und der Name »Alphaville« (geeigneter »Zeroville«) ist eine Anspielung an Fritz Langs »Metropolis«, wobei zu vermuten ist, dass dieser Godard auch als Hommage an Langs Film gedacht war.



Dabei demontiert aber Godard auch zugleich seinen Protagonisten und stellt ihn als zermürbtes Klischee bloß, er wirkt weniger heldenhaft in Godards Szenerie als unsicher, mit irritierten Blicken und verwirrten Gesichtsausdruck. Ein bisschen zynisch auch bei seiner Kompromisslosigkeit, auch einer, der Frauen und Geld liebt. Fast schon sind seine Sätze auf ihre kühle Art ironisch. Wer nicht fehlen darf bei Godard, ist da Karina mit großen Augen! Und ein zerflossener Akim Tamiroff als weiterer Verweis auf den Film noir, wie auch auf Orson Welles, nicht nur, dass er dessen Lieblingsdarsteller war, sondern auch, dass er ihm optisch äußerst nahe kommt, er erinnert an Welles in »Touch of Evil«. Tamiroff macht klar, welch düsterer und freudloser Ort dieses »Alphaville« ist, die technologisierte Kälte mit Einsamkeit, aber auch ohne Künstler und der Kunst selbst. Es regiert die Rationalität der Logik. Alles was dieser Logik zuwider handelt, wird exekutiert - im umfunktionierten Schwimmbad. Wie elegant, wie die Garnierung mit einem Auftritt vom werten Leaud. Die heilige Bibel ist ein Lexikon und Wörterbuch und die Straßen sind mathematisch bezeichnet, mit Tangenten. Den experimentellen Anteil dazu leistet auch die aufbrausende und kraftvolle musikalische Untermalung, gleichsam verknüpft mit Godards virtuoser, technischer Kombination. Atmosphärisch angereichert mit leuchtenden Glühlampen, langen Korridoren und endlosen Gängen mit zahllosen Türen, wie ein riesiger Komplex, wie ein großes Computersystem. Eine Stadt von Entfremdung  und Leere, eine »Hauptstadt der Schmerzen«. (P.S: Und ja hier wird Paul Éluard zitiert). Des Rätsels Lösung und Erlösung bringt das Gedicht mit Poesie gegen die kalte Logik. Das irritiert und frappiert das System, da nicht berechenbar. Die letzten Worte dann bringen Godards Werk zur Vollendung, mit den simplen Gebrauch der Worte: »Ich liebe sie.« Und ich liebe Godard.



9.0 / 10

Autor: Hoffman

Dienstag, 28. August 2012

Der Klang des unermütlichen Rebellen - Klassiker der Extraklasse: Sie küssten ihn und sie schlugen ihn




»Les Quatre Cents Coups« - Der Anbeginn alter guten Dinge. Der Beginn der Novuelle Vague. Der Beginn des großen Francois Truffaut. Der Beginn des persönlichen Doinel-Zyklus. Durch den Beginn des Nouvelle Vague auch der Beginn vieler anderer großer Regisseure von Godard, Chabrol, Rohmer (ok, den mag ich nicht) bis Resnais und auch der Beginn des oft zitierten Schlussbildes - obgleich es vor Truffaut wiederum auch nicht möglich gewesen wäre. Aber nicht der Beginn meiner Liebe zum Film - das wäre zu klischeehaft. Der Anbeginn von allem Guten - nun gut das wäre zu weit gefächert. Aber immerhin ein Beginn. Aber genug von zweitrangigen Buchstaben: »400 Blows« aus dem Jahre 1959 legte schließlich den Grundstein für den Anfang wie auch ersten Spielfilm von Francois Truffaut. Und auch dieser Film beginnt: Kunstvoll wie Truffauts gesamtes Schaffen. Mit einer Kamerafahrt durch das bezaubernde Paris. Bevor uns Truffaut kurz darauf mit seinem Alter Ego bekannt macht: Antoine Doinel.




