»Angela, tu es infâme.« - »Non, je ne suis pas infâme, je suis une femme.« - Godards dritter Spielfilm ist wohl zugleich einer seiner ungewöhnlichsten Werken, auch wenn er konsequent an seine beiden Vorgänger anknüpft. Alle drei Filme beschäftigen sich mehr oder weniger in spezialisierter Form mit den typischen, amerikanischen Filmgenren. Dieses Verfahren führt Godard mit »Une Femme est une Femme« zur Spitze. Denn das hier passt so ganz und gar nicht zu unserem bisher kühlem Godard. Jetzt strahlt sein Film sogar prächtig mit Franscope - das erste Mal! Coutard darf sich also mal wieder austoben - sogar in Farbe mit Eastmancolor! Mit besonderer Vorliebe für die Signalfarben: Blau, Weiß, Rot - die Farben der französischen Nationalflagge. Huch? Und dann ist auch noch eine Hommage - ans Kino? Ja. Etwa an das amerikanische Kino? Vielleicht. Eine Hommage an die Hollywoodkomödien und Musicals - von Godard?! Dann doch eher eine Abrechnung! Eine zugegebenermaßen überaus fröhliche Abrechnung. So kennt man den Godard doch gar nicht (und so wird man ihn auch nicht mehr kennen)! Dann schlägt er auch gleich zu Beginn zu, mit gigantischen Texttiteln. Auch hier findet er den Anschluss zu seinen Debüt, dieses Mal im Zitat, wenn sein »À bout de souffle« im Fernsehen läuft.
Hier geht Godard sogar technisch noch einen Schritt weiter, es ist interessant wie Godard mit dem Ton experimentiert in der Verbindung von Bildern. Auf den Wechsel der Kameraperspektive folgt der Tonabbruch oder Toneinsatz, Godard variiert verschiedene Sequenzen von äußeren Einflüssen bis hin zur musikalischen Untermalung. Die Musik als dramatisches Stilmittel in einer ruhigen Szene? Was kann Ton für eine Wirkung auf eine Szene haben? Inwiefern beeinflusst sie den Zuschauer und kann zu Gunsten des Films verwendet werden? Diese Wahrnehmenungen erschlagen im ersten Moment, faszinieren aber auch bei Godards stetiger Modulation des Tons. Dazu nimmt er sich die beliebte Dreiecksgeschichte, nachempfunden dem kurz vorher erschienenen »Liebesspiele« von Philippe de Borca, von einer Frau (hinreißend: Anna Karina), die ein Kind will. Der Liebhaber´Èmile (sportlich: Jean-Claude Brialy) lehnt ab, denn er will die derzeitige Situationen beibehalten. Es wäre so als fürchte er sich vor der Veränderung in ihrer Beziehung. Und dann gäbe es noch den Freund Alfred (verwegen: Jean-Paul Belmondo). Kann der vielleicht Abhilfe schaffen? Er zumindest ist verzückt.
Damit erweitert Godard nun um ein weiteres Mal sein Motiv der Liebe und führt es direkt in die romantische Komödie, welch kühner Schritt von ihm - aber keine Angst auch hier bricht Godard mit der Dramaturgie, die er ins absurde führt und im puren Amüsement verherrlicht. Aber auch Spannungen zwischen den Charakteren werden vollführt. Darsteller sprechen direkt in die Kamera, Godard involviert den Zuschauer - sogar verbeugt wird sich vor ihm - wie vor einer Komödie üblich. Sehr gesittet ist das. Das Sehen wird zum Beteiligen. Auch nutzt Godard eben jene Modulation des Tons, um humoristische Aspekte zu entfalten - neben der leichtfüßigen Inszenierung setzt er dabei auch auf die Absurdität seiner dramaturgischen Brüchen, es ist kurzum die Art wie Godard hier seinen Film (ja mit Handlung) erzählt. Übrigens ist das dabei auch lebensfern, aber dafür genauso liebenswert. Wie das Fahrradfahren in der Wohnung, fragmentarisch geschnittene Streitgespräche oder die zeitweilige Kommunikation mit Büchern. Denn ja wen wird es verwundern, wieder werden Literatur, Musik und Film durchzitiert.
Das Detail des Tages: Belmondos Rollenname lautet Alfred Lubitsch. Ich glaube die Reminiszenz sollte auf der Hand liegen. Eine Hommage ist dieses Werk nicht nur ans Kino, sondern auch an die starke Frau, die Karina verkörpert und Karina ist. Denn auch hier reflektiert er Karina auf die weibliche Protagonistin, die eine Dänin ist wie Karina. Der Chanson wird von Aznavor gesungen und auch auf Kollege Truffaut wird frech verwiesen, mit Jeanne Moreau wie »Jules und Jim« - ein großartiger Film, nebenbei - oder »Schießen sie auf einen Pianisten«, aber bitte doch nicht wörtlich! Der Film sprüht nur so vor Lebensfreude und Wahnwitz, technisch nutzt Godard natürlich auch zur Erzeugung des Irrsinns zerstückelte Szenen, Bildfragmente und eben Jumpcuts, unterschützt vom visualisierten Ton. Und wieder stellt er die Wirklichkeit im Filmischen nach, ein Abbild der Realität in der Fiktion? So fragen seine Protagonisten selbst: Wo liegt der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge? Und ist dieser überhaupt erkennbar? Selbiges ließe sich auf Godards Film übertragen. Sein Werk ist aber auch ein originelles Spiel mit der Liebe. Diesbezüglich hinterfragt Godard auch sein eigenes Werk, Komödie oder Tragödie? Denn wie kann man einen solchen Film einordnen? Ja, wie denn? Um auf den Punkt zu kommen: Die eindeutige Antwort wie er man ihn werten sollte, lieferte Godard schließlich selbst: Als »neorealistisches Musical«. Das machte ihn sicher so schnell keiner nach.
8.5 / 10
Autor: Hoffman
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