Donnerstag, 11. Oktober 2018

Eine griechische Odyssee - Kritik: Dance Fight Love Die - With Mikis on the Road (2018)


 Asteris Kutulas begleitete den griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, der unter anderem den »Sirtaki« für den Film »Alexis Sorbas« verfasste, über drei Jahrezehnte mit seiner Kamera, war das Auge, das um ihn herum schwirrte, aufnahm und damit Bruchstücke seiner Reise durch die Konzertwelt festhielt. Aus diesem historischen, dokumentarischen Archivmaterial sowie einigen fiktiven Interpretationen von Theodorakis’ Musik hat der Regisseur nun sein eigenwilliges Porträt »Dance Fight Love Die - With Mikis on the Road« über den griechischen Ausnahmekünstler geschaffen. Es ist gewiss kein Film, den man erwarten kann. Und ebenso wenig ein herkömmliches Porträt eines Künstlers.

Der Film zählt dabei zu einer geplanten Konzept-Tetralogie von Kutulas, die aus drei Opern (»Elektra«, »Medea« & »Antigone«), die auf Theodorakis Musik basieren, drei antike Tragödien, eine Thanatos-Trilogie und einer Komödie besteht. »Dance Fight Love Die« ist in dieser Konstellation nun die abschließende Komödie, die historisches mit fiktiven Material kreuzt und sowie die anderen Werke auch auf mehreren Ebenen Traditionelles und Assoziatives miteinander verweben (sollen). Es ist nach »Recyling Medea« (2011) nun der zweite entstandene Film aus dieser Tetralogie.

Direkt am Anfang beginnt der Film mit dem folgenden Bild: Im Hintergrund sieht man in der Ferne die Akropolis und davor, auf einem Balkon stehend, Mikis Theodorakis. Der Film setzt diese beide Figuren im Bild gleich. Sie sind zwei griechische Monumente, die in dieser Sekunde vereint werden. Dieses Bild erklärt das Vorgehen des Films. Denn Kutulas Film ist weniger ein brav-informative Dokumentation, als mehr eine essayistische Beschäftigung mit der mythischen Figur von Theodorakis beziehungsweise der mythischen Kraft seiner Musik. Als Nichtkennter von Theodorakis, seiner Musik oder seiner Bedeutung ist diese Herangehensweise von Kutulas zunächst vielleicht etwas sperrig, um den Film zu durchsteigen, denn es ist übersprudelndes und überfrachtetes Werk, das seinem Riesen, der schon knapp ein Jahrhundert auf dieser Erde weilt, ein Denkmal mit diesem Film setzen möchte, dabei oft in sich selbst versinkt oder sich selbst zelebriert. Das macht aber gerade die Wirkung des Films aus.

Kurze und schnell geschnittene Archivbilder, die Theodorakis bei seinen verschiedenen Konzertreisen über drei Jahrzehnte begleiten, wechseln mit Aufnahmen von jungen Künstlern, die Theodorakis’ Musik interpretieren und fiktiven Spielfilmsequenzen, die den Inhalt der Musik zwischen Dramatik und Verspieltheit, Ulk und Geheimnis illustrieren und in das sich auch immer wieder das Groteske mischt. Das mutet als ein exzentrisches, aber auch betörendes Chaos an, in dem Kutulas die Puzzlestücke nicht chronologisch anordnet, sondern assoziativ und kunstvoll zwischen Zeiten und Orten springt, deren Pfeiler Theodorakis ist. Es ist eine filmische Odyssee, die die Konzerthäfen von Mikis der letzten drei Jahrzehnte ansteuert und in dem seine Musik dem Klang der Siren gleichkommen mag. Asteris Kutulas ist folglich dann der Odysseus dieses Films, der das Steuer in der Hand behält und sich mit dem Zuschauer in die Welt von Mikis Theodorakis stürzt.