Der Held des Nouvelle Vague. Der Revolutionär. Das Symbol der Nouvelle Vague. Kein Rebell und doch ein Rebell, der gegen die Normen der alten Generation ankämpft. Ein zweckloser Kampf? Noch nicht ganz. Der tapfere Kämpfer. Die Sympathiefigur? Ein respektloser, frecher, dreister, ungeliebten und schelmischer Junge? Auch ein Kleinkrimineller. Und ein Lügner. Als Projektion wie Intention dieser Stilrichtung? Als Kampf des Individuums gegen das Systems? Ja, so was gab es schließlich nur bei Truffaut und seiner selbstreflexionistischen Figur. Überall kleinere filmische Revolutionen. Und ja Doinel als Symbol der Stilrichtung. Der Schrei nach Veränderung. Der Charakter des Doinel lässt sich zweifelsfrei auf den Gedanken dieser übertragen. »Wind of Change« in der Generation wie auch im Medium Film. Der Junge, der sich nicht anpassen will. Weg vom alten hin zum neuen. Eine neue Hoffnung.

Der Wille des Truffaut geschieht aus Kinderaugen und die Konventionsbrüche werden beantragt, etwas kleiner und zahmer, aber noch wie gesagt jeder beginnt klein. Daher mag »400 Blows« doch noch Konventionen enthalten, was so mancherlei Stilmittel betrifft. Unser Antoine Doinel kristallisiert sich stark heraus, während sein Umfeld hierbei mit Klischees belegt wird, um zu verdeutlichen, auch wenn es Truffaut schafft diesen Klischees durchaus Authentizität zu verleihen. Liegt vielleicht auch nur an heutigen Umständen, so etwa die desinteressierte Mutter, der bemühte Stiefvater, der treue Kumpel oder die tyrannischen Lehrer. Doinel grandios dargestellt vom späteren Nouvelle Vague-Star der Herzen, Jean-Pierre Leaud - mit gerade mal 14 Jahren - lebensnah, faszinierend wie auch glaubwürdig gemimt. Mit besonderer Intensität und nicht zuletzt unendlich sympathisch dabei. Schon hier beweist Leaud großes Können. So auch der ewige Träumer, so wird auch »Cinema« selbst gehuldigt, für welches Antoine eine Vorliebe prägt oder essentiell auch das Buch wie von Balzac.

Truffaut, dieser alte Büchernarr reflektiert sich selbst. Wenn auch hier schon seine Handschrift deutlich erkennbar, frisch wie eh und je und mit einem Charme, den man sich nicht entziehen könnte. Federleicht, in manchen Momenten melancholisch wie auch tragisch und doch zugleich so frech und spontan inszeniert, nicht ohne Humor - Truffaut beschwört die Nostalgie des Kinos geschickt herauf. Behutsam erzählt und sensibel gefasst. Verführt auch mit seinen wundervollen Bildkompositionen und seiner poetischen Ader dieser. Stilistisch hervorragend wie auch kühl gefilmt und stets mit Authentizität und purer Eleganz in Szene gesetzt. Die Kamera, intensiv schwebt sie nahezu meisterhaft über den Protagonisten und doch so umfassend. Der Nouvelle Vague lebt.





Vielleicht somit auch ein Beginn für den Coming-of-Age-Film. Wie unendlichfach erwähnt, hier beginnt vieles. Von Stil bis Truffaut. Ein verzückendes Werk. Antoine Doinel gegen die Unterdrückung der Erwachsenen. Ein Kämpfer. Ein unermüdlicher Renner. Bis zur Unendlichkeit oder einfach nur bis zum Meer. Das Schlussbild deutet und setzt dann schließlich den Jungen zwischen Sehnsucht, Zuneigung, Unabhängigkeit und Freiheit. »So shine sweet freedom?« - Es bleibt den unseren verschlossen, doch Truffaut wird fortsetzten - zunächst schießt er noch frech auf seine Pianisten - bevor er Antoine die Liebe mit Zwanzig entdecken lässt.



