Mittwoch, 18. Juli 2012

Wir mussten uns trennen und zu Feinden werden - Große Kinomomente: "The Thin Red Line"

O: The Thin Red Line, USA 1998 R: Terrence Malick mit James Caviezel, Sean Penn, Ben Chaplin, Adrien Brody, John Cusack, Nick Nolte, Jared Leto, Woody Harrelson, John C. Reilly und George Clooney

Nicht bestimmbare Stille überzieht das Äon von allem hier Befindlichen; kein verderblicher Schleier des aus dem Ozean kraftschöpfenden Windes könnte die herrschende Einigkeit zwischen Mensch und Natur jenes Augenblickes – widerwillig - zerstören, bei welchem The Thin Red Line sich zu erzählen beginnt. Kein Schuss. Kein Schrei. Kein Anschein tödlicher Gier. Ein Nichts aus Frieden, Ruhe und aus all dem, was uns weder möglich scheint noch machbar schien. Private Witt (James Caviezel) erwacht in einem natürlichen Traum, natürlicher als der, weshalb er sich diesen Traum überhaupt aufbaut; er sehnt sich nach einem Bild, welches kaum ein jemand der Menschen versteht, die ihn in Nähe und auf diese Insel brachten – auf Guadalcanal. 

Abscheu und Leid umklammern sich zu einem durchbrechenden Sturm und die Realität vermag dem Empfinden des Einzelnen zu weichen. Und wie kann man es Witt unter diesem Wissen verübeln, zu glauben, natürliche Schönheit sei ein Schimmer seiner Fantasie: 
I seen another world. Sometimes I think it was just my imagination.”
Wäre es nicht 1942, und wäre das nicht ein Einsatz, zu welchem er aufgrund des zweiten Weltkriegs beordert wurde, würde er wohl nicht denken und auch nicht erahnen, dass Krieg vor keinem freien und noch so schönem Strand noch so schönem Baum und noch so animalischem Geschöpf sich selbst aus den Augen verliert.   


Krieg scheint nicht Krieg zu sein, in Anbetracht des als erst hier vollbrachten, erweckt dieser gar den Eindruck der Notwendigkeit, um in Nachhinein verstehen zu können, warum dieses märchenhafte, in sich poetisierendes Ruhebild erster Minuten, und dessen Innenleben, es wert ist, bewahrt und begehrt zu bleiben; und warum der Marsch knallenden und vorgeschriebenen Hasses nichts als Verachtung zu erfahren hat.  Der junge Soldat hat mit diesem Trip schon mehr Erfahrung gesammelt als jene, welche über ihn zu bestimmen versuchen – irrtümliche Vorgesetzte. 
Verständnis seitens derer bleibt aus. Und schon das erste im Film vernehmbare Gespräch zwischen Witt und seinem First Sergeant Edward Welsh (Sean Penn) offenbaren Zerstrittenheit und Uneinigkeit in eigenen Reihen, zeugen aber auch vom Aufklärungswillen eines jungen Menschen, welcher die seine Unmündigkeit nicht unter den Geiste seines Verstandes setzt. „Ich bin dreimal so viel Mann wie Sie“, entgegnet Witt seinem Vorgesetzten nachdem dieser ihn seines kindischen, unreifen und unmännlichen Verhaltens anklagt. Und dennoch hat der in der Armee-Rangfolge viel unerfahrene Frischling ein größeres Verständnis für das um ihn Befindliche als der gelenkte Entsandte; er weiß Wertschätzung wahrzunehmen und sich dieser nicht entziehen zu lassen. Er lässt sich durch keinen Befehl seinen Verstand entreißen.  

Immanuel Kant schrieb einmal: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt.“
Und genau solch eine Person der Aufklärung ist Private Witt; zumindest versucht er den Ursprung des Jetzt und des Warums zu entziffern. Der Grund, weshalb er meist als Erzähler fungiert. Witt weiß mehr zu hinterfragen, mehr zu kombinieren als jeder in seiner Kompanie; steht aber nicht über der Natur oder den in sich geschlossenen Lebenszyklus.


The Thin Red Line ist kein Kriegsfilm und will sich nicht einzig und allein durch den „Anti“-Gedanken in seinem Dasein rechtfertigen; denn seine Komplexität und das Volumen, das er mit sich trägt, übertreffen beinahe alle Darbietungen und Leistungen mindestens ebenso bekannter Genre-Kollegen – wenn es die überhaupt gibt. Terrence Malicks Filme beschreiben sich in unglaublicher Vielseitigkeit und Der schmale Grat macht trotz seiner übermäßiger Zugänglichkeit – in Bezug auf andere Werke des Regisseurs – hierbei keine Ausnahme.
Interessant ist, dass die Brutalität und die Angst des umherschwirrenden Kriegs nie durch hemmungslose Abbildungen die Entladung der – gedanklichen und äußeren – Gewalt erfährt, sondern durch Monologe des Berichterstatters und Hinterfragenden Private Witt und den zum Teil intimen Gesprächen der Soldaten untereinander; welche durch intensivierte Kameraeinstellungen und herausragende schauspielerische Kraftakte keine gefühlsmäßige Verfassung nur erahnen, sondern erleben und sehen lassen.  
Die Definition des Kriegs wird hier im Wesentlichen durch Gespräche, Gefühlszustände und Annahmen versucht zu ergründen, ohne jemals in eine belehrende, moralisierende und trockene Instanz abzudriften, die die Zuschauer in eine eher isolierende und unzugängliche Basis manövrieren würde. Das Publikum sieht sich in – nicht außerhalb – der Welt und fragt sich, wie sehr sie es wert ist, sich in ihr zu streiten, zu schlagen und schlussendlich zu ermorden. 

