Mittwoch, 11. Juni 2014

Klassiker der Extraklasse: Von Angesicht zu Angesicht (1976)




Die Grundprämisse von Bergmans »Von Angesicht zu Angesicht« (1976) erinnert zwangsweise doch an sein wesentlich früher gedrehtes Werk »Wilde Erdbeeren« aus dem Jahre 1957, bloß, dass Bergman die jeweiligen Motive hier variiert. So wirkt dieser Bergman auch des öfteren wie eine kurze Bilanz von so manch bedeutenden Bergmanmotiv, auch wenn manche Verweise nur minimal vorzufinden sind oder von mir kurzum dort wahllos reininterpretiert werden. Vermerken sollte man als erstes, dass dieser Bergman (wie auch später »Fanny & Alexander«) als Fernsehmehrteiler produziert wurde und später für das Kino zu recht geschnitten wurde (der Unterschied: geschätzte 40 Minuten), dies macht sich damit gewiss auch beim Film selbst bemerkbar. Auf technischer Ebene ist er etwas spröde mit seinem Farbkonturen. Alles wirkt etwas geregelter und konventioneller. Aber das ist nicht minder faszinierend, denn trotz allem entwickelt gerade das eine gewisse Intimität, welche die große  Stärke des Films ist, die Bergman für sich natürlich nutzt, um sich seinen Charakteren, wie auch dem Familienleben und der Situation, behutsam zu näheren und das Konzept gemächlich zu entwickeln.



Über die Laufzeit verziert mit (mal mehr, mal weniger deutlichen) Symbolen. Nun wo Bergman bei »Wilde Erdbeeren« ein Psychogramm eines alternden Mannes zeichnet, ist es hier jenes einer Frau, die sich mit ihren Erinnerungen der Kindheit konfrontiert sieht, durch einem Besuch bei ihren Großeltern, bei denen sie aufwuchs. Das Verfahren wirkt fast ironisiert: Die Protagonistin Jenny selbst ist eine Psychiaterin, die nun selbst unter Angstzuständen leidet. Sie ist nun einer dieser Menschen, die sie selbst therapiert. Das ist wohl Bergmans Richtigstellung, dass solche Lebenskrisen jeden Menschen treffen können, egal ob man in der Materie bewandert oder nicht. Im Großelternhaus sieht sie wie ihr Großvater an seiner Demenz leidet, droht immer mehr zu vergessen. Ein bedrückendes Gefühl. Sie sieht aber auch den Zusammenhalt der alten Eheleute untereinander, der sie beide stärkt, auch wenn die Last auf der sorgsamen Ehefrau liegt. Immer mehr gerät die scheinbar gefestigte Jenny in Selbstzweifel, wird von Alpträumen heimgesucht. Das symbolische Ticken einer Uhr bedeutet hier so viel, dass die Uhr abläuft. Das Ende ist nah und man ist allein. Dann der Vergewaltigungsversuch zweier Männer und alle Dämme brechen. Sie verfällt den Angstzustände, kämpft mit Anfällen, Ausbrüchen und Verzweiflungsattacken - die Trauer und die Depressionen führen zur Ausweglosigkeit. Das mündet im Selbstmordversuch.

Und schon analysiert Bergman seine Protagonistin, greift bekannte Motive seines Schaffens auf: Die Visionen aus »die Stunde des Wolfs«, die omnipräsenten Symbole und die signalisierende Farbe Rot. Für das unschuldige Rotkäppchen? Alpträume mit fremden Gesichtern, furchtsamen Märchen und keimiger Luft. Fein ist er, dieser Surrealismus. Hier ist es nicht die Farbdramaturgie, hier ist es die Hantierung mit Licht und Schatten, der Furcht vor Finsternis und Dunkelheit - und vor dunklen Schränken! Alte Gefühle der Kindheit brechen auf, innerliche Konflikte werden geschildert im Alptraum. Das Ticken findet seine Fortführung im Klingeln (eines Weckers?), denn die Zeit ist gekommen. Es läuten die Glocken wie an einem Sonntag. Es thematisiert die Angst vorm Altern, der Einsamkeit und dem Tod. Wobei auch bei letzterem Motiv Bergman sich um ein weiteres Mal selbst zitiert, mit der Vision des eigenen Todes, die er bereits in  »Wilde Erdbeeren« nutzte, welche wiederum ein direktes Zitat zu Dreyers »Vampyr« bildete. Der Schrecken lauert schließlich im Unbekannten. Angerissen wird auch kurz die Frage der eigenen Identität.



Sichtlich ist die breite Masse an Themen auch mit Schwächen besetzt, aber gerade in Anbetracht der drastischen Kürzen durchaus plausibel. Doch einen großen Trumpf hat Bergman ja noch: Liv Ullmann  in der Hauptrolle. Denn gerade durch das Spiel Ullmanns entwickelt Bergmans Werk langsam (aber stetig) seine Intensität. Sie trägt den Film. Wenn Bergman die Seelenqual seiner Protagonistin beleuchtet, die am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, dann weiß er wie er das macht, schildert einnehmend und gibt seiner Protagonistin eine helfende Hand und einen Begleiter auf dieser Reise (in Form des platonischen Psychiaterkollegen: Erland Josephson), der ihr hilft sich ihren verstörenden Erlebnissen ihrer Kindheit zu stellen, über sie zu sprechen und zu verarbeiten, bis zur Erkenntnis und Festigung der eigenen Kräfte. Es stimmt: »Von Angesicht zu Angesicht« ist sicherlich nicht Bergmans bester Film. Ja, er hat seine gewissen Schwächen - hier und da, das ist nicht zu leugnen. Etwas vage ist er geworden. Dennoch kann ich meine Faszination auch für dieses Werk nicht leugnen, besonders unter dem Betrachtungswinkel, dass es sich hierbei um eine Fernsehproduktion handelt, empfinde ich diesen Bergman doch als durchaus gelungen.



7.0 / 10

Autor: Hoffman

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