Erklären tut der Film nicht. Es ist ein irgendwie enigmatisches Werk. Das darf der Film auch sein. Muss er auch sein. Der Film beeinhaltet viele Zeichen und Codes in der Wahl der Bilder, der Musik und der Montage und ist vielleicht mit einer ausreichenden Kenntnis der Theodorakis-Historie zu entschlüsseln. Aber auch so ist der Film ein Genuss, dem man sich hingeben kann. Er ist in seinen Blick mysteriös und facettenreich. Er liefert immer wieder neue Eindrücke. Theodorakis ist der Anker. Der Rest des Films verschwimmt, ist variabel, überrascht immer wieder mit ungewöhnlichen Ideen. Das Material wird clipartig in kompakten 80 Minute aufbereitet. Es ist wie bei einem Notizblock, in das Kutulas mit Bildern Gedanken, Assoziationen und Visionen zu Theodorakis und seiner Musik niederschreibt. Das Ganze fühlt sich dann wie ein filmischer Fluss an, der immer wieder zu einer reißenden Strömung gerät. Der Film pendelt zwischen Energie und Meditation, besitzt einen großen Formwillen, lebt von seinen knalligen Kontrastierungen und Gegenüberstellungen, ist pomöps orchestriert, beinahe opernhaft in seinen Akzenten und ist wie ein Musikstück erzählt. Es ist ein musikalischer Film, dessen Motor die Musik ist. Sie bestimmt den Rhythmus des Films. Denn Theodorakis Leben, das ist die Musik, die in diesem Film nicht aufhört, nicht aufhören will. Mit ihr hangelt sich Asteris Kutulas von Etappe zu Etappe, von Werk zu Werk. Die Musik ist der Schlüssel zu dieser filmischen Chiffre. Sie schafft die Verbindungen zwischen den Segmenten und Fragmenten. Dabei schlägt die Musik die verschiedenste Töne an. Der Film bietet mit mir eine reiche Palette an Stimmungen und Farben an, die ineinandergehen.

Es geht also um das, was Theodorakis und seine Welt bewegt hat. Dabei wird Theodorakis auch als politische Figur verstanden und die Musik auch als Widerstand und Rebellion gesehen. In dem Material aus den verschiedenen Jahrzehnten kommen wir Theodorakis immer für einen kurzen Moment ganz nah bevor wir ihn wieder ganz inbrünstig auf der Bühne erleben. Es sind kurze und intime Interviewschnipsel, die Kutulas dem Zuschauer serviert. Ihn ihnen äußert Theodorakis ganz persönliche Gedanken, etwa zu seiner Illusion in der Kindheit, dass Menschen doch auch fliegen müssten oder dass das Element, dass ihm folgerichtig am meisten liegen würde, die Luft wäre. Wir sehen einen Theodorakis, der sich selbst als Zigeuner bezeichnet, beim proben, dirigieren, nachdenken oder einfach nur sehen. Wir erblicken ihn seine Zigarre rauchend oder erleben ihn als Genießer der Milka-Schokolade. Der Film kommt diesem Menschen nah, in dem er ihn in eigentlich banalen, aber eben auch wahrhaftigen Momenten zeigt. Es sind kurze Augenblicke, rasche Momentaufnahmen, die wir durch das Auge von Kultulas entdecken dürfen.

Schließlich ist das also ein ambitionierter Film, der erschöpft, weil er konsequent sein Programm bis zum Ende durchzieht und der auf ersten Blick ein schwer greifbares Werk, das seinen Zuschauer mit seiner audiovisuellen Performanz erschlägt. Es ist ein wuchtiger Essayfilm, eine gewaltige und hypnotische Collage, die nicht das Konkrete sucht, sondern versucht die Poesie von Theodorakis’ Schaffen zu durchdringen. P.S.: Ein bisschen Vorwissen zu Theodorakis dürfte dennoch nicht schaden. Nur um sicher zu gehen.

7.0 / 10

Autor: Hoffman 



Bereits erschienen bei BEnow



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