8.5 / 10



Autor: Hoffman

Montag, 11. Juni 2012

Depressive Doinels, der Film noir und harmonische Töne - Kritik: I hired a Contract Killer


Der schlummert hier schon ewig auf den Blogssphären rum, eigentlich einst zur Notration, aber ich denke um es abwechslungsreich zu halten. Lasse ich den Dingen des Lebens einfach ihren Lauf.
Und täglich grüßt der Kaurismäki bzw. es hieße korrekt: Kaurismäki zum zweiten Paukenschlag! Dieses Mal sogar mit im Gepäck: Jean-Pierre Leaud. Den Nouvelle Vague-Helden. Antoine Doinel beim pessimistisch-lakonischen Kaurismäki? Das weckt Interesse. Hierbei nicht mal ein Truffaut in Sicht, mit dem Leaud bekanntlich große Karriere machte. Insofern kann diese Zusammenarbeit zwischen Leaud und Kaurismäki als ein Comeback der gealterten Nouvelle Vague-Ikone sehen. Das macht mir Kaurismäki glatt noch sympathischer und versöhnlicher - den mochte ich ja seit dem letzten Film eh - auch wenn hierbei wohl große Unterschiede zu meinen ersten Film des Meisters (»Das Mädchen aus der Streichholzfabrik«) bestehen. Denn trotz des recht pessimistischen und leicht düsteren Titels "I hired a Contract Killer" ist Kaurismäkis Film aus dem Jahre 1990 überraschend harmonisch gestimmt.


Dabei ist die Ausgangslage (übrigens nach Jules Verne) wie der Titel wahrscheinlich andeutet recht tragisch wie finster. So zeigt Kaurismäki die ihm wahrscheinlich geliebte pessimistische Welt des einsamen Arbeiters und unauffälligen Einzelgängers. Sogar mit sozialkritischen Elementen. Die Welt der Außenseiter wird gezeigt. Zu denen gehört auch Franzose und verbitterter Verlierer Henri Boulanger. Und so trifft ihn das Schicksal hart als er entlassen wird und darauf keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht und sich gleichauf das Leben nehmen möchte - doch eigene Versuche scheitern - mal was ganz anderes als »How wonderful life is.«. Letzte Chance: Man engagiert selbst einen Killer, der den Auftrag auf allen Wegen erledigt. Doch was machen, wenn man plötzlich bemerkt, dass es nicht berechenbar ist, wo die Liebe hinfällt?


Der Killer also auf den Versen und dabei will man nicht sterben. Das enthüllt uns doch eine gewisse fiese Ironie des Schicksals. Eigentlich für den hintersinnigen Mann schmackhafter Stoff, doch statt seinen Film auf eine depressives und bitteres Drama auszurichten. Wirds ungewöhnlich, denke ich jedenfalls. Zwar zeigt Kaurismäki immer noch im Hintergrund eine triste und pessimistische Welt, dennoch überrascht er mit einem federleichten Erzählstil und viel Charme. So keimt schnell der Gedanke auf: Das macht ja richtig Spaß mit dem heitergesinnten Kaurismäki. So umgibt die äußere Fassade des Films (typisch Kaurismäki nach) eine nüchterne und triste Stadt. Farbgebung spielt dabei eine wichtige Rolle, teils düstere, teils karge Bilder aber doch stets spürbar irgendwie mit einer fast optimistischen Atmosphäre inne. Irgendwie gewöhnungsbedürftig die Gegensätze, welche Kaurismäki in seiner trüben Welt reflektiert und irgendwie ist Kaurismäki dabei mehr als glaubwürdig. Und mittendrin ist der vorhergehend erwähnte Jean-Pierre Leaud als verbitterter, einsamer und deprimierter (deutlich betonter Franzose) Henri Boulanger, der zunächst keinen Sinn im Leben mehr sieht, doch die Liebe einer Frau verändert alles. Leaud überzeugt besonders dank präziser Gestiken und Mimiken, so gewinnt seine Figur schnell die Sympathie und vermag zu faszinieren auf tragisch-humorvolle Weise. Zudem könnte man meinen, dass hier Leaud durchaus spielerisch sein Antoine-Doinel-Image variiert, dies in jedem Falle gekonnt. Und sehr liebenswert. Neben Kaurismäkis tragisch-skurrilen Helden faszinieren auch seine anderen eigenwilligen Charakteren. Und auch hier liegt wieder die Würze in der Kürze, die einen Kaurismäki irgendwie prägt, insofern ist es natürlich meisterhaft mit welcher Vielseitigkeit er sein Werk umsetzt, dazu zählt so sein gemächlicher und feinfühliger Erzählstil als auch sein teils tragisch-komischer Humor mit einer Prise des Wortes hintersinnig-lakonisch. Der Film noir wird immer wieder aufs neue im Sinne des Stils heilig gesprochen und goldig zitiert, liebevoll und lakonisch natürlich. Dazu noch wunderbar geschliffene Dialoge, auch wenn Kaurismäki wohl nie ein Mann vieler Worte war, wie ich bisher feststellte.


