Das Ende von
von Sternbergs Morocco hat mich nach der ersten Sichtung zutiefst zerstört. Ein
fantastisches Ende, und mit der erneuten Sichtung bin ich mir nun klar
geworden, wie hervorragend der gesamte Film ist.
Eine
Liebesgeschichte im Exil, im orientalischen Marokko, zwischen einem US-Legionär
(Gary Cooper) und einer Vaudeville-Sängerin (Dietrich). Die beiden sind
gleichwertig: Mann wie Frau bestehen auf ihrer Unabhängigkeit, beide verschlug
es nach Marokko, weil sie flüchten, desillusioniert vom Leben zu Hause. „Ehe?
Habe noch nie jemanden gefunden, der gut genug dafür ist“, so das Motto der
Beiden, die ihre gemeinsame Zeit damit verbringen, ihre Gefühle voreinander zu
verstecken. Es gibt keine einzige wirkliche Liebesszene, doch wie bedingungslos
diese Liebe wäre, sehen wir in der letzten Szene, welche außerdem Dietrich ins
Zentrum rückt. Erscheint sie uns zu Beginn noch als unnahbar und kühl,
identifizieren wir uns am Schluss vollends mit ihr; das Umgekehrte geschieht
mit Cooper, dessen Geschichte wir am Anfang erzählt zu bekommen glaubten, da
sich noch eine Nebenhandlung um ihn und seine ehemalige Geliebte, die Frau eines Kommandanten, dreht. Das Ende macht klar: es ist eher die Geschichte Dietrichs
als die Coopers.
Morocco ist ein Film, der seine einzelnen Momente
zelebriert. Die Grundgeschichte ist eher knapp und auch nicht besonders
erwähnenswert; dafür lässt Sternberg den Film leben und atmen. Das heißt: Momente,
Gesten und Szenen werden enorm ausgedehnt. Besonders diejenigen Dietrichs:
alles, was sie macht, wird betont, als sei es in kursiver Schreibweise, als seien es mit
Akzent versehene Noten. Schon zu Beginn: als ihr von einem reichen
Geschäftsmann eine Visitenkarte verabreicht wird, lässt sie sich Zeit,
zerreißt langsam, mit emotionslosem Ausdruck, die Karte und spickt sie von
ihrer Hand ins Meer. Sie spricht nie viel, und wenn, dann wirkt es unterkühlt;
tatsächlich sprach sie kein Englisch und ahmte die Worte nur phonetisch nach.
Doch daraus entsteht ein Vorteil, da sie alles mit Gesten und kleinen
Bewegungen kommuniziert. Die Art, wie sie raucht, wie sie nach dem inhalieren
die Luft ausstößt; die Pausen zwischen zwei Wörtern; wie sie einmal in einen
Raum kommt, dann kurz stehen bleibt, sich dreht, zagt, und in eine andere
Richtung weitergeht; wie sie sich an einem Seil festhalten muss, als sie zurückkehrende
Legionäre nach Neuigkeiten befragt; wie sie manchmal unvermittelt Cooper mit gestochen
scharfem Blick fixiert: dies alles ist essentiell, dies macht einen Großteil des Films aus. Kurz nach einem Besuch
Coopers in ihrem Appartement beispielsweise:
Zunächst
bleibt sie mit gesenktem Haupt, verdattert über seinen Besuch, auf der Schwelle zurück,
streicht
sich durchs Haar,
sitzt
gedankenverloren aufs Bett
erwidert
(viel zu spät) den Handgruss Coopers
steht
wieder auf und lehnt sich über das Balkongeländer.
Die Zeit,
die sich Sternberg nimmt, um diese Augenblicke der Reaktionen auszureizen, kommt
auch dem detailreichen Dekor resp. der ausgefeilten Bildstaffelung zugute, derer
man sich besser bewusst wird. Im Vordergrund der Bilder, ganz nahe der Kamera
und die Protagonisten sozusagen „überdeckend“ sind auffallend oft Gegenstände platziert;
meistens Seile oder Holzspäne, die ein Netz über die Gesichter der Darsteller
werfen, ein Netz, das durch Schattenstrukturen im Hintergrund noch engmaschiger
wird. Das Bild wird expressionistisch: das Netz des Künstlers, seine Vision, in
welchem/in welcher die Figuren gefangen sind. Zweimal sehen wir auch nur „Netze“:
Welten ohne Protagonisten, es ergeben sich fast abstrakte Bilder (aber man
beachte die Katze als Kontrapunkt im ersten Bild):
Beide Bilder beziehen sich auf Szenen mit Dietrich, die gefangen und eingelullt ist im Netz der Liebe; auch deshalb gilt: Moroccos primärer Protagonist ist ausschließlich Dietrich. Beide Bilder führen Szenen ein, in denen Dietrich getrennt ist von ihrem Geliebten (deshalb, v.a. im oberen. Bild: sich fühlt wie im Gefängnis).
Ins Auge springt noch, wie oft im Vordergrund der Bilder eine gleißende Lichtquelle zu sehen ist; siehe dazu das allererste Bild. Glühbirnen sind partout präsent, ins Netz gewoben. Eine Glühbirne und ein Netz, das ist Kino: wie ein Projektor mit Leinwand.
9.0 /10
Autor: Cameron
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