Wo nun also »Passion« (1982) als so etwas umschrieben kann wie Godards trockener und großspuriger Hollywoodfilm, war sein darauf folgendes Werk »Vorname Carmen« (1983) so etwas wie der Kontrast dazu, ein kleiner und selbstreflektierender Film nach Bizets Oper interpretiert und ein paar Premingeranleihen, ohne natürlich den Vorbildern großartig zu folgen und dafür mit eigenwilligen Ideen verziert. Natürlich darf das wieder fragmentarisch sein, aber leichter zugänglich als der Großteil der späteren Godardwerke. Ich würde fast sagen, dass sich in Hinsicht der Handlung Godard hierbei wieder auf seine Wurzeln besinnt. Und dennoch wirklich munden wie diese will »Carmen« mir nicht. Ich sehe in »Carmen« eigentlich gerade das Problem, welches viele in Godards Frühwerk sehen. Die Technik wird zum Selbstzweck. Die Geschichte mag einer gewissen godardschen Chronologie folgen, wirkt aber an sich so absonderlich und banal, dass es mir wirklich schwer fällt irgendeinen Mehrwert dahinter zu entdecken, außer mal wieder die neusten Erfahrungen mit Bild und Ton in seinem Film zu präsentieren.
Also alles auf theoretischer Ebene, wenngleich ich zugeben muss, dass dahingehend die Vermischung von Bild, Ton und Musik wirklich exzellent ist, wie Godard die Individualität und Wirkung zusammenführt. Auch wenn das wieder nur die altbekannten Mittel sind, die behandelt und im besten Falle erweitert werden, wie Asynchronität (die hier sogar mal geschickt und nicht störend verwendet wird), Tonüberkreuzung und auch Synchronität. Das Zusammenspiel verschiedener Toneinflüsse wird dargelegt durch Verminderung und Verstärkung einzelner Töne in Verbindung mit dem Bild, auch gerne im Widerspruch von Bild und Ton, wenn der kleine Stadtfluss die Vertonung des Meeresrauschens bekommt, samt Möwen. Das Meer selbst als wiederkehrendes Motiv der Sehnsüchte, thematisch gebunden an die Liebe, denn ohne die kommt Godard bekanntlich nicht aus und das Sinnieren über die Unmöglichkeit der Liebe, der gescheiterten Liebe oder einer Liebe, die keine Hoffnung besitzt, ist sichtlich konstruiert. Wieder ist es eine Frau, die Godard hierbei zu faszinieren scheint: Die titelgebene und mysteriöse Carmen (Maruschka Detmers; Adjani floh nachdem sie Coutard mit seinem Werkzeug erblickte und damit Godards Arbeitsmethode verstand), die jede Szene mit ihrer Anwesenheit zu dominieren scheint. Zur Auflockerung übernimmt Godard aber selbst den Part des verrückten und wirren (ehemaligen) Filmregisseurs und Onkels Jean (angelegt als Alter Ego) in der Anstalt. Und versprüht höchst selbstironische Töne, wenn Godard klagt über Jugend, Politik, Wirtschaft, Kapitalismus, Maschinen und dahingehend sein Gedankenspektrum um Fiktion, Racheprojekte, van Gogh und Kunst kreisen lässt.
Das erfrischt und faszinierend in großen Teilen, neben dem ansonsten hochtrabend gehaltenen Stil, bei dem dann auch all die befreiende Freizügigkeit nichts mehr hilft. Dazu ist die Handlung viel zu distanziert und passiv angewendet. Über ein Verbrechen (= Überfall) bei dem die Regiearbeit des kaum zurechnungsfähigen Onkels als Täuschungsmanöver dient, doch folgt auf Rationalität (= Planung) die Emotionalität (= die unerwartete Liebe) und Carmen verliebt sich (wie ulkig) in einen Wachmann. Danach folgt Liebe wie physikalische Gesetze: Charaktere wie Magnete, die sich anziehen und abstoßen, mit Richtungswechsel, und der Freizügigkeit als Symbol der Nähe und Sexualität in Verbindung mit der Liebe, so wird vermutet. Den Höhepunkt findet diese Idee dann in metaphorischer Form mit der Liebkosung eines Fernsehers oder dem emotionalen Zusammenbruch auf einem Fernseher, unterlegt mit Tom Waits, als Reflexion der Verletzlichkeit und Verzweiflung der Figuren, bis dies dann ziemlich unschön von der Asynchronität mit der klassischen Musik abgewürgt wird. Ansonsten wird kräftig musiziert mit Geigen, gespielt wird Beethoven, was den herzlich elitären Ton solcher Godardfilme steigert, besonders wenn es sich um ein trockenes Streichquartett handelt, die dem Film dann in den meisten Fällen seine lockere Ausgangsstimmung raubt und wieder versteifen lässt. Auch scheint es mir so, als fände Godard hierbei nie den richtigen Erzählton, anfangs zu kraftlos (bis auf Godard selbst), am Ende zu hektisch, aber immerhin mittendrin possenhaft. Doch an den Elan seiner früheren Werke kann Godard damit nicht anknüpfen, so bleibt »Carmen« zwar ein durchaus spielfreudiges Experiment, welches nebenher gesagt auch von der Natürlichkeit von Coutards Bildern lebt (der diesen als seinen Lieblingsgodard titulierte), aber in seiner Substanz immer noch irgendwie leer und nichtig wirkt.
5.5 / 10
Autor: Hoffman
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