An sich ist hier für mich alles recht stimmig. So wird mir der Meister selbstredend schnell sympathisch. Man beruft sich hier also auf die einfachen Dinge des Lebens und des Filmemachens. Alles in allem wird mir "I hired a contract Killer" auf jeden Fall als positiv wie auch harmonisch in Erinnerung bleiben, sogar als Hommage an den Film noir. Den Spaß hatte ich am Film, mit depressiven Doinel, auch wenn man dabei natürlich nicht Kaurismäki´s hintergründige wie tiefgründige Art vergessen sollte und seinen pessimistischen Blick der Dinge, dennoch irgendwie bei weitem eines: Inspirierend.




8.5 / 10

Autor: Hoffman

Montag, 27. Februar 2012

Klassiker der Extraklasse: Liebe auf der Flucht (1979)


Es schlägt die Uhr und das Ende scheint erkennbar. Nun noch ein weiteres Mal, Truffaut verehren und Abschied nehmen von Antoine Doinel, im Sinne der Reihe, denn mit "Liebe auf der Flucht" schloss Francois Truffaut den Kreis des Doinel-Zyklus, der einst mit "Sie küssten ihn und schlugen ihn" im Jahre 1959 begann, und so fand nun im Jahre 1979 die Geschichte des Rebellen Antoine Doinel seinen Abschluss. Ich muss aber an dieser Stelle sagen, dass ich "Liebe auf der Flucht" für den schwächsten Vertreter des Zyklus halte, denn vielmehr mag Truffauts Film für mich doch eher einem Flickwerk seiner alten Doinel-Filme ähneln.




Kurz gesagt, die Story des Ganzen wirkte auf mich tatsächlich etwas leer und wirkliche ohne Fülle, Antoine und Christine haben sich scheiden lassen, doch der Träumer will nicht aufgeben und versucht immer noch die wahre Liebe in seinem Leben zu finden und so trifft er bald wieder auf seine alte Jugendliebe Colette und bald darauf werden alte Erinnerungen wach und er lässt sein Leben noch einmal Revue passieren. So weit, so simpel und so viel Platz für Schnipsel alter Doinel-Teile, welche Truffaut wenigstens dabei gekonnt verbindet. Dennoch empfand ich dies des öfteren auch teils als störend, wenn man gerade zuvor sich intensiv mit den vorherigen Werke beschäftigte und in "Liebe auf der Flucht" nochmal ein Zusammenschnitt jener bester Momente der Filme geboten bekommt und so ist es auch nur verständlich das eine große Schwäche gerade im Aufbau und der Handlung von Truffauts Film liegt. Dennoch einen nostalgischen Wert besitzt das Werk so zweifelsfrei, in dem man sich an die großen Sekunden des Antoine erinnert und so die Vergangenheit bewältigt und vielleicht erkennt, was schon immer klar sein müsste. Eine weitere Schwäche hierbei liegt dann noch in der Tatsache, dass Truffaut dieses Mal Doinel oder gar Christine, welche trotz Scheidung noch freundschaftlich kommunizieren, recht wenig Screentime im Ganzen einräumt, jedenfalls wenn er gerade nicht aufs neue und alte Schnipsel seiner Doinel-Werke zusammensammelt, auch wenn er so doch wiederum clever mit Täuschung und Fiktion spielt und dabei doch recht zitatfreudig herangeht, doch verlegt er denn Hauptpunkt des Films eher auf den Charakter der Colette (größtenteils recht blass und aufdringlich verkörpert von Marie-France Pisier - welche die Colette bereits in Truffauts Kurzfilm "Antoine und Colette" mimte, einer kleinen, aber feinen Ergänzung zum Leben des Antoine), was wahrscheinlich der Tatsache geschuldet ist, dass jene direkt am Drehbuch mitschrieb und so ihren Charakter gleichauf in die Mitte des Kreises schob, aber dieser Charakter ist im Grunde unbedeutend, wenn es um Doinel geht. Am schlimmsten sind jene Momente, in denen Pisier versucht zwangsweise ihrem Charakter mehr Tiefe auf eine äußerst affektierte und unschöne Weise zu verleihen. Das misslingt leider vollkommen. Zum Glück sind dies auch nur wenige Sekunde des Ganzes.


