Dienstag, 14. August 2012

Argentos unstillbare Ekstase der menschlichen Sinne - Klassiker der Extraklasse: Suspiria




»Magic is Everywhere.« - Natürlich mag man nur über folgende Gedanken hierbei spekulieren können, aber doch halte ich es als mehr für legitim diese erstrangig zu äußern. So kreist immerhin auch Dario Argentos gesamtes Schaffen um diesen Film, um »Suspiria« aus dem Jahre 1977. Für viele wahrscheinlich auch der Film, der Argento zur Legende machte und in Bezug auf Argentos vorhergehendes Schaffen mit Werken wie »Die neunschwänzige Katze« oder »Profondo Rosso« sein Versuch den Giallo auf eine völlig neue Stufe zu stellen, der Giallo auf Metaebene. Damit auch der Beginn von Argentos »Muttertrilogie«. In der Grundstruktur bleibt Argento dabei zunächst all seinen Motiven treu und wagt nur den Sprung zum Okkultismus und entfernt sich von dem des Herkömmlichen und nährt sich hingegen dem Übernatürlichen. Wesentlich fokusierter auf das Märchen, statt auf die Inspiration wie bei Edgar Wallace. Vom inhaltlichen Niveau geht zumindest nichts verloren. Die Giallos zeichneten sich wie bekannt sein sollte, nicht durch ihre intellektuelle Handlung aus, sondern durch den Reiz der Umsetzung, die Argento hierbei nun auszuloten vermag. Er gewinnt dabei nur.



Wenige Sekunden vergehen und Argentos erstes Symbol schlägt ein: Blitz und Donner bereiten die Ankunft vom Flughafen vor, aus dem Regen in das Taxi und sprachliche Differenzen bewältigen. Argento prophezeit schon früh das Unheil. Deutet immer noch subtil an. Ein Sturm zieht auf. Düstere Wälder wechseln mit reißenden Flüssen - die Märchengeschichte schauderhaft von Meister Argento gesponnen: Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald und schon präsentiert uns Argento, sein »Knusper-Knusper-Häuschen«. Eine Ballettschule im scheinheilig-rosafarbenen Gewand, die Abstraktion in Perfektion.

Unser eingeführtes Schneewittchen (ängstlich: Jessica Harper) merkt: Von dort wird geflohen, einzige Fragmente der letzten Worte: eine Iris und ein Geheimnis. So schleichend und dann Schlag auf Schlag, geradezu aus dem schleichenden Nichts. Ein audiovisueller Rausch! Die Augen des Seins finden, was sie zu suchen. »Wir schauen, aber wir sehen nicht.« - nur Argento, der durchschaut. Und Prestigio: Das Messer wird mit Hitchcock-Referenz gewetzt. Dario dürstet es nach Blut und der Mord. Die große Kunst eines Argentos. Ja, das macht den Giallo aus und hier jenes Motiv des Hitchcocks. Revolutionär nur auf übernatürliche Weise. Ein Schocker.

Und das war erst das Intro nun erst steigt Argento ein in den Zyklus des späteren Grauens - lässt seinen Zuschauer jedoch erholen und treibt perfide Pläne mit seinen Charakteren. Seine kleinen, hilflosen und schutzlosen Protagonisten - Meister Argento vollkommen ausgeliefert und ihrem Schicksal. Ironisch der Schauplatz einer Ballettschule, ein Platz für Mädchenträume wandelt Argento in ihre Alpträume. Besinnt auf die Wurzeln des Schauermärchens, auf nach Deutschland, wo das Märchen von so mancher Legende seinen Ursprung geprägt bei den Gebrüder Grimm.



Argento wacht über allen, führt geschickt wie auch skurril seine Nebenfiguren ein, rundherum um seine unschuldige (symbolisiert durch ihr weißes Kleid) Protagonistin. Ein Spaß sei ihm gegönnt. Unweigerlich kam mir doch der Gedanke, dass mehr hinter »Suspiria« steckt als ein Giallo auf Okkultstatus. Er funktioniert selbst auf Metaebenen wenn ich es so betrachte. Oftmals gilt das Ballett doch als Ort der grenzenlosen Oberflächlichkeit. Getrieben nur von dem Erfolg und der Sucht nach Perfektion - rechnet hier ein Argento etwa hintersinnig ab?

