Freitag, 20. Januar 2017

Von Jungen und Mädchen - Kritik: 14plus (2015)


Der russische »14+«, der 2015 auf der Berlinale in der Generation Sektion lief, die sich an ein jugendliches Publikum richtet, erinnert bisweilen immer wieder an Roy Anderssons heute etwas in Vergessenheit geratenes Filmdebüt »A Swedish Love Story« (auch, weil einzelne Sequenzen und Ideen des Films eine große Ähnlichkeit aufweisen, die aber vielleicht auch daherrühren, dass sie Topoi des Genres sind). Zumindest erzählt der Film eine ähnliche Geschichte wie Andersson es auch tut. Er erzählt von der ersten Liebe zwischen einem Jungen und einem Mädchen, von den heimlichen Gefühlen, vom Schwelgen in Vorstellungen, dem Zögern, dem Überwinden und den Problemen, die es bis zum ersten gesprochenen Wort miteinander geben kann. Dabei beruft sich Regisseur Andrei Zaitsev noch auf ein ganz anderes Vorbild, nämlich Shakespeares »Romeo und Julia«, dem er einen optimistischen Anstrich verpasst. Im Grunde ist es auch nur die Skizze der Geschichte, die zu Shakespeare zurückführt. Dieses Mal sind es keine zwei verfeindete Clans, die hier zunächst Probleme bereiten, sondern es geht um zwei Plattenbautenwohnblöcke, die eigene Gebiete darstellen, und zwei verfeindete Schulen (die dann auch noch eine Art von proletischen Punk-Bullies hervorbringen, die etwas zu platte, damit glatte Klischees darstellen). Der Film baut seine eigene kleine Welt auf, die er sehr fokussiert betrachtet, die ihre eigenen Regeln hat, aber wie er das macht, das macht er gut.


Denn der Film braucht nicht viel, um die Entstehung dieser Beziehung zu erzählen, es genügen ihm die Blicke, die der Film aufmerksam schildert. Der Film hat sich seinen Figuren und ihren Gefühlen verschrieben. Das heißt, dass man sich einfach mit diesem empfindsamen Film treiben lässt, der seinem jungen männlichen Protagonisten folgt (der allein mit seiner Mutter lebt, die ihre Trennung immer noch nicht überwunden zu haben scheint). Der Film ist bodenständig, entwickelt seine Geschichte Schritt für Schritt, ist ein vorsichtiger und zurückhaltender Beobachter, der den Zuschauer auch durch die Subjektiven seines Protagonisten involviert. Der Film strahlt etwas beruhigend natürliches aus, was vielleicht auch an seinem Witz liegt, den er unter anderem gegenüber den Erwachsenen äußert, gewitzte Augenblicke findet bei deren Betrachtung. Denn die Erwachsenen in diesem Film (Eltern, Lehrer und andere Autoritäten, wie Polizisten) sind seltsame bis skurrile Gestalten, die einem manchmal aus der Sicht der Jugendlichen vorkommen wie von einem fremden Stern. Das sind Wesen, die etwas komisches an sich haben, auch wenn der Film auch anzudeuten weiß, was eigentlich mit diesen Figuren nun wirklich los ist (deutlich wird der Film eigentlich nur bei der Figur der Mutter des Protagonisten Alex). Damit liegt in diesem Werk auch eine Leichtigkeit, das ja irgendwie auch ein lässiger Film über das Erwachsenwerden ist, nichtsdestotrotz nimmt er seine Figuren und ihr Hadern ernst, weiß diese Situationen behutsam zu erzählen. Er zielt auf das Wesentliche und vermittelt es mit großer Klarheit. Es ist einfach ein Film, der so lebendig, so erfrischend erscheint, wohl auch deswegen, weil er sich nie zu stark in ein dramaturgisches Korsett zwängen lässt.


Denn natürlich ist diese Geschichte bekannt, besitzt musterhafte Momente, aber das ist eigentlich egal, denn, was zählt, ist wie dieser kleine Film solche Momente inszeniert und das ist schlichtweg wunderbar. Der Film beherrscht die Kunst der Blicke und weiß über sie alles zu erzählen, dafür nimmt er sich aber auch Zeit, das Unausgesprochene, das Unsichtbare, was zwischen den Figuren vorgeht, in ihnen vorgeht, in die dezenten Bilder zu transportieren, in denen er ihnen einfach Zeit und seine Aufmerksamkeit lässt. Und das lässt diesen Film auch aufblühen, dass er schlicht ein Vertrauen in seine jungen Darsteller pflegt und ihnen ganz das Spielfeld des Bildes anvertraut, das sie durch ihr Handeln, durch ihre Blicke, durch ihre natürliche Präsenz und Authenzität zum Leben erwecken. Denn der Film nährt sich von kleinen Gesten, von dem Warten und Abwarten, den Pausen zwischen den (reduzierten) Dialogen, von der Stille und den Aktionen, von all den kleinen Dingen, denen er mit Geduld begegnet. Da gibt es dann Momente, wie einen Zettel zu schreiben, in dem alles haargenau notiert ist, was man bei der ersten Begegnung mit der Angebeteten zu sagen hat, wie man sich vorstellen muss und was man versucht so gut wie möglich auswendig zu lernen, während man im Treppenhaus ihres Plattenbaus auf sie wartet, oder wie der erste Besuch des Mädchens im eigenen Zimmer, wo rasch vorher alles fein hergerichtet wird, das Jungenzimmer und all sein Dreck in den Ecken verschwinden muss sowie alles, was einem peinlich sein sollte, weil man keinen falschen Eindruck hinterlassen möchte, denn der Besuch des Mädchens ähnelt dann auch mehr einer Inspektion, wo nichts sicher versteckt ist, wo alles gesehen werden kann. Dieser Film zeigt einen natürlichen Lauf der Dinge bei seiner Erzählung, sein Universum wirkt in sich geschlossen, dem Film liegt nichts an dem Spektakulären. Es ist ein simpler Film, in ihm liegt aber eine (alltägliche) Magie. Dieser Film ist auf jeden Fall eine Entdeckung wert.


7.0 / 10

Autor: Hoffman 

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