Denn so spielen Jean-Pierre Leaud, wieder einmal exzellent als Doinel und dabei noch weitaus arroganter, und Claude Jade als Christine eigentlich mehr als überzeugend ihre Rollen in alter Manier und mit gewohntem Charme. Und Dorothée ist an sich auch ganz ok und ein nettes Anhängsel. Aber mal von dem Status des Flickwerks gesehen, ist Truffauts letzter Doinel-Film doch erneut geprägt von einer stilvollen Eleganz, welche eh stets präsent bei Truffaut, teilweise heiter erzählt, aber doch größtenteils konsequent-wehmütig gehalten, was ihm dann doch eine gewisse Würde verleiht, auch wenn ich ich wie gesagt finde, dass er einfallslos anmutet durch diese Schnipselei. Aber wenigstens auch Grundmotive wie Bücher und das telefonieren in speziell ausgewählten Telefonzellen sind vorhanden, ich vermute bis dato dahinter eine versteckte Symbolik, denn wer weiß. Ein feines Detail ist es. P.S: Und ich glaube in diesem Film auch die Vase aus "Die amerikanische Nacht" identifiziert zu haben, hehe!





Letztlich ist sein letzter Doinel eine Bilanz geworden aus den vorherigen Filmen, wobei zu sagen ist, dass er damit auch eher einer Montage als einem materiellen Film gleicht und doch schafft es Meister Truffaut dabei Charme und Eleganz in sein Werk zu transferieren, nicht so wie in seinen Vorgängern, aber immer noch äußerst schmackhaft. Warum schenkte er der Pisier nur so viel Raum? Das hat durchaus einen negativen Beigeschmack. Er verläuft zwar nicht reibungslos, aber zugegeben: Irgendwie kann man Truffauts Abschluss des Doinelzyklus nicht wirklich böse, dazu ist mir sein Antoine vielleicht schon viel zu sehr ans Herz gewachsen.




7.0 / 10

Autor: Hoffman

Samstag, 25. Februar 2012

Klassiker der Extraklasse: Tisch und Bett (1970)



Antoine Doinel. Antoine Doinel. Antoine Doinel. Antoine Doinel. Wie oft könnte ich diese Worte wiederholen Antoine Doinel. Antoine Doinel. Einfach wunderbar und so kämen wir nun also zum bereits dritten Truffaut in Folge, nach dem er auf Pianisten wie immer präzise schoss und uns geraubte Küsse schenkte, bittet er nun uns also zu Tisch und doch zu Bett, ob wir dfieser Versuchung wiederstehen können? Sicher nicht. Und zum vierten Doinel, das nicht zu vergessen , in Francois Truffaut Doinel-Zyklus und so begeistert auch "Tisch und Bett" aus dem Jahre 1970, ein weiterer Grund Truffaut zu lieben und zum Truffautismus überzutreten.



