Freitag, 13. Juni 2014

Gottlose Stadt - Kritik: City of God (2002)

Angesichts der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft, die ja zu scharfen Debatten rund um die Ausbeutung der brasilianischen Bevölkerung und Boykottaufrufen führt, ist es vielleicht keine schlechte Gelegenheit, sich Fernando Meirelles »City of God« zu Gemüte zu führen. Dieser rangiert seit Jahren auf Spitzenplätzen von etlichen Filmdatenbanken und wird bei Fragen nach einschlägigen brasilianischen Filmen stets als einer  der Ersten genannt. Doch was macht dieses Phänomen, im Originaltitel »Cidade de Deus«, also tatsächlich Stadt Gottes aus?


Ebenjenes prekäre Stadtviertel Rio im Roman Paulo Lins ist dort der Ausgangpunkt für eine Erzählung aus unzähligen Perspektiven, die von der allgegenwärtigen Gewalt und den kriminellen Aktivitäten der verarmten Einwohner berichten. Für die Filmadaption konzentrierte Meirelles diesen gewaltigen (und gewalttätigen) Stoff. Erzählstimme ist hier der rechtschaffene Buscapé, der davon täumt, eines Tages als Fotograph arbeiten zu dürfen. Als die so ziemlich einzige integre Figur begleitet und kommentiert Buscapés Stimme die Enstehung zweier rivalisierender Drogenbanden und steht dabei zwar mitten in den Geschehnissen, greift jedoch selten aktiv selbst ein (nur, um freiwillig Fotos zu schießen) beziehungsweise erhält ohnehin der sadistische Drogendealer Locke ungleich größere Aufmerksamkeit. Von klein auf entwickelt der eine Tötungslust und reißt ab seiner Volljährigkeit die Kontrolle über das Viertel an sich. Skrupel hat er keine. Buscapé ist auf der anderen Seite zurückhaltend, jungfräulich und fordert keine Rache für den Tod seines Bruders. Seine Versuche, eine kriminelle Laufbahn zu beginnen, scheitern gnadenlos durch sein Einfühlungsvermögen. Wie sich »City of God« gegenüber Buscapé positioniert ist fragwürdig. Er fungiert als Orientierungspunkt, aber lebendig ist er nicht. Ich fühle mich an den mexikanischen »Miss Bala« von 2011 erinnert, wo die Titelfigur - eine regionale Schönheitskönigin - wie gelähmt in den Drogenkrieg gerät. Eindrücklich ist bei beiden Filmen insbesondere die Inszenierungsart.


Schon der Beginn von »City of God« ist ungemein kinetisch.Eine flinke Montage kündigt von Sambamusik, wetzenden Messern und einem Huhn, welches bewaffneten Kindern durch die Gassen gejagt wird. Kurz darauf trifft Buscapé auf dieses Huhn und steht plötzlich mitten zwischen der Polizei und der Straßengang, die Schusswaffen sind gezückt. Ehe an der Stelle wieder angesetzt wird, folgen zunächst einschneidende Erlebnisse aus Buscapés Kindheit. Manche ausgelassene Details werden später nachgeliefert. Vielfach wird bei der unchronologischen Narration auf Tarantino verwiesen. Sein Einfluss macht demnach nicht einmal vor südamerikanischen Milieustudien halt. Doch doch, formal ist das alles schon sehr stylish: Eine fiebrige Wackelkamera, Zwischentitel, Splitscreens, eben alles sehr mitreißend. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese atemlose Weise überhaupt angebracht ist. Zu kurz kommt ein nachhaltiger Bericht des Elends, zu gefällig sind die gefälligen Actionpieces. Selbst die der Authentizität wegen ausgewählten Laiendarsteller, wie sie bereits Pasolini benutze (jedoch nicht für einen Unterhaltungsfilm) helfen da nicht mehr. Nachhaltigkeit adé. Das ist mir dann doch zu zwiespältig.

                                                                     5 / 10 
Autor: DeDavid

1 Kommentar:

  1. Als Film zur Fußball-WM empfehle ich "Tropa De Elite" ;)

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