So manches Spätwerk fällt qualitativ etwas ab. Nicht wenige
einst genreprägende Regisseure sind nur noch ein Schatten ihrer selbst und
versuchen in regelmäßigen Auswüchsen an ihr einstiges Schaffen anzuknüpfen Was bei Konsorte John Carpenter (mehr oder weniger) schon in den
Neunzigern begann, setzt hingegen bei Giallo-Maestro Dario Argento erst ab dem
Millenium ein: Die völlige inszenatorische Planlosigkeit.
Der Tiefpunkt bis dato IL CARTAIO folgte dem schon relativ
unansehnlichen NON HO SONNO. Doch was genau macht ihn so unzulänglich? Der Plot
kreist um einen Frauenmörder, der seine Opfer entführt und anschließend in
Onlinepokerrunden mit der Polizia um ihr Leben zockt. Die Ermittler leisten ihr
bestes, um schlimmere Auswirkungen zu verhindern und versuchen – das
männlich/weibliche Protagonistengespann wie schon in Argentos Opus Magnum
PROFONDO ROSSO - den Killer auszuspüren. Klingt nach einer schwachsinnigen
Prämisse, die nicht unerheblich dem zeitgleich erschienenen SAW (vor allem
aber dessen Sequels) ähnelt. Womit die Probleme auch schon anfangen: In der ersten
Hälfte tritt der Killer höchstens hinter seiner Tastatur in Erscheinung. Die
Bedrohung scheint unendlich fern zu sein, was die kaum vorhandene Atmosphäre zusätzlich
beeinträchtigt. Auf einem winzigen Webcamausschnitt sind die gefesselten und
geknebelten Frauen zu sehen. Das Pokerspiel selbst mutet grafisch wie zu
SNES-Zeiten an. Später gibt es Tötungssequenzen zu bestaunen, die zwar makaber
ausfallen, doch im Rückblick zu der atemlosen Hatz um Leben und Tod in früheren Werken
eher enttäuschen. Stichwort Enttäuschung: Claudio Simonetti, der zusammen mit
seiner Musikergruppierung Goblin (SUSPIRIA, PHENOMENA) allein schon als handfester
Grund ausreicht, um sich Argentos Filme anzusehen, enerviert hier gehörig mit
unwürdigem Technogehämmer. Haben einige gestandene Stücke und Melodien der Italiener eine Affinität zu
dieser Musikrichtung, so ist es diesmal eindeutig zu viel des Gutgemeinten.
Schwergewichtiger sind zudem unübersehbare Logikanschlüsse und Unstimmigkeiten.
Gialli sind zwar nicht für eine lückenlose Story berüchtigt, sowie
schauspielerische Leistungen gemeinhin vernachlässigbar sind, wenn aber schon
nach kurzer Laufzeit der Täter erahnt werden kann, kann man nur schwerlich
Whodunit-qualitäten zusprechen.
Nicht falsch verstehen. An der Front gibt es dann doch halbwegs
positives zu berichten: Für Ulk sorgen ein steppender und Operetten
schmetternder Leichenhausangestellter
als auch ein junges Pokerass, das bald zur Bewältigung der Partien hinzugezogen
wird. Argentos Gespür für leicht abseitige Figuren vermag noch immer zu
gefallen. Den einhelligen Vorwurf, man habe es mit einem Fernsehthriller zu tun,
kann ich nicht bestätigen. Selbst einen miesen Giallo würde ich noch über kommissarische
TV-Ausflüge stellen. Irgendwie zumindest. Dass Argento mit zeitgenössischer Technologie
nicht viel anzufangen weiß und erschreckend unbedarft damit hantiert wird,
überträgt ebenso einen gewissen kruden Charme. Nichtsdestotrotz der bis dato
schlechteste Argento, der diesbezüglich nur noch von späteren Katastrophen wie
dem wirren Abschluss der Drei Mütter-Trilogie LA TERZA MADRE oder eventuell seiner
DRACULA-Adaption (man munkelt von einer Heuschrecke) eingeholt werden kann. Wo
ist der große Auteur mit der genuinen Bildsprache nur abgeblieben?
3 / 10
Autor: DeDavid
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