Nachdem Truffaut bereits in "Geraubte Küsse", die Geschichte des jungen Antoine Doinel nach "Sie küssten ihn und schlugen ihn" konsequent weiter erzählte, bleibt auch hier Truffaut seiner Inszenierung treu und erzählt auch hier insofern erneut gekonnt-konsequent. Die Geschichte geht weiter und so zeigt uns Truffaut nun den Alltag des nun doch verheirateten Paares Doinel (Antoine & Christine), das Eheleben mit all seinen Konflikten und Problemen.ob Kind, ob Affäre. Man kämpft mit dem Alltag, und mit aller Kraft. Das Auf und Ab einer Beziehung. Das Eheleben, insofern authentisch, feinfühlig und wie immer charmant gezeigt von Truffaut.


Der Cast bleibt standhaft. Mein Held Jean-Pierre Leaud mimt erneut den Antone Doinel in Perfektion, Truffauts Alter Ego mit Eleganz und Arroganz und einer gewissen Selbstgefälligkeit. Antoine eigentlich ein Naivling und irgendwie ein Rebell, der nicht erwachsen werden will wie es scheint und so hat er die Liebe nicht in ihren Vollen erfasst, und muss noch lernen was sie zu bedeuten mag. Ein komplexes Wort, wie Liebe. Kurzum wie könnte ich Leaud nicht für diese Rolle lieben, ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Irgendwie ein kleiner Lebenskünstler. Neben ihm, auf der anderen Seite des Ehebettes, erneut Claude Jade, wieder einmal bezaubernd und stets elegant agierend, besonders wichtig dabei Madame, nicht Mademoiselle und so verzaubert sie auch hier mit ihrer natürlichen Aura als Christine. Zudem existiert auch bei "Tisch und Bett" eine gewisse Harmonie /ein lockeres Verhältnis zwischen den zwei Hauptprotagonisten, welches größtenteils stets stark spürbar bleibt, was in dem Punkt dem Ganzen immerhin auch eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Und auch Hiroko Berghauer weiß als Antoine´s "Arbeitkollegin", mit der er eine Affäre beginnt, was Christine gar nicht gefallen mag,...Die Tür steht zum herausschreiten bereit.., zu überzeugen.




Truffaut selbst dabei, von solcher Hochform geprägt wie einst in "Geraubte Küsse", wenn nicht sogar besser, denn immerhin bemerkt man schnell, dass Truffaut hierbei doch weitaus kritischer mit dem Bürgertum ins Gericht geht und mit ihm wenigstens charmant abrechnet und insofern hinterfragt er auch den Alltag des Lebens eines Ehepaares. Ob tragisch, ob dramatisch oder humorvoll Truffaut meistert gekonnt wie auch souverän und verspürt Charme, Esprit und Eleganz wie auch im Vorgänger. Dazu angereichert mit grandios geschriebenen Dialogen, gut pointiert. Die Liebe einer Ehe, ihr Werdegang von Hingebung bis Verblassen. Überall scheinen kleine Fluchten. Truffaut´s Film dabei von einer fast schon ungewöhnlichen Leichtigkeit und Spielfreude geprägt. Wie wundervoll und zugleich amüsant. Wieder einer dieser Gründe, warum man Truffaut auf Ewig lieben könnte. Ganz einfach nur für solche Filme. Witz, Charme, Herz. Da fragt man sich glatt, was Truffauts Film nicht hat, denn auch hier verfolgte ich die Ereignisse des Lebens der Doinels gespannt wie auch fasziniert, gerade dadurch, dass Truffaut auf eine gewisse Glaubwürdigkeit bei seiner konsequenten Weitererzählung setzt, er analysiert präzise insofern seine beide Hauptcharaktere, in Art und Weise. Dabei wird selbstredend auch hier nicht die liebevolle Hommage vergessen, welche sich dieses Mal in Form eines falschen Monsieur Hulot, nett gemacht und schon denken wir an Jacques Tati. Und man zitiert bzw. parodiert auch Kollegen wie Alain Resnais und sein "Letztes Jahr im Marienbad" - fand ich nochmal besonders einprägend und bezaubernd gemacht. Und auch die üblichen Elemente sind vorhanden, es wird gelesen, und heftig telefoniert in Tefelonzellen.


