Wie lässt sich ein solcher Film nur beschreiben? Geboren zwischen Zeit der großen Stummfilme und der Zeit des Tonfilms. Gefangen in einer Zwischenwelt, weder geboren noch gestorben. So zumindest mutet Carl Theodors Dreyers (mein neuer, dänischer Heiliger) »Vampyr« aus dem Jahre 1932 an. Irgendwo dazwischen. Eine wirkliche Einordnung wird ihm weder im Genre gerecht noch in der Klassifizierung seiner Gattung. Heute wie damals. Damals nur als Misserfolg, heute als Meilenstein des klassischen Horrorfilms, wie auch neben Murnaus »Nosferatu« (1922) als Definitionswerk des Vampires. Außerdem Dreyers erster Tonfilm, dabei ertönt dieser hier selbst nur selten? Und wenn: Unbedeutend, unkenntlich, missverständlich und fragmentarisch. Für Dreyer verliert das Wort - wie ironisch auf sein Schaffen bezogen - an jeglicher Bedeutung und erscheint so mehrfach als irrelevant.
Ist denn überhaupt ein Wort von nöten, fragt Dreyer? Ein unkonventioneller Leitgedanke in seiner zeitlischen Einordnung, also zu sehen als begraben. Und enthüllt und das nicht irgendwie ein gewisses Vampirmotiv als Reflexion? Clever. Der Stummfilm überlebt den Tonfilm. Alt trifft auf neu und Dreyers Werk ist verschlungen von der Zeit. Als ewiges Rätsel wie auch als eigenwilliges Artefakt mit seinen eingeblendeten Texttafeln, statt dem Worte oder Dialoge. Nur flüstern und wispern. Verzerrt. Unwirklich. So sind es demnach die Bilder, die Dreyer sprechen lässt. Die rauschenden, verdichtenden, undurchsichtigen Bilder, die es zu entschlüsseln gilt - wenn überhaupt möglich - hellklar und doch so nebelig und in seiner Intention mysteriös. Man muss nicht lange suchen um zu bemerken, dass sich hiermit Dreyer auf den Expressionismus beruft (inklusive seiner grotesken Anleihen) und somit eine selten intensive, befremdliche Stimmung schafft, als würde über seinem Werk ein unheilvoller Schleier liegen. Subtil experimentiert Dreyer, entführt und begibt sich auf eine Reise in die Dunkelheit, fasziniert aber mit seinen Möglichkeiten.
Schon der deutsche Beititel deutet Surrealismus an, Dreyer wechselt unentwegt zwischen Alptraum und Traum und mittendrin sein Protagonist, der Student Allan Grey - auf der Durchreise in einer fremden Stadt, genannt Courtempierre. Die Geschichte ähnelt einer vergangenen Volkssage . Es kommt nicht nur so vor, Dreyer würdigt hiermit den klassischen Grusel - nicht ohne Grund pflegt sein Protagonist scheinbar - mit der eindeutigen Einordnung des gesitteten Bürgers - eine Vorliebe für diesen und reflektiert zugleich so dessen Sehnsüchte. Mit dieser Tradition bindet Dreyer die schaurige Romantik in sein Werk ein - traumhaft - und erinnert an eine längst vergessene Epoche. Ein wahres Wunder von Film. Unvergesslich gliedern sich dazu (technisch revolutionär) bewegliche Schatten, tanzen, faszinieren - kombiniert mit Plansequenzen, während die Beleuchtung (auch in Bezug auf die Schatten) irritiert und Dreyer besonderen Wert auf die räumliche Architektur legt, sein Werk wie den filmischen Raum in Frage stellt. Aus ihm heraus bricht, mit ihm spielt und die Möglichkeit ergreift. Vielleicht erinnert deswegen auch Dreyers Film in seiner filmischen Struktur einem legendenhaften Schauermärchen vergangener Tage. Initative in der Kameraführung, sie studiert wie analysiert und Dreyer, der psychologisiert den Geist seiner Definition. Denn auch seine Figuren stellt Dreyer in Frage, ob Wahn oder Wirklichkeit, zwischen Realismus (gibt es den überhaupt?) und Irrealis. Was sind sie? Nur unheimliche Schattenlichter?
Und dann das Mysterium höchstpersönlich: Der Vampir. Der emanzipierte, weibliche Vampir (im Grunde mit Verbindung zum märchenhaften Motiv der Hexe). Dreyer definiert ihn als Urangst und gespenstischen Blutsauger, zugleich setzt er sich aber aus bekannten Leitgedanken der Kollidierung vom Alten (dem Vampir) und dem Neuen (den Stadtbewohnern) zusammen, der auch als hintersinniges Element aufgefasst werden darf, wie bei Tobe Hooper, wobei noch vielmehr bezüglich der Differenz von Stummfilm und Tonfilm in Bezug der Filmgeschichte. Andererseits symbolisiert der Vampir somit auch die Adelsherrschaft, sodass auch Dreyer direkten Kontext zu Wienes »Das Cabinett des Dr. Caligari« aufbaut. Das äußerst sich insofern, dass der Vampir selbst Gehilfen, die willenlos unter seinem Bann stehen, befehligt. Wie bei Wienes expressionistischen Zombie, im Bann seines Magiers. Dreyers ewiges Spiel mit Schein und Sein, wenn sich der Student konfrontiert sieht mit dem eigenen Tode in der Enge des Sarges - ein beklemmendes Motiv zwischen Leben und Tod wird essentiell für Dreyers Werk und dessen hypnotische Stimmung und profitable Wirksamkeit und gerade deshalb in seiner Aussage ambivalent. Denn letztlich spekuliert man nur: Was ist Wirklichkeit? Was ist Traum? Doch ich hoffe eines weiß man genau, dass Dreyers Werk auch weiterhin die Zeit bestehen wird. Ich wiederhole mich gern, auch wenn ich diese Form der pseudoepischen Schreibweise selbst missachte: Dreyer als Heiliger des Kinos, sein »Vamypr« ein morbides Wunder des Kinos. Wohlgemerkt: Inflationär gesagt.
8.5 / 10
Autor: Hoffman
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