Dienstag, 27. August 2013

Im Hochaus ist der begehrende Parasit los! - Klassiker der Extraklasse: Shivers - Parasiten-Mörder (1975)




»I´m hungry for love!« - Es geht nun wieder um den Ursprung, um die Anfänge von großen Regisseuren, von großen Themen oder der von irgendwas anderen, wo man das »groß« hinzufügen könnte. Denn auch mit »Shivers« begann 1975 etwas, wir nennen es (alias ihn) David Cronenberg, wenngleich Cronenbergs bereits vorher Kurzfilme drehte und rein theoretisch zwei weitere, miteinander kompatible Spielfilme veröffentlichte - an die sich heute wohl wiederum kaum jemand erinnern kann - so war »Shivers« zumindest Cronenbergs erster wirklicher kommerzieller Erfolg, oder anders gesagt, sein kontroverser Durchbruch.



Was Cronenberg uns hierbei nun also schenkt? Werbung! Differenzierter gesagt: Ein Werbevideo, das uns eine scheinheilige Utopie eines modernen Hochhaus-Komplexes zeigt. Das ist Cronenbergs Haupt-und Angelpunkt der Geschichte. Rein formal bemerkt man sofort den zeitlichen Kontext mit klaustrophobischer  Wirkung und dem unsicheren Gefühl, welches das Hochaus heraufbeschwört zwischen Überwachung, Paranoia und Isolation, dienlich dazu kommentiert dies Cronenberg noch ironisch-hintersinnig, sich dem baldigen Unheil stets bewusst, wie die gläsernden Scheiben die Flächen reflektieren. Von seinem Genrekollegen Romero ist gar nicht mal so weit entfernt: statt Kaufhaus, gibt es ein Apartementkomplex.

Die Methode bleibt die Selbe, das Hochhaus kann man demnach wahrscheinlich als Symbol der Biederkeit, als Metaphern für die Welt des normalen Bürgers gelesen werden. Diese menschliche Suche nach höherer Technologisierung und technischen wie biologischen Fortschritt wird von Cronenberg kritisch aufgefasst wie auch der Mensch selbst in seiner Begierde nach der Forschung und von der Distanzierung seines eigenen Körpers. Der frühe Cronenberg mag es inszenatorisch recht eckig, anfangs sind da noch leicht diffus gesetzte Schnitte, das sorgt hingegen aber auch für eine Spontanität in Cronenbergs Stil und zugleich unterstreicht es doch wunderbar Cronenbergs unangepasste Regie und die minimalistische Machart. Insofern ist sein Film dann auch voller inszenatorischer Reibungsflächen, gerade durch diese Einfachheit seiner filmischen Künste.





Das fasziniert und ja erschafft so wiederum auch eine ganz eigene Form von intimer Intensität. Der unterschwellige Antagonist von Cronenberg wird gezeichnet als gewöhnlicher Büroarbeiter, der sich mit dem Parasiten als erster infiziert und so Teil des Ganzen wird. Hingegen Cronenbergs Sympathiefigur ist ein engagierter Wissenschaftler, der die Rettung unternimmt. Wie auch im späteren Verlaufe lassen sich im Plenum gefasst seine Charaktere hierbei (wie er selbst meint) als Menschen beschreiben, die zur Veränderung greifen, um ihrem biologischen Lebenszyklus entgegen zu arbeiten - stets angehaucht von Cronenbergs omnipräsenter Lieblingsthematik dieser Zeit, der sexuellen Revolution als Aufhänger für zahllose Metaphern der offenen Sexualität gegen die Prüderie. Dabei ist er auch von Meister Romero und seinen »Night of the Living Dead« beziehungsweise dessen Konzept beeinflusst worden, könnte man meinen, auch Cronenberg zeichnet das unvermittelte Ansteigen einer Minderheit auf.

Dieses Mal ist es nicht wie bei Romero die Außenseitergesellschaft, sondern viel mehr ein Parasit (= eine Idee) als Symbol für die Verbreitung einer Philosophie, hierbei andeutend für das damalige zeitliche Klima und dem Ausbruch der sexuellen Revolution, welche Cronenberg hierbei auch als Erster als filmisches Themengebiet aufgriff, glaub ich. Romero legte später noch nach. Doch verzichtet Cronenberg natürlich nun auch nicht auf seine frühe Definition des »Body Horror«, subtil inszeniert das angedeutete Eindringen in den menschlichen, weiblichen Körper durch einen Fremdkörper. So kann dies des weiteren auch als stetige Gegenüberstellung von Erotik und Terror oder Angst, Ekel und Sinnlichkeit gesehen werden, eine wirkliches Urteil bleibt aus, bis er dann wirkungsvoll seinen blutigen Body-Horror schauderhaft entfesselt, er geht unter die Haut. Das ist die typische Ambivalenz eines Cronenbergs.



Cronenberg reduziert aber zugleich auch seinen eigenen Filmkosmos größtenteils auf das tragende Hochaus und hantiert dabei mit Motiven der Isolation und Enge. Das teils beengend wirkende Hochhaus, durch schmale Flure, diese Abgeschlossenheit einzelner Räume und dünne Korridore, kann folglich nicht nur als Reflexion gesellschaftlicher Ordnung gedeutet werden, sondern auch als Metaphern für Kurzsichtigkeit des verändern wollenden Menschen selbst. Dazu kreuzen sich aufs neue Begierde und Schmerz - ein frühes Sadomaso-Motiv? - der Zombie ist hier also erstmals als Infizierter anzutreffen und auch ein weiterer Verweis auf Romero ist zu entdecken, so erbringt ein kleines, blutrünstiges Mädchen den Beweis dafür, und daneben wird sogar die Homosexualität von Cronenberg freiherzig thematisiert, auch wenn das nur ein wirklich minimales Detail ist. Der Mensch agiert als Sklave seiner Lust, getrieben von seinem Ideal. Cronenberg vereint Politik und Sexualität. Er entwickelt daraus letztlich die Eskalation der sexuellen Sehnsüchte und die Hingebung der puren Lust, nun dann wird Cronenberg sogar subversiv und noch einmal herrlich ironisch, beim Sprung ins kalte Wasser. Von Ernüchterung ist hier keine Spur zu sehen, nur die pure sexuelle Ekstase. Und Cronenberg prognostiziert: Ein Happy End? Wer weiß. Zuletzt ist das Ergebnis von Cronenbergs Film ambivalent zu betrachten, kurzum: träumerisch wie traumatisch.



7.5 / 10


Autor: Hoffman

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