Außerdem bebildert die Kamera exzellent, auch hier stets elegant, treffend und sonst auch mit einem locker-leicht bzw. charmanten Touch gefilmt. Andererseits sollte ich natürlich noch erläutern warum meiner Meinung nach "Geraubte Küsse" in Hinsicht der Bewertung siegt, denn technisch sind sie beide so gesehen ausgezeichnet, so mag der Grund schnell gefunden sein, denn "Geraubte Küsse" riss mich insofern weitaus mehr mit, eines dieser Gefühle im Sinne der Filmkunst, die man kaum mit Worten erfassen kann und erzeugte bei mir eine unbeschreibliche Faszination, zwar mag insofern jene auch bei "Tisch und Bett" existieren, aber doch spüre ich tief in meinem Filmherzen, dass der Vorgänger mich emotional mehr packte, auch wenn "Tisch und Bett" in Aufbau und Struktur erstklassig gemacht ist mit satirischen Seitenhieben, verziert mit einer unscheinbaren Dramatik.




Also bleibt mir letztendlich nur noch zu sagen, dass "Tisch und Bett" ein exzellent inszeniertes und  liebenswürdiges Meisterstück des Doinel-Zyklus ist, wie auch der Vorgänger an Charme, Eleganz und Leichtigkeit kaum zu übertrumpfen. Dabei wieder einmal großartig verkörpert in den Hauptrollen von Leaud und Jade. Kurzum: Ganz wunderbar.



                                               8.5 / 10

Autor: Hoffman

Sonntag, 19. Februar 2012

Klassiker der Extraklasse: Geraubte Küsse (1968)




Das Uhrwerk tickt. Es schlägt zwölf. Der Wehrdienst beendet. Nicht fähig, wie es scheint und kaum zu gebrauchen. Doch Fünf ist die Zahl, die zählt. Es ist Zeit für Truffaut zum zweiten Mal. Dieses mal schießt er dennoch auf keine Pianisten (jene sind in heller Vorfreude), sondern schenkt uns geraubte Küsse - welche gefährlich schmecken, köstlich und doch verboten. Das alles im Sinne seines sehr persönlichen Antoine-Doinel-Zyklus, welcher wie man oft vernahm autobiografische Züge seitens Truffaut besitzt. Soweit ich das wahrnehmen kann, Nummer 3.Verführerisch und nicht zu verachten "Geraubte Küsse" von Francois Truffaut aus dem Jahre 1968 und wie oft bei Truffaut (Widmungen, Anspielungen, Ehrungen) gleichzeitig Henri Langlois gewidmet.



Wie erwähnt führt Truffaut seine Doinel-Reihe mit diesen Film konsequent weiter, das stets mit sehr feiner Note und präzise erdacht und doch schwer zusammenzufassen für mich, wie kann man sie umschreiben. Man könnte den Film insofern als Hommage an das Leben oder noch präziser gesagt an die wahre Liebe sehen, verbunden durch das Leben das Doinels, welches Truffaut (nach dem Kurzfilm "Antoine & Colette) weiterführt. Für ihn heißt es erstmal raus aus der Armee. Eh kein Platz für ihn. Und so macht er sich auf die Suche nach einem Job, wer würde das nicht (?) und gelangt über weite Wege (»viele Wege führen nach Rom!«) ans Ziel, bei einem Detektivbüro. Doch gerade als Detektiv verliebt er sich in die Frau, die er eigentlich beschatten soll. Episoden aus dem Leben des Antoine und zudem so irgendwie glaubwürdig ausgearbeitet. Voll das Leben.



