»Sie sind nur eine Nummer. Eine Nummer in einer Versuchsstation.« - Was die Wahrheit? Was die Lüge? Was Fiktion und Realität? Was die Grenze? Und was ist real? Worin liegt die Gewissheit? Wo kreuzen sich die Wege der Wirklichkeit? Was liefert die Bestimmtheit der Realität? Traum und Realität? Eine Welt am Draht? Die Zukunftsvision mit jenem Aufhänger ist heute bereits mehrfach weitflächig verbreitet und abgedeckt, ob mit Stylern wie "Matrix", dem besseren "Dark City", "Inception" und was weiß ich noch nicht alles. Zumeist sind es heute Blockbuster. Doch bereits vor diesen gab es einen Mann, der das Thema bereits anpackte und so wahrscheinlich auch eben jene irgendwie prägte und als Inspiration diente, ist halt ein Rainer Werner Fassbinder-Film. Auch wenn ich diese dümmlichen Vergleiche selbst als unnötig befinde. Ein ungewöhnlicher Fassbinder ist seine »Welt am Draht« geworden.
Jedoch möchte ich keineswegs den Eindruck erwecken, dass Fassbinder der erster sei, der sich mit den thematischen Wirklichkeitsebenen auseinandersetzt, nicht nur da Fassbinders Werk auf dem Roman "Simulacron" von Daniel F. Galouye basiert und sich Fassbinder selbst auch von Jean-Luc Godard inspirieren ließ (Fassbinder war ein Fan. Yeahy!) und dessen kühlem »Alphaville«. Kenntlich am anfänglichen Aquarium, was im besonderen nochmal deutlich Godards Stil huldigt. Jedoch möchte ich damit auch keinesfalls sagen, dass Fassbinder so seine eigene Individualität an der Thematik verliert, ganz im Gegenteil. Bei Godard ist es eine Welt regiert von der Technik. Bei Fassbinder ist die Computersimulation die zweite Realität. Beide mit der Ausgangsstellung: Was ist die Realität? Auch wenn Fassbinder ungewöhnlich inszeniert ist im Retro-Look mit einer klinischen technischen Perfektion, der Widerspiegelung der Entmenschlichung in dieser hochtechnologisierten Welt, spinnt Fassbinder seine Story zwischen Detektivgeschichte, Krimi, einen Hauch von unterkühlter Romanze und purer Dystopie (in der Utopie). Gerade durch diese sterile, vereinsamte und entmenschlichte Atmosphäre erzeugt "Welt am Draht" eine seltsame Sogwirkung, ein quälendes Gefühl im Inneren. Anstrengend? Durchaus, aber dabei umso faszinierender zu beobachten und nicht nur weil dieses Retro-Setting somit einen ganz besonderen Charme gewinnt, sondern auch wegen der Kamera. Eine scheinbar perfekte Symbiose zwischen Fassbinders gemächlichen Erzählstil und Michael Ballhaus futuristischen und verfremdeten Bildern, jede Einstellung natürlich virtuos geführt wird. Angepasst an das visionäre Verhalten Fassbinders seitens einer Welt der Computer und Technik.
Aber auch klassische Motive finden ihre Annäherung bei Fassbinder als Beispiel zitiert und kommentiert er auch den Film Noir im Glanze seines raubeinigen Hauptprotagonisten Fred Stiller (Besser geht´s nicht: Klaus Löwitsch), der neue Leiter am "Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung", nachdem sein Vorgänger unter mysteriösen Umständen starb. So wird schon früh Verdacht gesät und Stiller begibt sich (ganz im Noir-Stil) auf die Suche nach der Erklärung. Irgendwie hat Löwitsch dabei fast etwas von einer deutschen Ausgabe eines James Bonds, wie ich finde: Stilvoll, charismatisch und gelassen. Irgendwo zwischen Bogart und Connery. Dazu im Gegensatz (so zu sagen als Lauren Bacall) Mascha Rabben als undurchsichtige Eva Vollmer, der Stiller in ihrer Art verfällt. Rabben als das perfekte Ebenbild des berechenbaren und kalten Computers, unheimlich und so suggeriert sich schnell Fassbinders Intention daran. Die Gefühle oberflächlich, Rabben als gefestigte Definition davon. Es ist ein meisterhaftes Spiel mit den Ebenen der Realität. Zwischen dieser und der Fiktion. Zwischen Wahn und Wirklichkeit. Immer weiter schnürt Fassbinder seine bedrängende Enge der Technologie um seinen Hauptprotagonisten Stiller und lässt sie letztlich zum Ausbruch kommen. In dem der Widerstand gegen das System beginnt. Gefangen wie eine Ratte im Käfig. Zwischen Paranoia, Verleugnung und Wahnsinn bis zur Eskalation dieser Gefühle gefangen. Was ist noch die Realität? Immer weiter fortschreitend mit vielschichtigen Wirklichkeitsebenen und eben deren bizarre Zerstreuungen. Stilistisch nicht weit von Godards »Alphaville« (auch sichtlich beim Gastauftritt von Eddie »Lemmy Caution« Constantine), wenn diese auch weitaus maschineller und kryptischer funktionierte, wohingegen sich Fassbinder für seine Entwicklung der Handlung mehr Zeit nimmt.
Problematisch meinerseits ist hierbei nur die immerhin beachtliche Länge von hochgeschätzten 205 Minuten (im Plenum beider Teiler des TV-Zweiteilers), was zwar keinesfalls meine Faszination abrupt enden ließ, aber doch eine gewisse Problematik für mich darstellte, da ich meine, dass es Fassbinder auch wesentlich kompakter geschafft hätte seinen Film in voller Kraft zu entwickeln. Jedoch verstehe ich dahinter auch die plausible Seite der Länge des TV-Films und so weiß Fassbinder zumindest die gesamte Komplexität seines Themas auszuschöpfen und so auch seine Charaktere entwickeln zu lassen, damit auch seine Karten über die Philosophie des Seins gekonnt ausgespielt werden können, umso effektiver die abschließende Wirkung erhält somit eine besondere Tiefe, die bei der Entwicklung konsequent inszeniert. Fassbinders Spiel zwischen Korruption, Moral und geladener Intrigen im Inneren des Systems, von melodischen wie opernhaften und elektronisch Klängen getragen. Das pochende Herz schlägt und die Ästhetik zeigt sich perfektioniert, auch wenn das Retro-Setting den heutigen Sehgewohnheiten nicht entgegenkommt. Trotzdem seltsamerweise so einer meiner Lieblings-Fassbinder, eine nahezu visionäre Achterbahnfahrt. Eine beklemmende Zukunftsvision als TV-Film, in Klassen, die heute in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität selten als TV-Film produziert werden. Die Welt als maschineller Organismus. Die Welt, eine Illusion.
8.5 / 10
Autor: Hoffman
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen