Mittwoch, 14. Februar 2018

»Ich hatte einst ein schönes Vaterland...« - Klassiker der Extraklasse: Ich war neunzehn (1968)



Konrad Wolfs »Ich war neunzehn« ist eine Aufarbeitung der Vergangenheit, seiner Vergangenheit. Wolfs Film lässt sich als autobiografisches Dokument verstehen, das wie ein Tagebuch angelegt ist, das die genauen Tage und Daten festhält, an dem die Ereignisse stattfinden. Wolf schildert die letzten Tage vor dem Ende des Krieges. Der Film beginnt im April 1945. Am 16. April. Der Krieg ist so gut wie vorbei. Wolf zieht Bilanz, über das, was der Krieg hinterlässt und in welcher verschiedenen Situationen die unterschiedlichen Menschen stecken. Sein Protagonist Gregor (Jaeckie Schwarz), ein neunzehnjähriger Deutscher, kommt als Leutnant der roten Armee zurück nach Deutschland. Seine Heimat scheint ihm aber mittlerweile fremd geworden zu sein. Seine Eltern waren, wie Wolfs Vater Friedrich Wolf selbst, als Konrad ein Kind war, nach Moskau immigriert. Über die Figur des Gregors verarbeitet Wolf seine eigenen Erlebnisse in dieser Zeit, denn auch er war Soldat gewesen, und schildert persönliche Eindrücke, die er in seinem Tagebuch festhielt.



Wolf schildert feinfühlig und eindringlich seine episodenhaft angelegte Odyssee durch das von Krieg gezeichnete Deutschland, das die Extreme zwischen Dichtern und Konzentrationslagern in sich beherbergt, zwischen Heine und Sachsenhausen, zwischen Goethe und Auschwitz und in der sein Protagonist und dessen Kameraden den unterschiedlichsten Menschen begegnen und er somit ein nuanciertes Bild der damaligen Situation zeichnet: Da sind Menschen, die Angst haben und die Angst hatten, deren Positionen sich nun am Ende des Krieges gewechselt haben, die leeren Städte, die Mitläufer, die Verzweifelten, ein intellektueller Architekt, der über die Schuld Deutschlands philosophiert und sich das Geschehene versucht zu erklären. Da sind aber auch die deutschen Offiziere, die sich in der Spandauer Zitadelle, einer Festung, die von Wasser umschlossen ist, verbarrikadiert haben. Da gibt es die lethargischen Kommandanten, die schon längst genug vom Krieg haben, die auf den Frühling warten und Traubenzucker als freundschaftliche Geste anbieten, aber auch die SS-Offiziere in der Festung, die eine Kapitulation ablehnen, die nicht glauben, dass es vorbei ist, bevor die Niederlage wirklich eintritt und warten. So gibt es dort einen fanatischen Obersturmbandführer, der sich bereits in sein eigenes finsteres Verließ zurückgezogen hat, aber immer noch vom »Schicksalskampf« spricht und dann wiederum die Offiziere, die begriffen haben, dass es bald vorbei ist, über ihre Rolle in der Zukunft nachdenken und die Chance zum desertieren nutzen.



Konrad Wolf erzählt diesen Film mit viel Ernst und Tragik, wenn Gregor einen deutschen Soldaten findet, der blind geworden ist, allein zurückgelassen wurde, noch optimistisch in die Zukunft blickt und nicht weiß, das der Krieg so gut wie entschieden ist, aber auch manchmal mit leichter bis tragischkomischer Munterkeit, denn sein Film hat auch komische Anekdoten zu bieten, wie ein Major (ganz ordnungsgemäß: Rolf Hoppe), der sich erst noch fein säuberlich und ordentlich bei seiner Dienststelle abmelden will, bevor er sich in die Gefangenschaft der russischen Armee begibt. Wolf inszeniert akribisch und nüchtern. Er hält seinen Film beinahe dokumentarisch, unterstreicht damit die Authentizität, die schon das Drehbuch von ihm und Wolfgang Kohlhaase vermittelt. Die präzise Strenge mancher Bildkompositionen wechselt dabei teils immer mal wieder mit einer beweglichen Handkamera, die sich auf Details spezialisiert, mehr in die direkte Situation und das Gefühl der Situation, in der die Protagonisten sind, versetzt. Daneben gibt es weiterhin auch noch die immer nur kurzen Momente der freundschaftlichen Annäherung zwischen den Parteien, die irgendwie etwas hoffnungsvolles an sich haben. Am Ende entlässt der Film den Zuschauer aber mit einem nachdenklichen Ausblick in die Ferne, in eine Zukunft, die noch nicht wirklich klar zu sein scheint, denn auch Gregor, der sich nun gedankenversunken treiben zu lassen scheint, scheint nicht wirklich zu wissen, was nun vor ihm steht, wohin (= Berlin als Aussicht, aber was wird ihn dort erwarten?) es ihn nun wieder verschlagen wird. Auch ihn hat der Krieg gezeichnet. Seine Reise ist jedenfalls noch nicht vorbei.

8.5 / 10

Autor: Hoffman 

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