Das Alter Ego Truffauts bleibt wie vorher auch gleich besetzt, mit meinem persönlichen Liebling (der Herzen) der Nouvelle Vague und der Held, in gewisser Weise einer bestimmten Zeit, meiner Jugend Jean Pierre Leaud als Antoine Doinel, welcher schüchtern und verträumt, kein Rebell und dabei doch ein Rebell, der nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Verwirrend? Irgendwie schon. Doinel, ein junger Mann, scheinbar ohne große Überzeugungen, das Leben halt. Und er im Alltag mittendrin. Faszinierend zu beobachten, jene Aspekte (auch erneut nochmal auf Truffaut bezogen). Als Detektiv doch durchaus nicht schlecht, dennoch sollte man es vermeiden ihn Leute beschatten zu lassen. Gesehen und nicht gesehen werden, naja. Leaud glänzt erneut, überzeugt und verzauberte mich erneut mit seinem gewissen Charme, irgendwie muss ich den Jungen irgendwie insofern lieben. Truffaut entdeckte viele Darsteller und Darstellerinnen für den Nouvelle Vague bzw. förderte sie, und verschaffte ihnen Rollen in seinen Filme und so zählt auch Claude Jade zu ihnen, von Truffaut entdeckt und gleich in ihrem Debüt in seinem Film weiß sie zu überzeugen als Doinels alte Jugendliebe Christine. Dazu noch Delphine Seyrig, bezaubernd wie immer als Fabienne Tabard, die Frau, die Doinel eigentlich ausspionieren soll, sich aber letztlich in sie verliebt. Und so nun zwischen der Entscheidung steht, wenn solle man nehmen Christine oder Madame Tabard. Wo die Liebe hinfällt.



Truffaut inszeniert dazu wieder einmal im großen Maße grandios. Für mich doch packend wie auch treffend bzw. faszinierend beschrieben von Truffaut, das Liebes-und das Berufsleben bzw. somit auch die Weiterführung seines Hauptprotagonisten Doinel. Angereichert mit den feinen Elementen eines heiteren Detektivfilms, zwischen Humor, Gefühl und einem melancholischen Lebensgefühl inszeniert, elegant wie auch stets schmackhaft. Zudem sogar von ihm im Kontext sehr glaubwürdig und authentisch gehalten, der Verlauf der Geschichte. Der Alltag, episodenhaft gehalten, aber um ehrlich zu sein: inszenatorisch ein echter Genuss. Charmant und mit viel Liebe zum Detail von Truffaut gehandhabt. Ein Film, dessen Charme ich mich beim besten Willen nicht entziehen konnte. Irgendwie stimmte hier so gut wie alles. Ob Charme, ob der durchaus frech angehauchte Grundton oder auch in Hinsicht der poetischen Ader des Films. Und es wird auch wieder gelesen, wo es nur geht, das Markenzeichen Truffauts (der Büchernarr), auch hier präsent. Von der Kamera wieder einmal in ein bezauberndes wie auch schön gefilmtes Bildergewand gehüllt. Insofern wirklich alles ideal gemacht von der Inszenierung. Das ich den Film in der Hinsicht wirklich nur anhimmeln kann, wie auch Leaud nebenbei an sich.


Weiterhin noch mit wunderbar geschliffenen Dialogen und stets treffenden Sequenzen angereichert, teilweise köstlich verarbeitet, besonders noch auch Mal im Sinne des Ungewissen und des im Grunde genommen völlig absurden, dabei irgendwie urkomischen, Abschluss des Films. Fantastisch! Wie schon erwähnt die Figuren für mich faszinierend und interessant gestaltet, sehr liebevoll, und Antoine musste ich schon immer gleich ins Herz schließen. Auch hier scheut Truffaut letztlich nicht die Hommage, denn der Titel von Truffauts Film ist einem Chanson von Charles Trenet entnommen, welchen Truffaut auch nochmal anfangs einspielen lässt.



Und so bleibt mir abschließend dann nur noch zu sagen, dass "Geraubte Küsse" kurzum wohl ein echter filmischer Genuss ist, ein Film zum verlieben und das im wahrsten Sinne, man schenke ihm so baldauf ein echtes Herz und meine Verehrung, auf Küsse müsste er dennoch verzichten, ich bin wohl zu herzlich, aber Truffauts Werk für mich herausragend und Jean-Pierre Leaud als Doinel eh von brillantem Schauspiel geprägt. Erwähnt werden sollte noch, dass man uns bzw. mir bzw. Antoine zeigt wie man ein Zwieback bestreicht ohne es in irgendeiner Form zu zerbrechen und wenn das nicht allein einen Blick wert ist, dann weiß ich auch nicht...



9.0 / 10

Autor: Hoffman