Freitag, 10. April 2015

Die chaotische Welt - Klassiker der Extraklasse: Paris gehört uns (1961)




Bei Jacques Rivette ist Paris nicht die Stadt der Liebe, er wirft einen desillusionierenden Blick auf diesen Ort, er ist düster, fremdartig, trist und entmenschlicht. Das ist ein Paris, das aus den Fugen der Welt geraten ist oder ist es die Welt selbst, die dem nahenden Ende entgegenblicken muss? Was Rivette in »Paris gehört uns« heraufbeschwört, ist Paranoiakino, das von Zeitpolitik, Andeutungen und Einzelheiten in diese und jene Richtungen, Geschehnissen und Nihilismus geprägt ist. Daraus ergibt sich ein Werk voller Mysterien, Geheimnisse und Verschwörungen, in dessen Mittelpunkt eine junge Studentin (Betty Schneider) aus der Provinz steht, die den Selbstmord (oder doch Mord?) des Exilspaniers und Anarchisten Juan nachgeht; eine Suchende, die erst ermutigt, dann entmutigt wird und vergessen soll, auf einen Mantel des Schweigens trifft und ihre riskante Nachforschung doch weiterführt. Das mutet als Detektivfilm an, mit dessen Konventionen und Erwartungen Rivette spielt und sie banalisiert. Eine klare Struktur lässt sich bei Rivette nicht erkennen. Sie ist labyrinthartig, ,wie der Schauplatz Paris. Es ist eine chaotische, aber nicht absurde Welt, heißt es im Film selbst, ein Ausspruch bei dem Rivette gekonnt seinen Film reflektiert.



Paris ist zu einer Stadt der Fragezeichen geworden. Menschen sind Marionetten, alles ist Schein, sie tauchen auf und verschwinden wieder. Wenngleich das ebenso den schwierigen Produktionsbedingungen geschuldet sein mag, so scheint aber dafür Rivette auch Alternativen gefunden zu haben, die sein Stück noch umso undurchsichtiger erscheinen lassen. Das Theater nimmt einen zentralen Punkt ein, es ist keine Einbildung, es ist die Realität! Es ist der Ausgang von allem, die Welt ist zu einem großen Theater geworden, von Realität und Illusion, Leben und Tod. Ebenso versucht der Theaterregisseur Gérald Shakespeares »Perikles« auf die Bühne zu bringen, doch fehlen ihm Budget und Besatzung, sodass er oftmals improvisieren muss, wie Rivette bei diesem Film selbst und so gibt es hier auch Gastauftritte von Chabrol, Godard, Brialy und Demy. Diese Flüchtigkeit findet sich aber auch den Bilder wieder, welche andererseits rätselhaft wirken, mit Schatten, gedämpften Lichtern, Konturen und Vorhängen, die verbergen sollen.



Das ist eine fragile Welt voller Unsicherheit, Täuschung, Gefahr und Unheil, die einen verschlingt, bei der Rivette aber hin und wieder abschweift beim Theater oder bei der Literatur. Damit vereint Rivette aber auch Bruchstücke, die auf einer neuen Ebene Zusammenhänge ergeben. Dabei merkt man ihm eine gewisse Spielfreude beim Ganzen an. Alles ist vage, nichts will eindeutig sein. Es liegt eine feindselige wie auch bedrohliche Stimmung in der Luft und sogar Lang wird hier mehrfach zitiert, ob mit »Metropolis« oder »Mabuse«, denn bei Rivette scheint in all das eine Geheimorganisation verstrickt zu sein, die nach Macht strebt und die Ordnung der Welt ins Wanken bringt. Das Böse hat viele Gesichter, ansonsten wäre es zu einfach und Rivettes Film verschlingt einen immer dann besonders, wenn er genau diese Verworrenheit zuspitzt. So ist letztlich daraus ein sonderbares und geheimnisvolles Werk geworden, dass sich jeder Bestimmtheit entbehrt und über das sich wohl ewig rätseln lässt. Bei Rivette gehört Paris niemandem.


7.0 / 10

Autor: Hoffman 

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