Gleich mit
den ersten Sekunden von Lucrecia Martels Debut wird eine lauernde, erstarrte,
bedrückende, ambigue Atmosphäre heraufbeschworen. Zweideutig, weil: Die Welt
scheint nicht im Gleichgewicht; doch ist wirklich irgendetwas schief, oder sind
es bloss diese Blicke der Kamera, die bedrohlich wirken; Blicke, welche die
Welt erst aus dem Gleichgewicht heben. Es ist schwül, ein enormer Regen kurz
vor dem Ausbruch. Genauso verhält es sich mit dieser Gruppe an Personen, die
wir da sehen: Es braucht nicht viel, einen Tropfen nur, und alles könnte
explodieren, so fürchten wir, die potentielle Energie ist am Limit. Wir warten
aufgeregt und furchtsam auf ein Ereignis, das einen Konflikt, den wir spüren,
plötzlich, mit einem Knall, durchbrechen und uns aufatmen lässt. Eine Frau
lässt ein Glas fallen, fällt hin, die Scherben graben sich in ihre Brust ein:
ist das alles? Es scheint nicht so schlimm, wie befürchtet und ist das erste einer
Reihe von Ereignissen verstreut über den Film, alle „unheilvoll“ (oft sehen wir
Blut) aber dennoch klein, alltäglich. Eine Rauferei, ein kleiner Unfall, usf.
Die
Personengruppe: zu Beginn kennen wir sie nicht; keine Ein- und Vorführung
erleichtert uns den Einstieg, wir werden desorientiert (stattdessen, wird eben
die Atmosphäre aufgebaut) – und trotzdem kennen wir sie sofort, trotzdem
erscheinen sie uns so sehr aus Fleisch und Blut wie nur möglich, authentisch,
und irgendwie vertraut, auch dank der extrem naturalistischen Tonspur, dank den
Stimmen, oft aus dem Off, die sich herauskristallisieren.
Und trotz
dieser bedrückenden Atmosphäre ist „La Cienaga“ kein bedrückender Film. Wir
finden darin viele lebensbejahende, geradezu überschwängliche Elemente. Das
hängt vielleicht damit zusammen, dass der Film voll von Kindern, Jugendlichen, echter
Jugend oder beschworener Jugend ist (ein oft betrunkener Vater, dem der Film
und die andern Charaktere kein gutes Zeugnis ausstellen, färbt seine Haare);
oder es hängt zusammen mit den Tanzsequenzen. Tanzsequenzen im Film sind
meistens voll positiven Drang, voll Anmut, Lichtpunkte in einer oft düsteren
Umgebung, und gerade in diesem Umstand liegt ihre Tragik; deshalb sind sie
trotz der Wärme und Freude, die sie verströmen, gerade auch die traurigsten
Momente im Film; auf die Spitze gebracht wird das wohl mit der berühmten
Schlussszene aus „Beau Travail“. Die zweite Tanzsequenz hier, ekstatisch
gefilmt, schlägt über in eine Rauferei, in eines dieser unheilvollen Ereignisse,
und bringt damit diese ihnen innewohnende Ambiguität zum Ausdruck. Die erste
Tanzsequenz ist es aber, die den grössten Optimismus ausströmt, eine Insel an
melancholischer Freude, die viele Charaktere miteinander verbindet und die „Fallhöhe“
umso vergrössert.
Lebensbejahend
sind auch die Charaktere und die Art, wie diese gefilmt und aufgenommen werden.
. Die vielen Kinder – damit einher gehen Hoffnung, Liebe, Kraft, Tanz, Neugier,
Unschuld. Wir sehen aber durchaus auch grausame Charaktere, zwei argentinische
Mittel- bis Oberschichtsfamilien, bei denen sich eine rassistische Einstellung
gegenüber denn „Indios“, die als Haushälter beschäftigt werden, sich über alle
Generationen erstreckt. Dennoch: man hat Lust, die nächste Zeit mit diesen
Personen zu verbringen, die so rund, und damit eben lebensbejahend gezeichnet
werden, wie nur möglich. Die Kamera ist oft extrem nah, wir sehen Fragmente der
Körper, aber: wir sehen auch scheinbare Hintergründe, schillernd, schimmernd:
Wie aufmerksam werden Texturen wie Wände oder Naturfiguren von der Kamera
abgetastet! Die Fragmente erscheinen nicht mehr als Fragmente, sondern
verschmelzen mit ihrem Umfeld. Auch diese enge Beziehung zwischen Mensch und
Umfeld wird dadurch lebensbejahend, trotz der Bedrohung, die sowohl von der
Natur und von Tieren, als auch vom Mensch auszugehen scheint. In dieser
Hinsicht gleicht der Film zum Beispiel Bruce Baillies Tung oder vor allem Valentin
de las Sierras: gerade im Bruchstückhaften, im Auslöschen der Hierarchie von
Vorder- und Hintergrund, von Schärfe und Unschärfe liegt das Schöne.
Nur
erschöpft sich der Film etwas nach etwa der Hälfte oder zwei Drittel.
Vielleicht liegt es daran, dass wir dann beginnen zu erkennen, „wer wer“ ist,
wie sich die Familienmitglieder zueinander verhalten, dadurch geht etwas an
Ambiguität, am Unerklärlichem, das den Film prägt, verloren. Man könnte sich
wünschen, dass sich die psychischen Beziehungen zwischen den Figuren im Laufe
des Films mehr verschieben und immer wieder neue Anordnungen ergeben. Doch
vielleicht liegt auch gerade in dieser Statik eine Stärke des Films, die dieser
Welt den Charakter der Unentrinnbarkeit, des Fatalismus verpasst.
++
Autor: Cameron
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