Zweifelslos spiegelt Argento charakteristisch Oberflächen wider und abstraktziert diese. Stilistisch dann als Groteske, besonders die Seitenfiguren deuten immer wieder daraufhin, dass Argento das Ideal der Ballerina hierbei ins ad absurdum führt, um so letztlich sein surrealistischen Alptraum zu entfesseln. Die Charaktere wirken wie gezierte Marionetten in den teuflischen Händen eines Dario Argento. Irgendwie verloren im Hexenhaus.

So mutet Argentos »Tanzakademie« doch als filmisches Labyrinth an voller Mystik und Mysterien. Gepflastert von endlosen Korridoren und Gängen - eine grandiose Innenarchitektur. Herrlich. Einfach nur herrlich. Bis ins kleinste Detail ausgebarbeitet - und irgendwie erinnerte mich das zumindest zeitweise auch an »Der Nussknacker«. Märchen, wo man nur hinblickt und ein surrealistischer Faden wird gesponnen - Dornröschen grüßt. - Goblin verführt mit suggestiven Klängen einer alten Spieluhr ähnelnd. Stets aufs neue: »Witch!« - aus dem Nichts. Der Soundtrack von Goblin essentiell für die einnehmende Wirkung von Argentos »Suspiria«. Ein audiovisuelles Meisterstück des Surrealen. Sehr fein und doch so gespenstisch, verzückend-unheimlich und atemlos zum effektvollen Exzess der Geräusche.

Es ist wahrscheinlich die Legendenbildung, die »Suspiria« selbst heutzutage noch zu vermitteln weiß. Das Schaudermärchen, welches jedes Kind kennt. Diesem setzt Argento ein Denkmal mit »Suspiria«. Reflektiert über die Urängste der Menschen, bekannte Stilmittel werden aufgegriffen. Die Spiegel, auch hier erneut ein Verweis auf das Bildnis der Oberflächen. Hin bis zu expressionistische Schatten, schleichend und bis zur puren Stille, um kurz darauf wieder auszubrechen und seine Dimension des Grauens zu vervollständigen. Goblins Soundtrack lotet alles aus und virtuos der Sprung zum Mord. Eiskalt und innovativ abgezeichnet mit Signalfarben als Zustand der Ängste. Man leuchtet und lässt durchleuchten. Argento treibt die Atmosphäre auf die Spitze.



Die Kamera dringt immer tiefer in die düsteren Gefilde von Argentos Irrgarten ein und der Meister visualisiert stets elegant zwischen Schönheit und Abgründigkeit. Die visuelle Symbolik - die große Stärke Argentos. Individuell jedes Fokus von Kamera oder Soundtrack vermag Argentos Film vielleicht etwas ungereim zu wirken. Doch ist es gerade diese vereinte Komposition und absolute Symbiose von Bild und Ton. Alles greift wie Zahnräder ineinander und erreicht so seine technische Größe. Gemeinsam ist man stark. Im einzelnen vielleicht sogar zum Scheitern verurteilt. Aber die Symbiose - absolut. Und wiederum das machte einen Argento und dessen Suspense schon immer aus, dieses einache Prinzip  der Filmkunst schlägt auch hier an, spätestens dann wenn Argento das Tor zur Hölle aufbricht. So ist doch »Suspiria« wieder ein eigenwilliger Filmorganismus, der zum Schauerspiel nur allzu imponierend zum absoluten, filmischen Genuss einlädt.



9.0 / 10

Autor: Hoffman

3 Kommentare:

  1. Ich sehe diesen Film noch heute als Argentos Meisterstück. Hier passt einfach alles. Ein großartiger Screenshots, beeindruckende Bildgewalt, unglaubliche Intensität... kurzum eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Argentos ältere Filme sind einfach Kunstwerke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wenn mein Handy jetzt nicht aus "Score" "Screenshots" gemacht hätte, wäre der Kommentar vielleicht auch logisch...

      Löschen
    2. Ist auch persönlich mein Liebster von ihm. Und es passt alles, mMn eh die Kunst eines Argento - hierbei seine Schwächen zu revidieren und aus den Stärken wie der Farbdramaturgie alles rauszuholen. Und somut die neuren leiden nicht. ;)
      Und ach was ich freu mich immer Lob über meine Kunstwerke (alias Screenshots), kenne das Problem aber auch. :)

      Löschen