Donnerstag, 7. März 2013

Godard Retroperspektive #1 - Klassiker der Extraklasse: Außer Atem (1960)




»C'est vraiment dégueulasse.« - »Vous êtes vraiment une dégueulasse.« - Nun zeigt Jean-Luc Godard hiermit exemplarisch wie man Konventionen am originellsten bricht, wo Truffaut noch etwas zurückhaltend Regie führte und die Konventionen sanft zerbröckeln ließ, geht Godard in die Vollen und nimmt den vehementen und gnadenlos ausgeführten Kampf gegen diese Widerlinge auf! Denn sie müssen zertrümmert, zertreten und zerstört werden! Vive la Novelle Vague, heißt es (da ich französisch kaum beherrsche)! Francois durfte dafür immerhin das Drehbuch schreiben. Eine wirkliche Erzählung hat Godard nicht, wenn überhaupt ist diese grob umrissen, wenn wir es konventionell betrachten und doch funktioniert Godards »À bout de souffle« irgendwie, bloß eben anders als man es gewohnt ist. Godard erzählt auf anderen Wegen. Raoul Coutard ästhetisiert das Szenario mit der Natürlichkeit einer Handkamera (selbstredend auch ohne diese künstliche Beleuchtung!) und mit der Kulisse an Originalschauplätzen und doch ist Godards Films dabei doch überhaupt nicht authentisch. Oder?




Nun ja, zumindest irgendwo zwischen den Grauzonen. Das ist doch ein seltsames Stück Kino, das Godard da serviert. Aber auch so wunderbar, die Spontanität von den Dialogen knüpft an die flotten Jump-Cuts und an deren fragmentarische Art an. Seine Stilmittel und Techniken lotet Godard dabei aus, überreizt sie vielleicht sogar. Aber naja das ist wohl durchschlagende Revolution des Kinos, da wird nicht angeklopft, da wird eingeschlagen. So treibt Godard seine Späßchen. Auch seine Figuren geben sich dazu (wie passend) eigenwillig, irgendwo angesiedelt zwischen Film und Realität. Godard macht den gelassenen Belmondo zum dauerqualmenden Gauner und Möchtegerngangster Michel Poiccard - mit großen Idol Humphrey Bogart. Die Reflexion dabei ist eigentlich kurios. Michel vergöttert Bogart wie Godard wahrscheinlich den Film noir verehrte. Fast wirkt es so als würde sich Godard in diesem Charakter selbst reflektieren, also wie bei Truffaut Antoine, Michel als Godards Alter Ego.

Es ist aber interessant wie Godard hierbei dem Film noir würdigt, zwar mag er durchaus als Hommage dienlich sein, alles in allem erinnert er jedoch (auch wenn sich diese beiden Begriffe nicht ausschließen; möchte ist das an dieser Stelle betonen) mehr an einen Abgesang auf die »schwarze Serie«. Hierzu ein Vergleich: Ich weiß, dass ich das nicht machen sollte aber bisher drohte man mir noch nicht mit einer Haftstrafe deswegen, zum Western »Lonely are the Brave« (1962) von David Miller, den ich neulich begutachtete: Bei beiden wird im Grunde in zwei verschieden Genres dasselbe Prinzip verwendet. Der Western wie auch der Film noir finden in diesem Filmen als Beispiele ihren Schlussakkord. Bei Miller wird der Idealismus des Cowboys durch den Fortschritt zerstört, bei Godard bleibt sein Protagonist einzig ein Abbild der großen Legenden, das anders als diese scheitern wird an seiner Verklärung der Vergangenheit. Denn der Wind weht nun von anderer Seite. Nun regiert der Existenzialismus. Godard krempelt das Kino um.



Übrigens auch mit an Bord als technischer Berater, neben Truffaut, der werte Claude Chabrol und Godard? Der legt auch noch einen pfiffigen Gastauftritt hin und garniert daneben sein Werk noch mit äußerst feinen, kleinen Anspielungen und Details: In einer Szene verteilt ein junges Mädchen Zeitungen, kommt Michel entgegen (» Sie haben doch nichts gegen die Jugend?«), hält die Zeitung vor ihn, er meint: »Die Alten sind mir lieber.« - die Zeitung ist die Cahiers, jene Filmzeitungen für die Godard, Truffaut, Rivette (kurzum: die Nouvelle Vague-Regisseure) als Kritiker schrieben, bevor sie Filmregisseure wurden. Beziehen wir diese Fakt nun auf jene Szene, ist diese zutiefst ironisch zu werten. Anderswo darf natürlich auch der große Melville nicht fehlen, er definiert! Melville erklärt Godards Prinzip auf existenzieller Ebene. Selbst gibt er den Schriftsteller im Interview, schon wieder so ein Detail! Melville, der eigentlich Grumbach hieß, benannte sich in seiner Zeit als Résistancekämpfer in Melville um, nach dem Schriftsteller Hermann Melville. Aha! Godard sinniert dabei über Liebe und den Existenzialismus selbst, nutzt dazu stetige Ortswechsel in Paris (= der Stadt der Liebe) um in Schwung zu bleiben und der sprunghaften Erzählung und der inszenatorischen Energie treu zu bleiben, auch wenn dies sekundär ist. Denn es ist im Grunde nicht die Aussage, dass er diese Ermittlung des Seins vertieft oder nicht, sondern viel eher, dass er damit doch passend und durchaus charmant das französische Zeitgefühl einfängt. Letzteres gelingt Godard doch meiner Meinung nach vorzüglich, gerade in Anbetracht der Kombination von ironisch angesetzten Film noir-Anleihen und seinem widerspenstigen Stil, mit dem Godard hier schon die Abgrenzung zwischen Realität und Fiktion im Kino austestet und in Frage stellt. Godards Erstling ist einfach zu begreifen: Der Film noir ist tot! Also: Es lebe der Film noir! Danke, Jean-Luc für ein so schönes Debüt.



8.0 / 10



Autor: Hoffman

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