"In dieser Welt ist ein Mann allein gar nichts. Und es gibt keine andere Welt als diese."

Dabei verkrampft sich The Thin Red Line nicht nur auf das bloße Wesen und die damit einhergehende Emotionalität des Menschen, sondern gewährt aller Vielfalt des Lebens eine Stimme – und der sind wir nicht möglich zu entfliehen. Satte Meere aus Gräsern und dichtem Holz, weite, sich über den Horizont und durchs Abendrot ziehende Felder und malerische Hügel bevölkern ebenso wie tierische Geschöpfe das Terrain und schaffen es durch die Sprach- wie Stilsicherheit seitens Malicks mehr als einfaches – vielleicht gar unbedeutendes – Daseinsgut zu sein, sind stattdessen mitwirkende Hauptdarsteller eines Films, der kaum eine Betrachtungs- und Gefühlsebene nicht für sich sehen, sprechen und empfinden lässt. 
Wir fixieren Krieg instinktiv durch menschliche Affekte; wir machen ihn und seine Folgen an der unsrigen Existenz fest.  Die Verfassung derer, die nie am Zünder saßen und noch weniger verstanden als viele Menschen ohnehin, die ist es, welche oftmals keine Worte erbt.  Dem setzen Malick und Kameramann John Toll ein Ende, indem sie unheimlich dynamische Aufnahmen von entsetzlich entstellten und leidenden Kriegsopfern einfangen – Bilder von Menschen, von Tieren und von der Natur. Es sind nicht nur Soldaten, die sich vor Schmerzen auf den Boden winden oder verzweifelt Aufschreien, um ihre Angst dem Körper zu entreißen; zugunsten des Ganzen überschwemmt der Tod auch das Leben farbenfroher Vögel oder das satte Grün der Felder. Allerdings in einem vollkommen anderen Unterton und Bild, welches viel hilfloser von sich spricht.

"Der eine Mensch sieht einen sterbenden Vogel und denkt, dass es nichts auf der Welt gibt als grundlosen Schmerz. Aber der Tod hat immer das letzte Wort. Er lacht ihn aus. Ein anderer Mensch blickt auf denselben Vogel. Er sieht Herrlichkeit. Er fühlt, wie etwas durch ihn hindurch lächelt."

 
Und wenn sich The Thin Red Line seinem erzählerischen wie auch musikalischen Höhepunkt nähert, wird das durch Krieg verursachte Grauen und der Impuls des Films nochmals intensiviert, nochmals verstärkt und vor allem noch fühlbarer. Der Sturm auf einen japanischen Unterschlupf wird zur Passion des Menschseins. Diese Wut sind wir. Dieser Hass treibt uns an. Und wir sollten uns fragen: Warum? 
“This great evil. Where does it come from? How'd it steal into the world? What seed, what root did it grow from? Who's doin' this? Who's killin' us? Robbing us of life and light. Mockin' us with the sight of what we might've known. Does our ruin benefit the earth? Does it help the grass to grow, the sun to shine? Is this darkness in you, too? Have you passed through this night?” 
Letztendlich kann Witt auch nicht mehr als sich selbst dem Rätsel der in uns befindlichen  gewaltsamen Triebsucht hinzugeben. Eine Antwort gibt er nicht. Aber genug, um zu wissen, dass die Antwort existiert und von allem Leben abhängig ist. Und je höher entwickelt es ist, umso reifer es denken kann, umso fehlbarer wird es in seinem Glauben das Richtige gedacht zu haben. Feindbilder werden konstruiert,  Menschen gegeneinander aufgehetzt und schließlich beschwört jeder für sich, dass das Geschehene unabdinglich gewesen sei – nur der Blickwinkel ist ein anderer. Manipuliert sind wir aber alle.

"Das Schlimmste ist, nicht zu wissen, ob man etwas Gutes bewirkt. Das ist das Schlimmste."

Es ist keine Schande, dass The Thin Red Line keinen der sieben Oscars – für welche er 1999 aufgestellt wurde – gewann, aber es ist eine Schande, dass er überhaupt nominiert wurde; denn der Film steht über den dogmatischen Aufgebot des damaligen Gewinners und der Leute, die meinen, es sei der pathetische Posaunenzug durch die Normandie, der zu Recht bevorzugt gehört. Spielbergs Saving Private Ryan benutzt Menschen, um ideologisierende Lehren über das Richtige und Falsche zu predigen, damit er uns nachgehend davon überzeugen kann, dass humanisierende Werte nur bei denen ineinandergreifen, welche auf der ehrenvolleren und menschlich besonneneren Feldseite stehen; spotten und spucken sollten man über und auf diese Filmkunst, die keine ist und gerade deshalb den Oscar gewonnen hat. Der schmale Grat ist nichts für jedermann, dem einen ist er zu anstrengend, dem anderen wiederrum zu leise oder orthodox in seiner Inszenierung; eines kann man Malicks Film aber nicht absprechen: Intellektualität. Dieser Film ist nicht pessimistisch, auch nicht optimistisch, er ist einfach nur ehrlich. Malick zweifelt an, stellt in Frage und verkörpert dies anhand von Menschen - nicht bloßen Soldaten. Heldenhaft ist hier niemand, aber mutig und tapfer sind sie alle. Dennoch sind sie nicht mehr oder weniger Mensch als wir; sie haben Ängste, sie haben Zweifel und es war an der Zeit, diese endlich zu erhören. 

Autor: Iso 

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