Freitag, 25. November 2016

Von unmöglicher Liebe - Klassiker der Extraklasse: The Reckless Moment (1949)



Die beiden Ophüls-Filme Letter From an Unknown Woman (1948) und The Reckless Moment (1949), entstanden in Hollywood sind zwei äusserst bewegende, überwältigende, zu Tränen rührende Filme, schon deshalb, weil sie Geschichten sind von einer unmöglichen Liebe, vom vielleicht melodramatischsten aller möglichen Thema. Ob diese Filme nach vermehrtem Sehen auch noch so kräftig wirken würden, ist fraglich: Wir verlieben uns nicht in die Filme, sondern in das Gefühl, das die Filme zurücklassen.


Doch The Reckless Moment ist zunächst keine klassische „Liebesgeschichte“ sondern handelt von der bedingungslosen Liebe einer Frau zu ihrer Familie. Ein Tribut an eine Ehefrau und Mutter, die alles tun will, um ihre Familie (insbesondere die Tochter, dessen vermeintlichen Mord sie vertuschen will, aber auch: Sohn, Schwiegervater, abwesender Ehemann, Haushälterin) zu schützen, um den normalen, gemächlichen, aber genug aufregenden Gang der Dinge im Leben der Mittelstandsfamilie zu bewahren, in einer beschaulichen Kleinstadt an der Ostküste. Erst ganz zum Schluss, mit den letzten Einstellungen, wird sich die Geschichte zum Melodrama wenden. 


Dann ist der Film vor allem auch ein Horrorfilm. Auch als film noir klassifiziert, lässt sich dieser Aspekt weniger an der Geschichte ausmachen (keine typische Noir-Geschichte von Detektiv und femme fatale) als in der Atmosphäre, am niederschmetternden, unangenehmen Gefühl, das uns beschleicht. Hierin ähnlich ist dem Film Ray’s In a Lonely Place, auch das ein Film von elektrisierender Wirkung. Der Horror (hinter dieser klischeehaften gutbürgerlichen Fassade) lauert überall: nicht nur werden bestimmte Horror-Tropen bedient (Frau alleine im Dunkel, mit Taschenlampe, im abgelegenen Bootshaus, wer harrt da im Dunklen aus?; eine Leiche wird entdeckt, muss verschwinden, ohne dass man gesehen wird); nicht nur umgibt alles die angesprochene aussichtslose Atmosphäre: hinzu kommt der Horror vom abwesenden Ehemann, vom abwesenden Retter. Vom auf sich allein gestellt sein, kein Hilfe erwarten können: der Ehemann bleibt den ganzen Film über ein Phantom, seine Nicht-Präsenz ist entscheidend, macht den Film erst möglich.

Und der Horror steckt auch darin, dass die Hauptperson (Joan Bennett) ständig abgelenkt, ständig verhindert wird. Sie kann beinahe nie tun, was sie will. Immer kommt etwas in die Quere, immer geschehen noch zehntausend andere Dinge, doch sind dies Dinge die das gutbürgerliche Familienleben selbstverständlich mit sich bringt, und mit denen sich die Protagonistin auch beschäftigen will: es nur allen Recht machen. Man staunt, wie gut sie das durchzieht, dass sie nicht zusammenbricht. Wir erwarten ständig entweder eine Pause, ein Ausruhen, sowohl für Bennett als auch für uns, oder ein Explodieren, ein Ereignis, welches das (Pulver-)Fass zum Ueberlaufen bringt. Schon in den ersten Minuten wird uns dieses ständige Ablenken bewusst: eine Frau sucht den Liebhaber ihrer Tochter in einem zwielichtigen Lokal auf, die Kamera folgt ihr durch die Räume, schnappt aber im Vorbeigehen genug von den Gesprächsfetzen auf, um uns denken zu lassen: Ist das wichtig? Muss ich mich darum kümmern? Auch auf der Soundebene schlagen uns ständig irgendwelche Geräusche entgegen! Ein Telefon / Kirchenglocken / Leute, die dazwischenrufen... Horror ist hier, nicht das tun zu können, was man will/muss: Bennett muss innert Kürze 5000 Doller auftreiben, doch ein Bank-Darlehen ist aufgrund des abwesenden Gatten nicht möglich, ihr Schmuck nichts wert, etc.

Das Ende des Films scheint das düsterste, in Hollywood mögliche Ende zu sein. Schon früh denken wir: das kann nicht gut ausgehen. Wir spüren, dass das Kämpfen (das Mitleiden mit der Protagonistin) aussichtslos ist, und trotzdem tun wir es. (In dieser Hinsicht erinnert mich der Film an Robert Schumann) Wahnsinnig geworden, zerstört und sprachlos lässt uns der Film zurück.

Die barocke Gestaltung / Inszenierung des Films ist wie bei Letter From an Unknown Woman sehr "musikalisch". Wie Figuren ins Bild raus- und reinrücken, wie sich die Kamera dreht; wie sich Spannung zwischen den verschiedenen Bildebenen aufbaut, (die schwarze Haushälterin ist oft im Hintergrund sichtbar). Im Vergleich zu Preminger, einem anderen Regisseur, der die Kamera beweglich lässt, um möglichst viel von einer Szene in einem Guss einzufangen, ist Ophüls noch eleganter, expressionistischer, atmosphärischer.



++
Cameron

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