Mittwoch, 20. Dezember 2017

Gefangener seiner selbst - Kritik: Nummer 6 (1967)



Nachdem dieses Jahr die renommierten Filmmagazine Sight and Sound und Cahiers du Cinema beide David Lynchs Miniserie (bzw. dritte Staffel) "Twin Peaks: The Return" in ihren Jahresbestenlisten enthielten, entbrennt abermals die Debatte, wann eine Serie einen Film verkörpern kann (und umgekehrt). Als Beispiele könnte man jetzt gar die Staffeln der Anthologie-Serie "True Detective" anführen, die jeweils achtstündige Filme darstellen könnten (sofern sich die tollen, aber ausschweifenden Openings und Endings entfernen lassen). Weitere Beispiele wären etwa Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" oder wahrscheinlich jede Miniserie, die sich einigermaßen um Kontinuität bemüht. Wahrscheinlich ist es damit noch längst nicht getan, um eine zufriedenstellenden Übergang zu erreichen, aber verzichten wir mal auf den Purismus von Mediumsgrenzen. In diesem Sinne soll die Gunst der Stunde genutzt werden, damit die britische Serie "The Prisoner" (deutscher Titel: Nummer 6) ihre verdiente Anerkennung findet (während sie heutzutage eher selten auch nur erwähnt wird). In der von ITV produzierten und nicht nur seinerzeit revolutionären Kurzserie wird ein Agent des britischen Geheimdienstes nach seiner im Intro spektakulär festgehaltenen Kündigung kurzerhand betäubt und wacht auf einer mysteriösen Insel auf. Hier haben die Bewohner statt ihrer Namen einfach Nummern zur Identifizierung (Na, woran erinnert das?). So nennt sich der namenlose Agent nun Nummer 6 und muss sich den Instruktionen von Nummer 2 beugen. Dieser möchte den Grund für die urplötzliche Dientsverweigerung erfahren, wohingegen Nummer 6 in Erfahrung bringen möchte, wer Nummer 1 und somit möglich der Anführer hinter der unergründlichen Inselstadt ist. Und das ist nur die Prämisse für eine der prägendsten, wagemutigsten Serien vor dem Zeitalter des "Peak-TV".



Dieses Fragespiel zieht sich fast durch sämtliche 17 Episoden, die dennoch unglaublich abwechslungsreich daherkommen. So werden Fragen der Identität, des Individuums, der Freiheit, der Demokratie und viele weitere gestreift. Sogar Science-Fiction-Stoffe finden Einzug, wenn beispielsweise in den Träumen von Nummer 6 mittels einer Maschinerie nach der Antwort für sein Handeln gesucht wird. Selbst die schwächsten Folgen sind zumindest durch etwa ihr Westernszenario oder Agentenfilmszenario jederzeit von den anderen zu unterscheiden. Genrestoffe werden hier varriert und durchgeschüttelt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Patrick McGoohan, Hauptdarsteller und Ingenium hinter der Serie, macht es den Rezipienten nie einfach. Auf austauschbare Liasions mit Frauen á la Bond lässt er seinen gefallenen Agenten komplett verzichten. Stattdessen ist er zugleich Spielball und Gegenspieler undurchschaubarer Kräfte. Trauen kann er sowieso niemandem: Die anderen Bewohner der Insel, obgleich ebenso in Gefangenschaft, kollaborieren oftmals mit der Führungsebene und vereiteln seine Fluchtversuche. Zwar wird gegen Ende einer Episode stets der Status Quo wieder hergestellt (meist auf sehr perfide Weise), doch der Weg dahin ist immer ein anderer. Dies trifft auch auf Nummer 2 zu, der in jeder Episode von einem anderen Schauspieler dargestellt wird. Der Ton der Serie ist surreal (allein schon durch die Pop-Art-Deko) und dadaistisch. Besonders sogenannte Rover (weiße, rießige Heliumbälle) sind in ihrer Simplizität schwer bedrohlich und einfach ein Geniestreich. Der Einfluss auf spätere Streiflicher der Mytseryserien wie "Twin Peaks" oder "Lost" ist schlichtweg nicht zu leugnen. Der damals unübliche Schritt, der Serie ein definitves Ende zu verpassen, wird durch die offen bleibenen Fragen negiert. Stattdessen ist das Finale ein deliranter Totentanz der Extraklasse, mit "All You Need Is Love" und "Dry Bones" unterlegt, und ein radikal verstörender Schlusspunkt, der die Red Lodge aus "Twin Peaks" beinahe als gemütlichen Ort darstehen lässt. Tatsächlich lauerten wissenshungrige Fans McGoohan anschließend auf und verlangten (zu einfache) Antworten, die ihnen konsequent vorenthalten wurden, sodass dieser mit seiner Familie in die USA zog. Aber dieses philosophische Manifest in Serienform bleibt für die Nachwelt und ist immer eine Entdeckung wert. Wer braucht schon Chauvi-007, wenn es McGoohan als um seine Würde kämpfendes Individuum gibt?

                                                                        8/10

Autor: DeDavid

2 Kommentare:

  1. Man freut sich immer, wenn man im Internet Artikeln über die Serie NUMMER 6 begegnet, die das Interesse wachhalten oder aber herzustellen versuchen. So auch Euer Blogbeitrag "Gefangener seiner selbst".

    Dennoch komme ich nicht darum herum, den unnötig hochtrabenden Sprachstil ("Hauptdarsteller und Ingenium der Serie") zu bekritteln, der gern kaschieren will, dass es, der lobenden Würdigung der Serie zum Trotz, doch leider auch an Sachwissen mangelt. Wie hier: "Selbst die schwächsten Folgen sind zumindest durch etwa ihr Westernszenario oder Agentenfilmszenario jederzeit von den anderen zu unterscheiden." - Wer von wem oder was? Dann, es sind 17, nicht 19 Episoden. Dass Nummer 6 auf eine "Insel" entführt wird, ist zwar oft zu lesen, ist aber durch nichts zu belegen, denn die Produktion belässt dies und einiges andere bewusst im Unklaren. Dann heißt es da: "Sogar Science-Fiction-Stoffe finden Einzug, wenn beispielsweise in den Träumen von Nummer 2 mittels einer Maschinerie nach der Antwort für sein Handeln gesucht wird." Nein, nein. Es sind natürlich die Träume von Nummer 6, die hier manipuliert werden. Wahrscheinlich ein Tippfehler...

    Aber na ja, was zählt, ist der Wille. Wo gibt es das sonst schon, dass man 50 Jahre nach ihrer Produktion immer noch und erneut die Themen und Motive einer Fernsehserie diskutiert. Und heute nötiger als jemals. "Tatsächlich lauerten wissenshungrige Fans McGoohan anschließend auf und verlangten (zu einfache) Antworten, die ihnen konsequent vorenthalten wurden." So ist es. Geht doch. Danke!

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    1. Danke für Ihre Antwort. Die erwähnten Tippfehler (aus Zeitmangel meinerseits vermutlich) werde ich mal eben berichtigen. Wenn Ihnen der Sprachstil missfällt, ist das schade, mir aber auch zugegebenermaßen egal. Schön allerdings, dass es im deutschsprachigen Online-Bereich aktive Fans der wirlich großartigen Serie gibt. :)

      Mit freundlichen Grüßen

      DeDavid

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