Freitag, 20. Juli 2012

Die nüchterne Lebensspirale eines Gefallenen - Kritik: Half Nelson




»Es ist nicht eine Sache allein, die einen Menschen ausmacht.« - Schon wieder dieser Gosling. Schon wieder diese Satzphrase und diesselbe Überlegung dahinter. Neuerdings machen wir das hier ja retroperspektiv und wenn man irgendwann lange genug gräbt findet man nicht die Anfänge, sondern landet irgendwo im Mittelteil. Machen wir´s Independent und geraten an »Half Nelson« aus dem Jahre 2006. Folgende Worte werden keinesfalls neue Einsichten gewähren, doch dient dies als Archivierung eines Zeitdokuments.

Denn erstmals - nach dem Einsetzten der Gegenwehr - wirkte Ryan Gosling auf mich nicht wie ein metrosexuell verwirrter Macho, wie er es oftmals tut, das heißt er überzeugt. Die Story, die Regisseur Ryan Fleck präsentiert ist bekannt - altbekannt, wenn wir das Prinzip von Lehrer hilft Schülern in Anbetracht ziehen - auch vertraut jener Umkehrschluss, der engagierte Lehrer mit unkonventionellen Methoden wart ein dunkles Geheimnis. Oft interpretiert und auch »Half Nelson« macht hierbei keine Ausnahme. Dem Glück sei es trotzdem gedankt, dass dieses Geheimnis nicht als urplötzlich eintretender Twist verbraten wird, sondern von Beginn an bekannt ist.

Denn der junge Lehrer Dan Dunne mag ein ein Idealist auf Abwegen sein. Hinter der Fassade bröckelt es und das eigene Problem: Die Drogensucht. Mit Pathos gesagt: Ein gefallener Engel. Dunne verschlissen und heruntergekommen - und Gosling überzeugt überraschend gut in der Rolle. Theorie: Der Bart machts. Alternative: Er hat ja auch eine Sonnenbrille. Neben Gosling auch Shareeka Epps reif spielend als Schülerin, die das Geheimnis ihres Lehrers entdeckt. Prototypisch: Der Anfang einer Freundschaft. Wenn ich so darüber nach gefällt mir das eigentlich in seiner bekannten Aufmachung.

Wie Gosling zurückhaltend agiert so fügt sich dem auch Regisseur Fleck und dokumentiert dies gleichauf mit naturalistischer Kamera. Unter dem Synonym bekannt: Wackelkamera - ja, naturalistisch und in Bewegung teils doch penetrant wackelnd - das quält die Seele eines Perfektionisten wie mich - die Unschärfe als Stilmittel für Authentizität, plausibel. Die Kamera sucht die Nähe zu ihren Protagonisten und entfernt sich doch so auch vom Zuschauer, wobei ihn das anfangs für mich doch schwer zugänglich machte in Hinsicht des Innenlebens seiner Charaktere, aber mit der Zeit gewöhnt man sich dran.

Der Titel als Symbolik, wenngleich ich dachte dieser symbolisiere den Charakter des Dunne als halben Nelson Mandela, meint dieser einen spezialisierten Ringergriff. Große Kunst. Dies als Metaphern für Dans Beziehung zur Droge. Gefangen von ihr. Ein desillusionierter Charakter, sich bewusst der Tatsache, dass es für ihn keinen Ausweg mehr gibt, keine Erlösung aus dem Teufelskreis und so möchte er seine Schüler selbst vor diesem Schicksal bewahren. Wie eben die junge Drey mit der er Freundschaft schließt.

Dabei erzählt Fleck nicht mal allzu viel, es erinnert an die Spuren eines Lebens oder eben jene Szenen. Ein Ausschnitt. Ein entscheidender Scheideweg? Positiv hervorzuheben ist dabei das es Fleck einerseits unterlässt zu moralisieren wie auch nicht darauf verzichtet im besonderen der Hauptfigur des Dunne seine Ecken und Kanten zu lassen, somit nicht weiter auf die Gründe oder Hintergründe dieser Sucht einzugehen. Und lässt Fragen unbeantwortet. Immerhin auch das hat seinen Reiz.




Wie gesagt: Eine Szene des Lebens. Flecks Charakterstudie könnte dabei auch als Coming-of-Age-Film beschrieben werden - dies will ich aber jedem Film, unterjubeln, der sich solcher Problematik des Erwachenswerdens widmet. Tendenzen sind zumindest nicht zu leugnen. - Hierbei ist es die Schülerin Drey, die Unterstützung von ihrem engagieren Lehrer erhält, während sie im Umkehrschluss ihn doch stützt und beide verbindet die Suche nach ihrem Platz in der Welt und der Gesellschaft, auch Fleck selbst lässt seinen Charakteren wie auch Akteuren genug Raum zur Entwicklung, wenn auch er damit nur an mancher Oberfläche kratzt. Störend fällt dies aber nicht auf. Sehr ruhig und sensibel beleuchtet er die Freundschaft der Beiden zwischen Vertrauen, Verantwortung und Veränderung.

Fleck erklärt: Die Veränderung als Spirale, nicht als Kugel. Interessant nebenher der Schauplatz Brooklyns hierbei verzichtet man sogar auf eine klischeehafte Darstellung des Viertels, sondern zeichnet es glaubwürdig wie auch stets nüchtern. Das vermag stimmig zu sein und fast als hoffnungsvolle Hommage oder Anerkennung an Brooklyn zu betrachten. Also doch Milieu. Sonst ist es das bekannte Spiel: Fleck stellt seine Charaktere vor Konflikte und Neuerungen. - jedoch fasziniert aufs neue. Vielleicht auch wegen seiner authentischen Darsteller. Zumindest bleibt es auch hier offen, ob die Veränderung das Scheitern verhindern kann.

Heute: 21:45 auf Einsfestival

6.0 / 10

Autor: Hoffman

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen